Die Lehr-Kirchenburg

...oder warum Siebenbürgen-Reisen unbedingt in Frauendorf beginnen sollten

Wehrhafte Insel im weiten Land... Fotos: George Dumitriu

Burgführerin Lidia Pelger freut sich über interessierte Besucher.

Kirchenschiff: Blick in Richtung Kanzel und Chor

Einen Rammbock braucht man nicht mehr, um die Kirchenburg von Frauendorf/Axente Sever zu erobern. Einen Rammbock bestaunen kann man dort hingegen! In Originalgröße steht er im Hof, gefertigt von einem deutschen Handwerksgesellen aus Reichesdorf/Richi{, wie Burgführerin Lidia Pelger erzählt. „In Originalgröße,  nach alter Technik“, fügt sie an, „ebenso wie das Katapult.“ Vor dem Burgmuseum verwöhnt sie unsere Gruppe nach der Führung mit Striezel und Kaffee.  Mit dem Becher in der Hand schlendern wir durch den Bering, von einer Schautafel zur andern. Über die Entwicklung der Kirchenburgen, die Einwanderungswellen der Sachsen aus ihren verschiedenen Ursprungsgebieten oder den dörflichen Alltag, etwa die Technik des Kalkbrennens oder die Bedeutung des Ochsenwagens, kann man sich hier ausführlich informieren. Wollte man der Kirchenburg von Frauendorf ein Motto geben, man müsste sie „die Lehr-Kirchenburg“ nennen.

 

Schnell wird dem Besucher klar: Eine Reise durch die siebenbürgische Kirchenburgenlandschaft müsste eigentlich hier beginnen. Am besten bringt man viel Zeit mit, um auch das Museum ausführlich zu studieren. Es wurde 2009 von einem Holländer namens Antoine „Ton“ van Rijen ins Leben gerufen, der sich 2005 nach Frauendorf verirrt hatte. Auf seiner Rundreise durch Siebenbürgen überraschten und faszinierten ihn damals die Parallelen der sächsischen Mundart mit der Sprache seiner Heimat, sowie mit der in Flandern (Belgien) und Luxemburg. Auch im Kulturerbe entdeckte er frappierende Gemeinsamkeiten: Trachten wiesen ähnliche Elemente auf, Namen von Einwanderern ließen sich nach Holland oder Belgien zurückverfolgen. Van Rijen begann zu forschen. Zweimal im Jahr besuchte er fortan Frauendorf. 2010 brachte er zusammen mit Maarten Ruiters und Tudor [eulean ein Buch über Siebenbürgische Kirchenburgen heraus: „Mo{tenirea s˛seasca din Transilvania“ (Das Erbe der Siebenbürger Sachsen).  Für seine Idee, ein Museum in einer der Fruchtkammern im Bering der Burg einzurichten, gelang es ihm, Stiftungen aus den Niederlanden und Deutschland zu gewinnen. Auch die Restauration der Kirchenburg, die 2009 abgeschlossen wurde, hatte er initiiert. Ein Mann, der selbst nicht viel Geld hatte, doch wusste, wie man Hebel in Bewegung setzt - und begeistert. Das heutige Siebenbürgen, wo an manchen Ecken interessante Projekte entstehen – oft sind Kirchenburgen die Kondensationskeime - lebt von solchen Menschen. Ton van Rijen ist 2016 verstorben, doch sein Vermächtnis in Frauendorf lebt weiter.


Das Blumenfest


Das Dorf an der Wegkreuzung zwischen Mediasch/Media{ und Hermannstadt/Sibiu wurde erstmals 1305 erwähnt, als Besitz der ungarischen adeligen Familie Apafy. 1516 erhält es den Status eines freien Dorfs, das zum Schelker Stuhl gehörte. Zum Namen der Gemeinde, die ursprünglich Frâua hieß, gibt es mehrere Theorien: Er könnte auf die Heilige Maria zurückgehen, die Schutzpatronin der ursprünglich katholischen Kirche, oder aber auf ein nahegelegenes Frauenkloster. Lidia Pelger erzählte hingegen, dass es unter den Einwanderern um 1200 einen Frauenüberschuss gegeben haben soll. 1933 erhält Frâua den Namen eines dort geborenen Anführers der  nationalen Freiheitsbewegung in Siebenbürgen während der  Revolution von 1848: Axente Sever, „der strenge Axente“, bürgerlich Ioan Axente (1821-1906).
Vor der Wende gab es noch ca. 900 Sachsen in dem 1700-Seelen-Dorf, erinnert sich Lidia Pelger. Die meisten sind nach 1989 nach Deutschland ausgewandert. Heute bilden Rumänen und Roma die Mehrheit, nur drei Sachsen sind übrig geblieben - und einige gemischte Familien. Trotzdem findet noch alle zwei Wochen ein Gottesdienst in der evangelischen Kirche statt, zudem uch Gläubige aus den umliegenden Dörfern kommen. „Danach treffen wir uns immer zu Kaffee und Tee und plaudern“, erzählt die Burgführerin. Auf der Trachtenparade des Heimattags in Dinkelsbühl sind die Frauendorfer leicht auszumachen: Man erkennt sie an dem üppigen Blumen-Kopfschmuck. Er geht auf das Frauendorfer Blumenfest zurück, das zur Begrüßung des Frühlings um die Faschingszeit herum begangen wurde. Es war die Zeit, in der sich Paare zusammenfanden und ihre Absichten kundtaten. Ein Fest der Liebe, wie der rumänische Dragobete-Tag oder der amerikanische Valentines Day.  Heiratsfähige Mädchen banden üppige Sträuße aus bunten Seiden-, Stoff- oder Papierblumen, die von Kindern zum Auserwählten gesandt wurden. Dieser trug das Gebinde während des dreitägigen Festes als Kopfschmuck. Nach den beiden Weltkriegen und vor allem im Kommunismus wurde das Blumenfest nur noch sporadisch ausgetragen, zum letzten Mal 1984, schreibt Mihaela Kloos-Ilea in ihrem lesenswerten Blog „Povești săsești“ (sächsische Geschichten). Im Museum der Burg – und in so mancher anderen ethnografischen Sammlung - kann man die aparten Blumenhüte bestaunen.

Mühevoller Alltag
Wie das Leben früher im Alltag gewesen sein mag, illustrieren Schautafeln im Bering. Etwa über die Bedeutung des Ochsenwagens - ein 2011 restauriertes Modell kann man im Hof bestaunen. „Jahrhundertelang war der Ochsenwagen das meist benutzte Transportmittel“, heißt es dort, „damit konnte man eine Last von  rund 1500 kg befördern.“ Ein Weg zum Markt mit einer Geschwindigkeit von 2,5 bis 3 km/h, meist wurde ein dritter Ochse als Reserve mitgenommen, war ein Tagesunternehmen. Bis 2003 soll es noch Ochsenkarren in der Gegend gegeben haben.
Ein anderes, aus dem Alltag nicht wegzudenkendes Element war die Kalkgrube, die zu jedem Hof gehörte. Um den Kalk aufzubereiten, mussten Kalksteine aus dem Steinbruch herbeigeschafft, gebrochen und zerkleinert werden. Im Ofen wurde der Kalk bei bis zu 1250 Grad Celsius gebrannt. Gießt man langsam Wasser auf die Steine, zerfallen sie unter Wärmeabgabe zu Brei. Die gesiebte und gerührte Kalkmasse wurde anschließend in Gruben gelagert, abgedeckt von einer dünnen Wasserschicht. Optimale Qualität erreicht der Kalk erst nach drei Jahren. Zur Herstellung von Mörtel wurde er mit Wasser und Sand gemischt, als Bindemittel konnte man Blut, Öl, Eier oder Tierhaare zugeben.


Mauern, Schießscharten und Armbrust


Etwa 300 Kirchenburgen – einzigartig in der europäischen Architektur - soll es ursprünglich in ganz Siebenbürgen gegeben haben. Typisch ist die Vielfalt der verwendeten bautechnischen Lösungen. Zu Beginn bestanden die Wehranlagen zum Schutz vor plündernden Wandervölkern aus einfachen Erdwällen oder Holzbarrikaden. Erst im Verlauf des 14./15. Jahrhunderts entstanden kleindimensionierte Burgen, ie jedoch in hohem Maße wehrhaft waren. Neben dem Glockenturm wurden weitere Türme hinzugefügt, meist von den Zünften, die diese pflegten und im Angriffsfall verteidigten. Im Zentrum stand fast immer die Kirche.
Der massive Glockenturm von Frauendorf überragt seit Jahrhunderten alles in der Gegend. Obwohl er wie aufgesetzt wirkt, zählt er zu den ältesten Bauelementen der 1322 anstelle einer romanischen Kapelle errichteten gotischen Saalkirche. Um 1490 wurde auch sie zu Verteidigungszwecken ausgebaut.  Wehrgeschosse und Wehrgänge mit Schießscharten und Pechnasen entstanden, es gab zwei Falltüren und zwei Fluchttunnel. Im Inneren der Ringmauer wurden Wohnkammern und Kornkammern angelegt. Mehrere Brunnen versorgten die Verschanzten. Heute kann man in den Kammern des Berings übernachten: 14 Betten zählt die Pension in der Burg.
Womit man wohl damals geschossen hat? Neben Pfeil und Bogen war die Armbrust die gefürchtetste aller Waffen. Erstmals im 10. Jahrhundert erwähnt, wurde sie aufgrund ihrer schrecklichen Wirkung gegen Ritterrüstungen 1135 von Papst Innozenz II. verboten - was  Söldnerheere nicht davon abhielt, von der Waffe Gebrauch zu machen. Eine Replika kann man im Museum von Frauendorf bestaunen. Ihre tödliche Reichweite betrug 160 Meter bei ein-zwei Schüssen pro Minute!
Heute erinnern nur noch die massiven Mauern an diese turbulenten Zeiten. Die Kirche ist eine Oase der Ruhe. Schmuckstücke sind die barocke Orgel (1777) und der Altar aus derselben Zeit, ausgestaltet vom Mediascher Maler Stephan Valepagi. Im bäuerlichen Barock wurden auch Kanzel und Balkone gestaltet. Von dort verkünden pausbäckige Blasengel – tja, was wohl? Horch! Flüstert da nicht jemand von oben herunter? „Von jetzt an nur noch friedliche Besucher für unser schönes Kirchenburgenland.“