Die Liebe in den Zeiten der Deportation

Kinopremiere von Radu Gabreas Spielfilm „Lindenfeld“

Victor Rebengiuc und Victoria Cociaş in Radu Gabreas Film „Lindenfeld“

Die Verschleppung, Vertreibung und Zwangsverschickung der jüngeren Jahrgänge der Rumäniendeutschen in die Sowjetunion im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs war nicht nur in Rumänien lange Zeit ein Tabuthema. Der siebenbürgisch-sächsische Schriftsteller Erwin Wittstock beispielsweise konnte seinen Roman „Januar ’45 oder Die höhere Pflicht“, der sich mit der Deportation der Siebenbürger Sachsen aus Hermannstadt befasst, zu Lebzeiten nicht veröffentlichen.

Der neueste Film von Radu Gabrea, der am 20. Juni seine Premiere in den rumänischen Kinos erlebte, wendet sich nun gerade diesem Thema in Gestalt einer über ein halbes Jahrhundert umspannenden Liebesgeschichte zu. Bei dem Liebespaar des Films handelt es sich um zwei junge Deutsche, Ulli und Helga, aus dem Banat, und zwar aus einem auch in der Realität existierenden Dorf namens Lindenfeld. Das Dorf im Kreis Karasch-Severin wurde Anfang des 19. Jahrhunderts von Deutschböhmen gegründet, war im Laufe seiner Geschichte fast nur von Deutschen bewohnt, und ist heute verlassen.

Radu Gabreas Film basiert in Teilen auf dem 2006 erschienenen Roman „Lindenfeld“ des rumänischen Schriftstellers und Publizisten Ioan T. Morar, so wie auch andere Filme des 77-jährigen Regisseurs, Drehbuchautors und Produzenten, die sich ebenso mit rumäniendeutschen Themen befassen, gleichfalls auf literarischen Vorlagen fußen, man denke etwa an Gabreas Verfilmungen „Der geköpfte Hahn“ (2007) und „Rote Handschuhe“ (2010) der gleichnamigen Romane von Eginald Schlattner.

Der Plot des Drehbuches von Adrian Lustig und Radu Gabrea ist schnell erzählt. Durch das Schicksal der Deportation wird das Liebespaar aus Lindenfeld auf grausame Weise auseinandergerissen. Helga wird in die Sowjetunion deportiert und kehrt erst Jahre später nach Lindenfeld zurück. Ulli, der sich vor den Deporteuren verstecken konnte, flieht gen Westen, versucht seine Heimat völlig zu vergessen, baut sich eine Existenz in der Bundesrepublik Deutschland auf, wird Firmenchef und Millionär, heiratet nie, adoptiert aber einen Stammhalter, erhält von seinem Arzt eine Alzheimer-Diagnose und macht sich dann auf den Weg zu seinem Geburtsort Lindenfeld, nachdem er durch Zufall erfahren hat, dass auch Helga dorthin zurückgekehrt ist. Das Liebespaar begegnet sich schließlich, sechzig Jahre nach der gewaltsamen Trennung, am Ort ihrer Jugendliebe wieder. Und ihre Liebe hält am Ende allen Gefährdungen stand: dem vorgerückten Alter der beiden, dem fortschreitenden Gedächtnisverlust Ullis, wie auch der von Ullis Adoptivsohn inszenierten Schmierenkomödie, die dem Vater vorgaukeln soll, dass Lindenfeld leibt und lebt.

Radu Gabreas Film „Lindenfeld“ wartet mit einer schauspielerischen Starbesetzung auf, die dem Film von vornherein Erfolg zu garantieren scheint. Victor Rebengiuc spielt auf gewohnt souveräne Weise den greisen Ulli, Victoria Cociaş kongenial die greise Helga. Ion Caramitru hat einen in sich gerundeten Gastauftritt als Ullis Hausarzt, und Mircea Diaconu müht sich sichtlich mit der gezwungen komischen Rolle des Schmierentheaterdirektors Oskar. Alexandru Georgescu als Ullis Chauffeur und Leibdiener Boris spielt seinen Part professionell, wirkt aber im gesamten Film wie ein Fremdkörper, was ihm selbst aber am wenigsten anzulasten ist. Äußerst gelungen ist die Besetzung des jugendlichen Liebespaares: Ioana Bugarin als Helga besticht durch Natürlichkeit und Authentizität, und Hora]iu Covlescu lässt im Gesicht des jungen Ulli das aufblitzen, was im Antlitz des alten schon lange versteinert und verwittert ist.

An profunden Themen hat der Film auch einiges zu bieten. Ullis Wunsch, seine in Rumänien gelegene Heimat völlig zu vergessen, steht in konflikthaftem Gegensatz zur Sehnsucht, die Liebe zu Helga für immer im Herzen zu bewahren. Ullis demenzbedingter Gedächtnisschwund wiederholt motivisch diesen Kampf zwischen Vergessen und Erinnerung. Biografie als potemkinsche Staffage, Liebe im Alter, Rückkehr zu den Wurzeln, Schuld und Sühne sind weitere gewichtige Themen, die in Radu Gabreas Film anklingen.

Wie kommt es dann nur, dass in „Lindenfeld“ alles inszeniert, künstlich, unecht und gewollt erscheint? Dass sich der Film nicht zu einer Einheit zusammenfügt? Dass „Lindenfeld“ in einigen schauspielerischen Momenten, aber nicht im Ganzen überzeugt? Eine historische, eine sprachliche, eine das Drehbuch und eine die Schauspieler betreffende Beobachtung mögen versuchen, darauf eine Antwort zu geben.

Kennern der rumänischen Geschichte ist bekannt, dass die Deportationen der Rumäniendeutschen im letzten Kriegswinter 1945 vonstatten gingen. Die Drehbuchautoren wissen das und lassen dies die Filmfigur Ulli an einer Stelle auch deutlich aussprechen. Dennoch heften sich die Deportationserinnerungen des Protagonisten an Sommerbilder, die zwar symbolische Bezüge kultureller Art etwa zu van Goghs Sonnenblumen oder politischer Art etwa zur Sichel im Wappen des sowjetischen Arbeiter- und Bauernstaates eröffnen, aber den realhistorisch-biografischen Zusammenhang als bloß konstruiert erscheinen lassen.

Gabreas Film trägt sprachlich der in ihm geschilderten historischen Situation durchaus Rechnung. Die Deutschen aus Lindenfeld sprechen auch im Film tatsächlich Deutsch, wenngleich nur zu Beginn des Films. Es ist aber schlechthin undenkbar, dass Ulli und Helga bei ihrer Wiederbegegnung nach sechzig Jahren im vertrauten Zwiegespräch ihr heimisches Idiom zugunsten des Rumänischen aufgeben. Da hilft auch das deutsche Volkslied vom Seidelbast nicht, das der Regisseur die greise Helga in ihrer Bauernstube singen lässt. Eine klare Entscheidung für das Rumänische als Filmsprache hätte dem Zuschauer manche Zumutungen und Ungereimtheiten erspart.

Auch im Plot des Films findet sich Unwahrscheinliches zuhauf. Der Protagonist, der doch dem Drehbuch gemäß seine rumänische Herkunft konsequent verdrängt und seinen Geburtsort sogar seinem eigenen (wohlgemerkt rumänischen) Butler gegenüber verschweigt, bewegt sich in Deutschland in einer nahezu geschlossenen rumänischen Gesellschaft. In seiner Frankfurter Firma ist die Verkehrssprache das Rumänische, sein Hausarzt, ja sogar die Sprechstundenhilfe spricht Rumänisch mit ihm. Genauso unplausibel, nicht nur sprachlich, sondern auch dramatisch, ist die zufällige Begegnung Ullis mit der gealterten Irma (Monica Ghiuţă) in Frankfurt filmisch wiedergegeben, sodass man sich nicht wundert, dass auch gute Schauspieler anlässlich solcher Zumutungen des Regisseurs innerlich erstarren.

Nur gut, dass Victor Rebengiuc und Victoria Cociaş in ihren gemeinsamen Szenen nach der Wiedererkennung sich von dieser steifen und statuarischen Art der Regie emanzipieren und zu echten Dialogen von dramatischer Intensität finden. Auf die Weichzeichner-Optik à la David Hamilton (in den Bauernstubenszenen) und auf die penetrante Verwendung des populären Kanons in D-Dur von Johann Pachelbel (mit einer Ausnahme die einzige Filmmusik!) hätte man dabei gut und gerne verzichten können. Humoristische Kabinettstückchen und einzelne bewegende, rührende oder ergreifende Szenen machen aber noch keinen Film aus, den man im Ganzen empfehlen könnte.