Die Gemeinschaft macht den Unterschied!

Studie soll Debatten anstoßen: vier Zukunftsszenarien für Südsiebenbürgen

Die Studie kann unter folgendem Link als PDF heruntergeladen werden:

So manch einer, der auf kleinen Landstraßen durch die herrliche Landschaft Siebenbürgens fährt, wünscht sich, diese möge für immer so bleiben: Sanfte grüne Hügel bis zum Horizont vermitteln das Gefühl von Weite und Freiheit. Verschlafene kleine Dörfer schmiegen sich in Talsenken, pittoresk ragt der Kirchturm aus ihrer Mitte hervor. Freilaufende Herden und üppig blühende Blumenwiesen, ein Wiedehopf fliegt lange vor dem Auto her – ist es nicht pures Glück, das man in solchen Momenten spürt? Tja, und dann fährt man im Schritttempo durch ein kleines Dorf. Kinderhände strecken sich einem entge-gen, eine magere Kuh grast am Rand der Schotterstraße. Und man denkt mit einem Anflug von schlechtem Gewissen: Für sie wäre es nicht gerecht, wenn hier alles beim Alten bliebe...

Was also soll so bleiben – was muss sich verändern? Was könnte sich wie und für wen verändern in den nächsten 30 Jahren? Mit genau dieser Frage setzt sich eine interessante Studie auseinander, die Südsiebenbürgen in die Zukunft projiziert: „The Future of People and Nature in Southern Transylvania/Die Zukunft von Mensch und Natur in Südsiebenbürgen” von Joern Fischer, Andra Ioana Horcea-Milcu, Tibor Hartel, Jan Hans-pach und Friederike Mikulcak, herausgegeben von der Arbeitsgruppe für nachhaltige Landnutzung an der Leuphana Universität Lüneburg unter Mitwirkung lokaler Experten. Die 60-seitige, zweisprachige Broschüre, die als PDF heruntergeladen werden kann (Link: siehe Foto), zeichnet vier fiktive Versionen einer südsiebenbürgischen Zukunft vor.

Wohlstand auf  Kosten der Umwelt

In Szenario 1 „Wohlstand und Wachstum“ wird die wirtschaftliche Entwicklung im ländlichen Raum gefördert, die Weltmärkte haben ein günstiges Investitionsklima geschaffen. Traktoren bearbeiten nun den Boden, es gibt kein Brachland mehr. Wer auf den Zug aufspringt, dem geht es bald gut, die Kinder besuchen gute Schulen, der Geländewagen steht vor der Tür. Doch der Wettbewerb wird härter. Böden und Wälder werden ausgebeutet, ohne Kunstdünger geht bald gar nichts mehr. Das Dorfbild hat sich verändert. Es gibt zwar keine Armut mehr, die Straßen sind asphaltiert, Schulen, Kindergärten und eine Arztpraxis sind vorhanden. Doch geht dies alles auf Kosten der Artenvielfalt, das Brunnenwasser ist nicht mehr genießbar, die Hügel sind entwaldet. Der traditionelle Charakter der Landschaft ist verloren gegangen. Tourismus konzentriert sich nur noch auf denkmalgeschützte Orte und Freizeitparks.

Ausbeutung durch Fremde

In Szenario 2 „Unser Land – deren Wohlstand” verändern sich die Parameter ein wenig: Zwar schafft die wirtschaftliche und politische Lage große Nachfrage nach land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnissen, doch weil Kleinbauern und Familienbetriebe nicht gefördert werden, drängen Investoren von außen in die Region. Nun beuten industrielle Großbetriebe Boden und Wälder aus, die Einheimischen gehen leer aus. Lokale Arbeitskräfte wandern ins Ausland ab, zurück bleiben Arme und Alte. Fiktive Erlebnisberichte veranschaulichen in allen vier Modellen die Gefühle der Lokalbewohner. Maria (55) über ihr Leben 2043: „Die Begeisterung für den Verkauf unserer unrentablen Ländereien hatte uns alle erfasst. (…) Vor einigen Tagen ging ich zum Waldrand, um Kräuter gegen meine Knieschmerzen zu sammeln. Sie sahen mich und sagten mir, ich hätte dort nichts zu suchen. Unser ganzes Land haben sie eingezäunt.“

Nachhaltigkeit und soziale  Gerechtigkeit

In Szenario 3 „Gleichgewicht schafft Schönheit“ führt eine fiktive Umweltkatastrophe in Westeuropa zu einer Neuausrichtung der gesamten EU-Politik: ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit lauten die Zauberwörter. Öko-Landbau wird überall gefördert, doch nur für Betriebe, die sich zu Vereinen zusammenschließen und die strengen Naturschutzauflagen einhalten können. Die Menschen sehen sich gezwungen, gemeinsame Initiativen zu entwickeln – doch siehe da, der tiefgreifende Wandel gelingt! Resultat: Das Brunnenwasser bleibt sauber, die Landschaft intakt. Dorftourismus und traditionelle Feste ziehen Touristen aus ganz Europa an. Zwar werden die meisten Einheimischen davon nicht reich, doch die Armut geht stark zurück. Junge Menschen verlassen die Region höchstens kurzzeitig und kehren später oft wieder heim. Im fiktiven Erlebnisbericht erzählt Ana, verheiratet mit einem belgischen Forscher, von ihrem Leben 2043: „Pierre kam in seiner Karriere an einen Punkt, an dem ihm eine nachhaltige Lebensweise wichtiger wurde als die Forschung. 2014 zogen wir hierher. (…) Zurzeit haben wir einen jungen Australier zu Gast, der Erfahrung in der Biolandwirtschaft sammeln will. (…) Der größte Gewinn für uns alle: Wir sind wieder eine Gemeinschaft.”

Naturschutz ja – doch Einheimische frustriert zurückgelassen

Um „Verpasste Chan-cen“ geht es in Szenario 4: Auch hier werden großzügige Subventionen an Biobauern vergeben, doch nur ab einer gewissen Mindestfläche. Aller-dings schaffen es die Menschen in diesem Szenario nicht, sich zusammenzuschließen. Zu groß ist das Misstrauen, Streit und Korruption stehen im Weg. So werden Investoren aus dem Ausland auf die fruchtbaren Böden und die billigen Arbeitskräfte aufmerksam. Sie kaufen Land auf, um große Bio-Betriebe zu errichten und streichen die Förderungen ein. Wieder geht die lokale Bevölkerung leer aus. Zwar sind nun die Waldflächen durch neue EU-Regelungen gesetzlich geschützt, doch die Armut führt trotzdem zu illegalen Abholzungen, die von korrupten lokalen Behörden geduldet werden. Die Jugend verlässt abgelegene Dörfer, die Bevölkerung nimmt stetig ab. Die Weiden verwildern und verbuschen. Wegen der großflächigen Flurbereinigung nimmt die Artenvielfalt rund um die großen Ökofarmen ab. Die Lokalbewohner betrachten die hohen Naturschutzauflagen als Schikane, wie der fiktive Erlebnisbericht von Landwirt Ion für 2043 verdeutlicht: „Unlängst kam eine junge Frau, um uns über die Schutz-vorschriften zu den Molchen aufzuklären. Molche, ich bitte Sie! Warum sollten mich Molche interessieren. (…) So ein mickriger Frosch oder ein Regenwurm in der Erde haben mehr Rechte als ein armes Kind.”

Augenöffner und Diskussionsstoff

Die Szenarien werden nicht bewertet, ohnehin sprechen sie selbst für sich. „Unser Ziel ist es, in Südsiebenbürgen Debatten anzustoßen”, lässt das Autorenteam wissen. 17 Organisationen vor Ort und einige Personen – soziale und kirchliche Einrichtungen, NGOs, Förster, Lokalbehörden, Minderheitenvertretungen etc. – wurden für die Studie konsultiert. Es werden darin keine Ratschläge erteilt, doch geht aus der Analyse klar hervor, dass unabhängig von den äußeren Bedingungen das Engagement und der Zusammenhalt der Dorfbevölkerung den großen Unterschied machen. „Unseren Szenarien zufolge liegt die Lösung zu einem guten Teil in der Schaffung örtlicher Netzwerke, in denen Vertrauen, Fachwissen und Gemeinschaftsgefühl vorherrschen”, heißt es.

„Siebenbürgen ist dank seiner Naturschönheit, seiner reichen Geschichte, des friedlichen Zusammenlebens in multikulturellen Dorfgemeinschaften und der starken authentischen Bindungen zwischen Mensch und Natur eine einzigartige Kulturlandschaft. Diese Gegend verdient eine Zukunft zum Vorteil von Mensch und Natur“, schließen die Autoren. Die Studie darf übrigens zu nichtkommerziellen Zwecken unter Nennung von Autoren und Quelle frei verwendet, vervielfältigt und verteilt werden. Leicht verständlich und durch die fiktiven „Zeitzeugenberichte“ ansprechend aufbereitet, eignet sie sich sicherlich für Diskussionen im Rahmen des Schulunterrichts, als Basis für „Schule anders“-Projektwochen oder Exkursionen.