Die Muse von der Steinburg

Dichterin wider den tierischen Ernst

Die Schärpe bekam Doris Hutter, als sie zur Ritterin wider den tierischen Ernst geschlagen wurde.Foto: Nina May

„Humor ist, wenn man trotzdem lacht”, zitiert Doris Hutter das bekannte Sprichwort. „Und deutscher Humor ist, wenn man trotzdem nicht lacht”, führt sie in ihre Lesung ein. Die anfangs vereinzelten, sich bald bis zum saalfüllenden Brüller steigernden Reaktionen des Publikums strafen die aus Siebenbürgen stammende, in Nürnberg lebende Dichterin, Lehrerin, HOG-Vorstandsmitglied und Urzelläuferin Lügen. Sächsischer Humor ist, wenn man sich in Zwerchfellkrämpfen windet. Unerwartet? Gewiss... vor allem für eine Veranstaltung in der Residenz des deutschen Botschafters. Und wohl auch für diesen, denn Botschafter Werner Hans Lauk erklärt, wie er überhaupt auf die Idee mit der Lesung gekommen ist: Es war beim Besuch des Sachsentreffens in Dinkelsbühl, als ihm ein Flyer in die Hände fiel: „Humor bei den Siebenbürger Sachsen”. „Da muss ich hin!”, schoss es ihm durch den Kopf.

Als große Poetin wollte die Mundartdichterin, die dank ihrer moselfränkischen Vorfahren zuhause „ein wenig wie Walther von der Vogelweide spricht”, nicht vorgestellt werden. Gelegenheitsgedichte nennt sie ihre Palette an humorigen Versen, einem Mix aus Anekdoten und Lebenserinnerungen mit vorwiegend sächsischem Hintergrund. Titel wie „Winnetou in Großpold”, „Der Tschiripik” (eine deutsche Version des rumänischen „şmecher”, wie sie sagte) oder „Das Heimwehzimmer” machten schon im Programmheft neugierig. Letzteres ist übrigens nicht, wie man meinen möchte, eine Art Museumszimmer voller folkloristischer Erinnerungen.... sondern vielmehr ein Raum, in dem heimwehgeplagte Auswanderer schnelle Heilung erfahren: Es ist leer, verrät Doris Hutter – bis auf ein Bild von Ceauşescu: Doch „sein Anblick gleich erfüllt den Zweck, das Heimweh war auf einmal weg!”

Auch die Eigenheiten der Siebenbürger Sachsen nimmt sie humorvoll-spöttisch aufs Korn, etwa in der Geschichte von dem Galgen für zwei Dörfer. Weil das eine Dorf keinen Galgen hatte, sah man sich gezwungen, gelegentlich jemanden im Nachbarort aufzuknüpfen, bis es den dortigen zu bunt wurde. Man solle sich gefälligst einen eigenen Galgen anschaffen, teilte man schriftlich mit, denn dieser sei „für uns, unsere Kinder und Kindeskinder!”

Auch mit selbstironischen Reflexionen spart die aus Agnetheln/Agnita stammende Mathematiklehrerin, die 1989 mit drei Kindern von vier bis sieben Jahren nach Nürnberg zog, nicht. „In der Sonne, aber geblendet” suchte sie dort ihr neues Glück. Für die aus dem kommunistischen Rumänien kommende, im Schlangenstehen traumatisierte und an Hamsterkäufe gewohnte Auswanderin äußerte sich dieses in vielen Formen: „einmal im Kauf von gleich vier Packungen Klopapier”. Und natürlich musste man all das unbekannte Neue entdecken: „Coffee to go” – nicht etwa eine Spezialität aus Togo. „Das Land von Goethe zu finden war schwer”, gesteht Doris Hutter. Mit Humor geht’s leichter.

Heute ist die Wahl-Nürnbergerin als Verfasserin mehrerer Theaterstücke bekannt und hat ein Theater für Jugendliche mit Wurzeln in Siebenbürgen gegründet, um Gemeinschaftsgefühl und Verständnis für die alte Heimat zu fördern. Darüber hinaus ist es ihr gelungen, die deutsche Faschingsnarrenstadt mit einem sächsischen Brauch aus Agnetheln zu bereichern: dem Urzellauf! Kein Wunder, dass die peitschenknallende Verse-Spötterin im Urzelkostüm in Rottweil 2009 als erste siebenbürgische Ritterin wider den tierischen Ernst mit dem Titel „Muse um und von der Steinburg” ausgezeichnet wurde.

Weil es nun nicht fair wäre, ganz ohne Kostprobe zu schließen, hier die sinngemäße Wiedergabe eines Gedichts „Die Lehre”: Der Hans hatte eine Eigenschaft, die den anderen Jungen missfiel. Seine Wurst aß er ganz schnell und bettelte dann bei diesem und jenem Kameraden um ein kleines Stückchen. So schaffte er es stets, sich richtig satt zu essen. Irgendwann beschlossen die anderen, ihm eine Lehre zu erteilen. Heimlich stibitzten sie ihm seine Wurst aus dem Papier und wickelten statt dessen eine „Hundewurst” hinein.

Als erwartungsvoll die Stunde der Mahlzeit kam, löffelten die Freunde bereits ihre Suppe, nur der Hans saß still dabei und rauchte bloß. Bis es einer der Jungen nicht mehr aushielt und fragte: „Hans, willst du denn heute gar nicht essen?” Darauf dieser, rauchend: „Was ich gerade erlebt habe, gibt mir sehr zu denken! Stellt euch vor: Weil meine Wurst so kalt war, habe ich sie in eurer Suppe nur ein wenig aufwärmen wollen. Dabei bin ich eingenickt. Und als ich sie wieder herausnehmen wollte – da hatte sie sich vollständig aufgelöst!” Der nicht enden wollenden Lachsalve folgte ein Gedicht über „Mallorca”, für das der Botschafter besonders herzlich dankte. Denn die Überleitung zum Empfang wäre ihm nach der vorangegangenen Geschichte etwas schwer gefallen...