Die Kultur auf dem absteigenden Ast?

Das Kulturbarometer 2014 versucht eine Standortbestimmung der Kultur in der rumänischen Gesellschaft

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„Kultur – global und lokal“: Unter diesem Motto versucht das Nationale Institut für kulturelle Forschung und Bildung (Institutul Naţional pentru Cercetare şi Formare Culturală, INCFC), die Ergebnisse seines Kulturbarometers für 2014 zusammenzufassen. Darin sollen die Entwicklung und das Ansehen kultureller Werte in der Bevölkerung Rumäniens festgehalten und der Stellenwert der Kultur im Alltagsleben umrissen werden. Dabei stehen ausschließlich die gängigen Begriffe wie Konzert- und Theaterbesuche, Medienkonsum oder Denkmalpflege im Mittelpunkt. Die hierzu in der jährlichen Studie zusammengefassten Analysen gelten als die wichtigste Datensammlung zur allgemeinen Stellung der Kultur in Rumänien.

Für die diesjährige Untersuchung wurden 1260 Personen befragt, davon allein 840 in Bukarest. Damit besitzt sie in erster Linie eine starke Aussagekraft für den kulturellen Alltag in der Hauptstadt. Beinahe zu erwarten: Die Studie unterstreicht, dass die kulturelle Landschaft hier um ein Vielfaches reichhaltiger ist als im Rest des Landes – dies sei zum einen auf ein soziokulturell vielschichtiges Publikum und eine vergleichs-weise gute kulturelle Infrastruktur zurückzuführen, doch zum anderen beruhe dies auch auf einem relativ weit gediehenen unabhängigen Kunst- und Kulturbetrieb. So liege die Beteiligung an kulturellen Veranstaltungen um etwa 10 Prozent über dem Landesdurchschnitt. Einzige Ausnahme bilde der Besuch von Festivals: In Bukarest habe das Publikum stets eine weitaus größere Auswahl und hänge somit weniger von periodisch organisierten Großereignissen ab. 2014 seien für 22 Prozent der in der Hauptstadt Befragten Popkonzerte am gefragtesten gewesen, gefolgt von Stand-up-Comedy (19 Prozent) und weiterer zeitgenössischer Musik (16 Prozent). Am unteren Ende der Beliebtheitsskala rangierten dagegen mit jeweils 11 Prozent der Befragten  Opern- und klassische Musikaufführungen sowie Ballettdarbietungen (4 Prozent).

Einen gewaltigen Nachholbedarf will die Untersuchung indessen im Konsum von Printmedien gegenüber Film und Fernsehen hervorheben: 55 Prozent aller Befragten informierten sich demnach mindes-tens einmal pro Monat in einer Zeitung oder in ihrer jeweiligen Onlineausgabe, während 90 Prozent im selben Zeitraum mindestens einmal Zeit vor dem Bildschirm verbrachten. Aller-dings nennt die Studie weder die genaue Dauer des Fernsehens noch welche Art von TV-Sendungen dabei bevorzugt wurde – es wird also nicht zwischen Unterhaltungs-, Informations- oder Bildungsprogrammen unterschieden. Filme jedweder Art würden sowohl unter der befragten Stadtbevölkerung (47 Prozent) als auch auf dem Land (43 Prozent) mindestens einmal im Monat geschaut, doch auch hier werden keine genauen Angaben über deren Bildungsgehalt gemacht.

Im Gegensatz zu den elektronischen Unterhaltungsmedien scheint sich das Schauspiel in einer dauerhaften Krise zu befinden. In den vergangen Jahren, so die Studie, gelinge es den Theatern immer weniger, neue Zuschauer zu begeistern und diese dauerhaft zu binden. Das Barometer erkennt hier einen europaweiten Trend: In Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten hätten sich die finanziellen Prioritäten der Bürger gewandelt – Ausgaben zur eigenen Fortbildung und Karriereplanung stünden nun im Vordergrund. In Rumänien werde das Desinteresse am Theater indessen mit Zeitmangel (30 Prozent der Befragten) und der geringen Qualität der Darbietungen (29 Prozent) begründet. Dagegen seien Opern- und Tanzaufführungen bei den Befragten insbesondere wegen des landesweit sehr schwachen Angebots kaum gefragt: Ihnen stünden die Türen von nur sieben Opernhäusern offen, und dies bei einer oftmals verbesserungswürdigen Qualität.

Für eine Verbesserung des kulturellen Lebens in Rumänien sieht die überwältigende Mehrheit der Befragten unterdessen den Staat in seiner Pflicht. Die Möglichkeit von Mehrfachnennungen ergab, dass in 88 beziehungsweise 87 Prozent aller Fälle die Verantwortung hierfür der Regierung und den lokalen Behörden zugewiesen wird. 56 Prozent der Antworten zielten zudem auf den privaten Sektor und Nichtregierungsorganisationen sowie 52 Prozent auf internationale Unternehmen. Zusätzlich versucht das Barometer, das generelle Ansehen von Künstlern in der rumänischen Gesellschaft zu ermitteln. Als solche gelten laut Studie in erster Hinsicht Musiker, ungeachtet ihrer Tätigkeit als Komponisten oder Interpreten.

Auch deren Wirken in der „gehobenen“ oder in der „populären“ Kultur sei hierfür zweitrangig –  diese seien für die Befragten unterschiedslos Künstler. An zweiter und dritter Stelle stehen für sie Schauspieler und Maler. Ganz gleich ob Zeichner, Sänger oder Schauspieler – für 56 Prozent der Befragten sind Künstler in der rumänischen Gesellschaft „angemessen respektiert“. Dieses Ansehen schlägt sich jedoch nicht auf ihre Wunschvorstellungen für den eigenen Nachwuchs nieder. Könnten die Eltern tatsächlich über dessen Berufswunsch bestimmen, würde die kommende Generation gemäß den im Kulturbarometer berücksichtigten möglichen Mehrfachnennungen nur zu 14 Prozent aus Schauspielern, zu 12 Prozent aus Architekten und schließ-lich zu 10 Prozent aus Journalisten bestehen – vor Musikern, Fotografen und Regisseuren.

Die vermeintliche Wertschätzung für Künstler in der rumänischen Gesellschaft spiegelt sich jedoch nicht im Erhaltungswillen von Kulturgütern wider. Laut Kulturbarometer 2014 sind 70 Prozent der Befragten nicht dazu bereit, hier einen finanziellen Beitrag zu leisten. Stattdessen sehen sie – ebenfalls bei möglichen Mehrfachnennungen – mit 66 Prozent die lokalen Behörden, mit 45 Prozent das Ministerium für Kultur, mit 10 Prozent die Europäische Union und mit nur 6 Prozent die Kirche in ihrer Pflicht. 

Doch wie ist es um das staatliche Engagement bestellt? Kulturminister Ionuţ Vulpescu deutet an: Sein Ministerium erhalte gerade einmal 0,08 Prozent der für 2015 vorgesehenen Gesamtausgaben. Eine Besserung der Lage sieht er jedoch nicht in einer Erhöhung dieses Budgets, sondern in einer Stärkung von Lehre und Bildung. Dafür müsse das Bildungsminsterium eingebunden werden. „Bereits im Kindergarten und in der Grundschule muss man darauf hinarbeiten, dass Kinder künstlerische Fähigkeiten entwickeln“, unterstreicht Vulpescu. Zudem zeige die Regierung bereits Initiative: Kulturhäuser im ländlichen Raum würden renoviert, und als Festsäle vermietete Bibliotheken wieder als solche eröffnet. Dennoch: „Wenn dies nicht in ein Bildungsprogramm eingebunden wird, durch welches die künstlerische Enwicklung im empfänglichsten Alter gefördert wird, dann können diese Initiativen ihr Ziel nicht erreichen.“ Es wird deutlich: Statt auf die Aussagekraft konkreter Zahlen verweist das Barometer auf viel grundlegendere Fragen: Was gilt als Kultur, wer ist für ihren Erhalt verantwortlich, und welche Bedeutung wird ihr im Alltag und für heranwachsende Generationen beigemessen? Kurzum - es besteht Handlungsbedarf.