„Die Gesellschaft in Rumänien ist viel erwachsener geworden“

Elke Sabiel, ehemalige Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien, kehrt nach Deutschland zurück

Elke Sabiel war fünf Jahre lang die Vorsitzende der Rumänisch-Deutschen Kulturgesellschaft in Temeswar. Den Kontakt zu Rumänien möchte sie weiterhin aufrechterhalten. „Ich will jedes Jahr zum Geburtstag von Ignaz Bernhard Fischer nach Temeswar reisen“, sagt sie.
Foto: Zoltán Pázmány

Zehn Jahre lang war sie die Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien und den ehemals Russlanddeportierten stand sie während ihrer gesamten Zeit im osteuropäischen EU-Land auch in ihrer Funktion als Ehrenvorsitzende des Vereins der ehemaligen Russlanddeportierten besonders nahe: Elke Sabiel. Anfang April hieß es für sie, Abschied nehmen und nach Deutschland zurückkehren. Wie sie Rumänien in den vergangenen Jahren erlebt hat, das verrät Elke Sabiel in folgendem Interview. Die Fragen stellte ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu.

Sie verlassen nun Rumänien, nachdem Sie 23 Jahre lang hier gelebt haben. Wie hat Sie denn die Zeit hier geprägt?

Es war eine interessante und bereichernde Zeit, aber es gab natürlich auch problematische Momente. Ich habe mich als Sozialdemokratin sehr stark um die seinerzeitige demokratische Linke bemüht, um die Gewerkschaften, aber auch um Journalisten. Gescheitert bin ich im Gewerkschaftsbereich. Die großen Gewerkschaften in Bukarest sind für mich wie potemkinsche Dörfer. Sie tun, im Grunde genommen, für den Arbeitnehmer, für die jeweiligen Mitglieder, recht wenig, denn schauen Sie sich die Gehälter an, die Renten, die es hier in Rumänien gibt – da kann man nur im Familienverbund überleben. Es wäre die Aufgabe der Gewerkschaften, eine solche Situation zu verbessern. Positiv war der Bereich „Kommunalpolitik“, denn Sie wissen ja, dass in Rumänien alles zentralisiert war und leider weitgehend auch noch ist. Aber dennoch, im kommunalen Bereich, Querbeet durch das Land, konnten wir sehr viel Interesse wecken und die Kenntnisse erweitern (Anm.d.Red.: durch, beispielsweise, Trainings mit Kommunalpolitikern). Im Bereich Journalismus... na ja. Da haben wir zwar versucht, mit einigen journalistischen Fakultäten zusammenzuarbeiten, zumal wir in den 1970er und 1980er Jahren sehr viel für die rumänischen Journalisten getan haben (Anm.d.Red.: Fortbildungskurse in Deutschland). Aber: Der rumänische Journalist hinterfragt nicht, er recherchiert nicht, und das ist ein Bereich, da hätte ich mir gewünscht, dass auch meine Nachfolger bei der Friedrich-Ebert-Stiftung weitergewirkt hätten, denn das tut Not in diesem Land. Als Bürger informiere ich mich über die Massenmedien und in erster Linie über die Print-Medien. Da ist es doch sehr wichtig, dass der Journalist, wenn er berichtet, das auch hinterfragt und vielleicht nach einer Woche doch auf den Punkt kommt. Das vermisse ich hierzulande immer noch.

Korruption ist nach wie vor ein großes Thema in Rumänien. Wie haben Sie die Entwicklung des Landes in all diesen Jahren erlebt? Konnten Sie eine positive Entwicklung wahrnehmen?

Sie Witzbold! (lächelt) Da ich in Lateinamerika aufgewachsen bin und dort beruflich sehr viel unterwegs war, habe ich Rumänien immer wieder mit Lateinamerika verglichen. Die Gastfreundschaft, das schnelle Reden, ja, auch die Korruption ist ein gemeinsamer Nenner. Korruption finden Sie natürlich auch in anderen Ländern - ich will nicht sagen, dass wir sie in Deutschland nicht haben, da ist sie vielleicht ein bisschen versteckter. Aber hat sich in Rumänien etwas verändert? Möglicherweise hat sich in der Gesellschaft etwas verändert. Dass sich aber in der Politik, in Bukarest, etwas verändert hat, daran habe ich leichte Zweifel. In dem Konzert der EU-Länder sind Rumänien und Bulgarien die Schlusslichter in Sachen Korruption und das muss sich ändern. Da kann, meiner Meinung nach, die Gesellschaft noch sehr viel tun.

Was halten Sie von den Protesten, die in jüngster Zeit in Rumänien stattgefunden haben?

Die fand ich fantastisch! Und dass sich die Menschen auch nicht beirren haben lassen. Das, was da von der Regierung versucht wurde, von dem Herrn Dragnea, ist sehr schlimm. Er wollte ja nur seine eigene Haut retten und alles andere war ihm doch so ziemlich egal. Das darf einfach nicht sein. Und darin sehen Sie, dass die Gesellschaft viel erwachsener geworden ist, viel differenzierter die Politik beurteilt, dass die Menschen auf die Straße gegangen sind. Nicht nur in Bukarest, sondern im ganzen Land. Das war für mich ein sehr erfreuliches, positives Zeichen.

Wie wurden Sie als Deutsche in Rumänien aufgenommen?

Positiv. Zumindest bei meinen Partnern in Bukarest. Nun war ich auch nicht mehr die Jüngste und ich wollte auch niemandem die Butter vom Brot nehmen. Uns wirft man in Deutschland immer vor, wir würden alles besser wissen und auch, dass wir ein arrogantes Auftreten haben - das habe ich in Rumänien peinlichst vermieden.

Sie haben eine besondere Beziehung zu den ehemaligen Russlanddeportierten. Wie kam diese Beziehung zustande?

Als ich 1994 mit Sack und Pack nach Rumänien kam, wurde mir verweigert, meine Sachen und die Sachen der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Zoll zu bekommen. Dann sagte mir der damalige Verantwortliche im Banater Forum, Herr Roland Cucuruz, ich solle mal zu den ehemaligen Russlanddeportierten, zu dem Herrn Ignaz Bernhard Fischer, gehen. Wir Deutsche wussten und wissen über die Russlanddeportation der Rumäniendeutschen entweder nichts oder sehr wenig. Ich ging dann zu Ignaz Fischer, der nur fragte: „Wo soll ich unterschreiben?“ Zwei Tage später hatte ich meine Sachen aus dem Zoll. Dann habe ich mir gesagt: Erst mal muss ich mich über diesen Verein informieren, und ich muss etwas für diesen Verein tun, was ich die gesamte Zeit und auch, als ich in Rente war, sehr gerne getan habe. Wir sind bereits im Oktober 1994 nach Sathmar gefahren – damals waren wir über 60 Leute. Wir sind im Januar 1995 zur Gedenkfeier nach Kronstadt gefahren. Wir waren in Reschitza und Lugosch, wir haben Ausfahrten unternommen – es wuchs da etwas zusammen, und mir haben diesen Menschen auch sehr viel gegeben. Ich habe sehr viel von ihnen erfahren und das hat mich bereichert. Ich habe eine Publikation mitfinanziert, „Tief in Russland, bei Stalino“, und ich habe alle Gedenkfeiern, die seit 1994 stattgefunden haben, auch finanziell mitgetragen.

Was waren denn die Höhepunkte Ihres politischen Engagements in Rumänien?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich habe eingangs unterstrichen, dass wir die Linke unterstützt haben. Aber wissen Sie, wenn es dem jeweiligen Mandatsträger nur darum geht, dass er seine Futterkrippe nicht verliert und dass er wiedergewählt wird und wenn es sein muss, er dafür auch die Partei wechselt - manche sogar bis zu fünf Mal -  dann ist das kein Erfolg, den man betonen sollte. Ein Höhepunkt war für mich, dass ich vier Jahre lang Alphabetisierungskurse für Roma unterstützen konnte. Das war wirklich auch sehr bereichernd, da habe ich unterschiedliche Erfahrungen gesammelt und unterschiedliche Bulibassen (Anm.d.Red. kommt vom Türkischen „buluk bascha“ bezeichnet den Anführer einer Schar, im konkreten Fall: der Roma) kennengelernt. Ja, aber die Politiker in Bukarest, mit denen ich versucht habe, darüber zu diskutieren, die sagten mir: „Solange sich Institutionen aus dem Ausland für die Roma einsetzen, brauchen wir das nicht zu machen“.
Der Bereich „Kommunalpolitik“ war auch ein Höhepunkt meines Wirkens.

Sie sind, nachdem Sie in Rente gegangen sind, im Banat, in Temeswar, geblieben. Wieso?

Es hat mir hier gefallen. Die Offenheit und Gastfreundschaft der Rumänen haben mir gefallen. Dann hatte ich das Glück, dass ich fünf Jahre lang den Vorsitz der Rumänisch-Deutschen Kulturgesellschaft in Temeswar inne hatte und dass ich mich weiter für die ehemaligen Russlanddeportierten engagieren konnte. Und auch, dass ich in Maria Stein (Anm.d.Red.: sie starb im vergangenen Jahr), die mich auch während meiner Zeit bei der Ebert-Stiftung unterstützt hat, eine wahre Freundin gefunden habe. Wir haben viel unternommen, wir sind gereist, und ich konnte durch sie die Mentalität der Banater Schwaben kennenlernen.