„Die jeweiligen Regierungen müssen klotzen und nicht kleckern”

Interview mit Elke Sabiel, ehemalige Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien

Eine wache Beobachterin des politischen und sozialen Lebens: Elke Sabiel
Foto: Zoltán Pázmány

Elke Sabiel lebt seit 1994 in Rumänien. Sie leitete zehn Jahre lang die Friedrich-Ebert-Stiftung und leitet gegenwärtig die Rumänisch-Deutsche Kulturgesellschaft in Temeswar. Zudem setzt sie sich für die Belange der Russlanddeportierten und der deutschen Minderheit ein. ADZ-Redakteur Robert Tari sprach mit der ehemaligen Leiterin der Ebert-Stiftung über Rumäniens politische und soziale Stolpersteine.

Sie leben seit 18 Jahren in Rumänien. Das Land lernten Sie durch ihre Arbeit für die Friedrich-Ebert-Stiftung bereits vor der Wende kennen.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hatte als einzige politische Stiftung bereits in den 1970er Jahren den Gedanken, dass man in allen osteuropäischen Ländern Kontakte fördern muss. Wir haben mit Rumänien begonnen, und zwar in der Gestalt, dass wir immer fünf Journalisten nach Deutschland eingeladen haben und im Gegenzug hat dann der jeweilige Journalistenverband fünf Deutsche eingeladen. Wobei die Kosten mehr bei der Friedrich-Ebert-Stiftung lagen als bei dem jeweiligen Verband. Die Programme wurden vom Journalistenverband aus Bukarest gestaltet. Wir durften angeben, was wir gerne hätten. Wir haben in der Regel versucht, thematische Programme, wie zum Beispiel „Kirche und Staat in Rumänien” oder zum Thema Lokalpolitik, durchzubringen. Und wir haben dann auch gebeten, wir möchten nach Hermannstadt und in das Banat. Hermannstadt war bisweilen etwas kritisch, weil da der Sohn von Ceauşescu war. Da hat man uns nicht so gerne hingelassen, ins Banat aber auch nicht. Also das war ein höchst interessantes Programm, das bedauerlicherweise nach der Wende eingestellt wurde. Es wurde vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in Deutsch-land finanziert. Nach der Wende war man der Meinung, dass jetzt die Demokratie in diese Länder kommt, darum würde man das Programm nicht mehr brauchen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben zahlreiche Hospitanzen und Praktika an die Journalisten der deutschen Minderheit vergeben. Es gab zahlreiche deutsche Zeitungen und auch Wochenzeitungen. Das war damals viel intensiver, als es heute ist. Und darauf konnten wir auch aufbauen, als wir nach der Wende nach Rumänien gekommen sind.

Journalismusförderung in einem totalitären Staat muss schwierig sein. Immerhin ist allgemein bekannt, wie streng die Zensur und wie eingeschränkt Journalisten damals waren.

Wir sind wahrscheinlich mit einer gewissen Naivität in das Land gekommen. Wir waren jeweils eine Woche da, besuchten Bukarest und dann eben ausgesuchte Städte. Ich habe im Grunde, erst nachdem ich meine Securitate-Akte in der CNSAS einsehen konnte, festgestellt, wie sehr man doch versucht hatte, uns zu behindern und uns auch zu beobachten. Und wie kritisch und wie misstrauisch man bisweilen war, wenn wir gesagt haben, wir wollen jetzt also auch mit Oppositionellen, sofern es sie gab, Gespräche führen. Wenn sich der eine oder andere Journalist abgesondert hat, was der Fall war, dann wurde er extrem beobachtet. Das alles konnte ich meiner Akte entnehmen. In Deutschland war es leichter. Denn es lag ja doch sehr daran, dass die rumänischen und deutschsprachigen Journalisten Kontakte knüpfen wollten und einen Gedankenaustausch suchten. Sie wollten wissen, wie es technisch bei uns gemacht wird, wie das Druckverfahren aussieht, wie man es mit den Bildern macht. Es gab also rein technische Fragen, die natürlich aus der Delegation gut beantwortet werden konnten. Dass das auf Misstrauen stieß, hat mich im Nachhinein sehr gewundert. 

Sie waren zehn Jahre lang für die Friedrich-Ebert-Stiftung tätig. Sie haben die Bildung und Entwicklung der Parteien mitverfolgt. Wie schätzen Sie die aktuelle Parteilage in Rumänien?

Es ist für mich einfach unvorstellbar, dass eine Fusion wie die USL überhaupt möglich ist. Denn die USL ist ja keine Wahlallianz, sondern eine Fusion zwischen Sozialdemokraten und Nationalliberalen. Das muss man sich einfach mal vorstellen. Und dass es von den Parlamentariern in Brüssel so ohne Weiteres geschluckt wird, ist für mich ein Rätsel. Denken Sie doch bitte einmal an die demokratische Partei, an die PD, Băsescu. Seine Partei war Mitglied in der sozialistischen Internationale und dann, aus welchen Gründen auch immer, fusioniert er mit der liberalen, demokratischen Plattform, die sich damals von der PNL abgespalten hat. Er tritt aus, weil er sich von der anderen Internationale möglicherweise mehr verspricht. Diese Vorgehensweise ist für einen Europäer undenkbar. Ich kann das nur unter Opportunismus abbuchen. 

Nicht nur politisch hat sich die Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien eingesetzt, sondern auch sozial. Sie haben sich auch mit der Roma-Frage befasst.

Die letzten vier Jahre meiner Tätigkeit in Rumänien habe ich mich zentral mit Fragen der Roma beschäftigt. Sie wollen nicht Roma genannt werden, sie nennen sich selber Zigeuner. Wir haben vier Jahre lang Alphabetisierungsprogramme durchgeführt. Nicht im Banat, nicht in Bukarest, sondern in Galaţi, Sălaj, Iveşti und anderen Ortschaften. Unterricht wurde streng getrennt gehalten. Wenn wir nur einen Frauenkurs gemacht haben, dann achteten die Ehemänner oder Väter streng darauf, dass auch der Lehrer eine Frau war. Das gehört zu den kulturellen Traditionen dieser Ethnie. Nach sechsmonatigen Kursen konnten die Teilnehmer ab der vierten Klasse in staatlichen Schulen weitermachen. Leider wurde das Programm nach meinem Ausscheiden eingestellt. Wir haben aber auch im lokalpolitischen Bereich Veranstaltungen durchgeführt. Ich meine, das war sehr erfolgreich. Man hat von Roma-Seite das wahnsinnig bedauert, dass diese Tätigkeit eingestellt wurde. Und von meiner Seite aus auch. 

In Temeswar sorgen Mitglieder der Romafamilie Cârpaci für negative Schlagzeilen. Die Presse spricht von einer sogenannten „Imobilienmafia”. Das wirft einen Schatten auf die Ethnie und erschwert den Abbau von Vorurteilen.

Das mag so sein. Es gibt sehr viele Vorurteile. Meiner Meinung nach muss die Bildung im Vordergrund stehen und das muss kontinuierlich geschehen. Und diesen Vorwurf kann ich der rumänischen Politik nicht ersparen, dass man zumindest in den 1990er Jahren der Meinung war: Ach, Gott, wenn ihr ausländische Institutionen das macht, dann brauchen wir uns nicht darum zu kümmern. Das war die Einstellung in den 1990er Jahren. Man hat dann bei den Präfekturen jeweilige Büros eingerichtet. Letiţia Mark war auch hier in Temeswar in der Präfektur integriert, aber es flossen keine Gelder von Bukarest. Die konnten ja kaum etwas tun. Und das erscheint mir das Problem. Man muss ein Konzept entwickeln. Ein Konzept, das mit Bildung anfängt und mit Bildung aufhört, und zwar von klein auf. Dann kann sich möglicherweise auch, zumindest bei der Generation, die dann nachwächst, die Tendenz zur Kriminalität vermindern. Wie gesagt: Bildung, Bildung, Bildung. Das ist wichtig. Da muss im Grunde die jeweilige Regierung klotzen und nicht kleckern.

Plant die Rumänisch-Deutsche Kulturgesellschaft bzw. das deutsche Kulturzentrum Veranstaltungen, die sich mit der Romafrage auseinandersetzen sollen? Im letzten Jahr stand besonders die jüdische Gemeinde kulturell im Vordergrund.

Wir haben letztes Jahr einiges in den Mittelpunkt gestellt und wir bemühen uns seit geraumer Zeit, Franz Remmel als Referenten zu gewinnen. Er gilt ja als der Zigeunerkenner hier in Rumänien, der über zehn Bücher verfasst hat. Wir möchten ihn gerne nach Temeswar bringen. Wenn es in diesem Jahr nicht klappt, dann im nächsten. Wir möchten es dann auch zweisprachig machen. Wir möchten auch die Roma-Organisationen ansprechen und versuchen, etwas in Gang zu bringen. Ja, das haben wir vor. Und das meine ich, müsste auch geschehen, denn da müssen wir auch mit kleinem Beispiel vorangehen. Wenn es die große Politik einfach nicht schafft, aus welchen Gründen auch immer, sich damit auseinanderzusetzen. 

Wie schätzen Sie die Kulturarbeit des deutschen Forums Temeswar ein?

Da fehlt es an Transparenz und Kommunikation. Was die Kulturarbeit anbelangt: Es ist ganz klar an eine ältere Zielgruppe gerichtet. Ich bin selber Mitglied im Temeswarer Forum, aber es ist ein bisschen enttäuschend, dass wenig Jugendliche sich dort beteiligen und dass Mitgliederversammlungen von Monat zu Monat verschoben werden. Man hat uns als Kulturgesellschaft mit einem gewissen Misstrauen beäugt. Weil man Sorge hatte, dass möglicherweise Zuwendungen verlagert würden. Das ist ja nicht der Fall. Das Kulturzentrum und die Kulturgesellschaft wird aus anderen Mitteln der Bundesrepublik finanziert, als die Forumstätigkeit. Das beißt sich überhaupt nicht. Wir haben auch schon die eine oder andere Veranstaltung hier im Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus durchgeführt. Aber es ist schwer, die Mitglieder in irgendeiner Weise zu mobilisieren, an kulturellen Veranstaltung, die wir anbieten, teilzunehmen. Ich habe mich schon gefragt, ob es an der Uhrzeit liegen mag. Denn wenn man in einem bestimmten Alter ist, dann geht man ja nicht nach 20 Uhr auf die Straße. Möglicherweise ist das ein Grund. Ich weiß es nicht. Ich würde mich freuen und würde mir auch wünschen, dass man die kulturelle Arbeit zwischen dem Kulturzentrum und dem demokratischen Forum auch ein bisschen enger verzahnen könnte.