Die Oberschwaben und ihr „Buki-Haus“ im Sathmarer Land

Bad Saulgauer Initiative kümmert sich um Roma-Kinder: „Bildung ist das Wichtigste!“

Ihr sind die Roma-Kinder in Cidreag seit Jahren ans Herz gewachsen: Heidi Haller aus Bad Saulgau von der „Buki-Hilfe e.V.“

Seit sieben Jahren hilft Stefan Zell von der „Buki-Hilfe e.V. Bad Saulgau“ armen Roma-Familien

Bildung ist das Wichtigste: Roma-Kinder beim Lernen im „Buki-Haus.“

Schon wieder ist es passiert: Stumm zeigt Heini, eine Frau Anfang 20, auf das, was mal ein Fenster war: Die Scheibe zerbrochen, der morsche Rahmen angeknackst. „War dein Mann schon wieder da? Und hat er die Scheibe eingeschlagen?“ fragt Heidi Haller. Heini nickt wortlos; ein Hauch von Ängstlichkeit huscht über ihr hübsches, schmales Gesicht. „Immer wieder dasselbe: Obwohl er Hausverbot hat, kommt Heinis Mann immer wieder zurück – und schlägt zu!“ Heidi Haller, Anfang 50, stammt aus Bad Saulgau. Heini, Anfang 20, ist in Cidreag zuhause – ein kleines Dorf im Nordwesten Rumäniens, nur ein paar Hundert Meter von der Grenze zur Ukraine entfernt. Dass sich Heidi und Heini hier häufig begegnen, ist ein Glücksfall: Denn, eher aus Zufall entdeckte der oberschwäbische Verein „Bukihilfe e.V.“ Bad Saulgau die 1200-Einwohner-Gemeinde Cidreag – ein Dorf, in dem die Zeit stehen geblieben ist. Die Hälfte der Bevölkerung hat einen Roma-Hintergrund; viele der Menschen leben in Behausungen, in denen es an allem fehlt: fließendes Wasser, Türen, Toiletten, Betten. Seit acht Jahren bieten die Leute der Bukihilfe hier genau das an, was am meisten Abhilfe verspricht: Bildung.

Heidi Haller aus Bad Saulgau kriegt die Bilder nicht auf dem Kopf: Hier das Roma-Mädchen Heini mit den verquollenen Augen, die wieder mal Schläge von ihrem betrunkenen Mann bekommen hat. Dort der kleine Daniel mit seinen seltsamen Narben an der Nase. „Das waren die Ratten“, erklärt Stefan Zell, der mit seiner Frau Heidi Haller an der Spitze der „Buki-Hilfe“ steht, „die kommen nachts und knabbern die Menschen an, wenn sie schlafen.“  Und da wäre noch das Roma-Mädchen Renata, eines von zwölf Kindern aus der Großfamilie in der Nachbarschaft. Renata hält ein Kind auf dem Arm, gerade mal ein Jahr alt. „Mein Sohn Cătălin“, sagt sie stolz, in gebrochenem Deutsch. Das habe sie in Trier gelernt. „Da“, sagt sie, „war ich zum Arbeiten.“ Welche Arbeit? Renata entgegnet verlegen: „Putzen, ja putzen.“ Stefan Zell weiß es besser: Renata hat in einer Strip-Bar Geld verdient, um zuhause, in Cidreag, die Familie durchzubringen. Ein Schicksal von vielen in Cidreag. Seit Anfang 2007 gehört Rumänien der Europäischen Union an. Doch von den Segnungen der milliardenschweren EU-Zuwendungen ist in Cidreag wenig bis nichts zu spüren: Viele der Roma-Familien leben in tiefster Armut, verdingen sich allenfalls ein paar Stunden am Tag als Hilfsarbeiter auf den Feldern ringsum. Mit einem Hilfstransport kamen Heidi Haller und Stefan Zell vor acht Jahren zum ersten Mal hierher. „Hilfstransport, schön und gut“, erinnert sich Stefan Zell, „aber uns wurde schnell klar: Mit Kleidern und Lebensmitteln ist den Leuten langfristig hier nicht geholfen.“
 
Der Teufelskreis: Bildungsarmut und Verarmung

Schnell haben die beiden erkannt: Die Probleme im Dorf, die zu Armut und Verelendung führen, haben tiefer gehende Ursachen: Weil viele Väter von Roma-Familien niemals eine Schule von innen gesehen haben, schicken sie auch ihre Kinder nicht in die Dorfschule. Weil die Kinder niemals rechnen gelernt haben, können sie nicht wissen, wie viel Lohn ihnen nach acht Stunden Arbeit zusteht. Viele können nicht einmal eine Uhr lesen. Wie sollen sie da rechtzeitig in einem Kindergarten, in einer Schule oder bei der Arbeit sein? „Es sind oftmals die einfachsten Fertigkeiten, die den Menschen hier abgehen“, erklärt Stefan Zell, „und die dazu führen, dass sich der Teufelskreis zwischen Bildungsarmut und Verarmung immer schneller dreht.“ Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, kauften die Helfer aus Bad Saulgau ein Haus, mitten im Ort – das sogenannte „Buki-Haus.“ Der Name leitet sich von der früheren Initiative „Kinderhilfe Bulgarien“ ab. „Von Bulgarien sind wir dann zwar nach Rumänien gegangen“, erklärt Stefan Zell, „doch den Namen ‘Buki’ fanden wir irgendwie hübsch – und nennen uns heute noch so.“ Und im Bukihaus ist vieles anders als anderswo im Ort: An einem Tisch sitzen gut zwei Dutzend Kinder, singen gemeinsam ein Lied. Dann: Die ersten ‘Gehversuche’ in Deutsch. „Wie heißt Du? Wo wohnst Du? In Cidreag.“ Manche sind vier, manche sechs, manche schon zwölf Jahre alt. Doch allen ist eines gemeinsam: Lernen im Bukihaus macht Spaß.

Nur mit vollem Bauch lernt es sich erfolgreich

Somit ist das Buki-Haus in erster Linie ein Bildungshaus. Ganz wichtig: Sprachkompetenz. „Viele können nur Romanes, die Sprache der Roma“, erklärt Stefan Zell, „wenn sie dann mal für ein paar Tage in die Schule gehen, verstehen sie kein Wort.“ Dann wird ihnen so etwas wie ein geregelter Tagesablauf beigebracht. „Und da steht am Anfang eben erst mal ein Frühstück im Bukihaus. „Denn“, so Stefan Zell, „wer Hunger hat, kann nicht lernen.“ Schließlich lesen, sprechen und singen die Kinder gemeinsam – in Ferienzeiten mit den Helfern aus Oberschwaben, ansonsten aber mit Ortskräften, die sich im Auftrag der Bad Saulgauer Bukihilfe um die Kinder kümmern und auch darauf achten, dass sie die kleine Dorfschule besuchen: „Das ist unsere Bedingung: Wer ins Bukihaus will, muss auch in die Schule gehen.“
Doch bei ihrer Arbeit wachsen den Helfern die Probleme fast über den Kopf. Eines davon ist die hierarchische ‘Hackordnung’ der Roma-Familien: Die besser Gestellten wollen mit den ganz Armen nichts zu tun haben. Die Ungarischstämmigen haben häufig mit den Romas insgesamt nichts am Hut. Heidi Haller und Stefan Zell haben da schon einige Mühe, den Eltern zu erklären, dass wenigstens die Kinder aus allen Schichten miteinander spielen und miteinander lernen. Und dass das gut für alle ist.

Der Bulibasse: „Plötzlich schaffen Kinder die Schule!“

Die ersten Erfolge sind bereits sichtbar: „Früher hat kaum eines dieser Roma-Kinder die Schule geschafft. Und jetzt haben wir die ersten, die einen Schulabschluss vorweisen können“, freut sich Ion Bogariu, der Bulibasse, den sie im Ort einfach nur den „Roma-Chef“ nennen. Er selbst ist der einzige Roma mit Abitur weit und breit; er kümmert sich darum, dass im „Buki-Haus“ alles seinen geordneten Gang geht, wenn die Helfer aus Bad Saulgau nicht da sind. „Selbst die Kinder aus den ganz ärmlichen Verhältnissen packen die Schule, wenn sie parallel ins Bukihaus gehen.“ Deshalb, sagt der Roma-Chef, könne man die Arbeit des oberschwäbischen Vereins nicht hoch genug einschätzen.
Der lebt ausschließlich von Spendengeldern – und vom Engagement der Helfer, die mitmachen. „Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben noch nichts Sinnvolleres gemacht“, bekräftigt Stefan Zell, der im ‘richtigen Beruf’ als Marketingleiter eines Bad Saulgauer Unternehmens arbeitet. Trotz aller Erfolge mit den Kindern: Ein wenig Frust schwingt mit, wenn er über den Umgang mit den Behörden im In- und Ausland spricht: Der Bürgermeister aus Cidreag habe in all den Jahren gerade mal ein einziges Mal vorbeigeschaut. Die rumänischen Behörden lassen das Projekt links liegen. Und die Europäische Union, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Unterstützung der notleidenden Sinti und Roma einfordert, habe einen Förderantrag (Stefan Zell: „Ich habe eine Woche lang Tag und Nacht daran gearbeitet“) aus formalen Gründen abgelehnt.

Oberschwäbische Nestwärme im Roma-Dorf

Dass die Leute der Bad Saulgauer Buki-Hilfe dennoch unverzagt weitermachen, versteht sich von selbst, der Kinder wegen: „Wir bieten ihnen halt auch das, was sie zuhause nicht haben: Nestwärme“, so Gerhard Blohm aus Erbach bei Ulm. Der Bankkaufmann im Ruhestand fährt bereits seit Jahren mit der Buki-Hilfe nach Cidreag, wie so viele aus der Region, die gar nicht genannt werden wollen. Sommerfest rund ums Buki-Haus: Plötzlich erscheinen selbst die Kinder, die Tags zuvor noch in schmutzigen T-Shirts herumgesprungen sind, in einer Art Festtagskleidung. Es gibt Würstchen und Cola; beim Sackhüpfen und Trampolinspringen dürfen sie Punkte sammeln. Versonnen blickt Heidi Haller auf das bunte Treiben der Kinder. Was denn in diesem Moment ihr größter Wunsch sei? Da muss sie erst mal überlegen: „Dass sich die Verhältnisse so verbessern, dass man uns gar nicht mehr braucht.“ Alle wissen: Bis es soweit ist, wird es noch sehr lange dauern.....