„Die Revolution kam im richtigen Moment für uns“

Aledin Amet (DRI) über die tatarische Minderheit in Rumänien

Aledin Amet gehört der tatarischen Minderheit an.

Auf einer vom DRI organisierten Journalistenreise auf den Spuren der Minderheiten am Eisernen Tor

Mit Minderheitenabgeordneten auf der Konferenzdebatte über interethnische und -religiöse Beziehungen (ProEtnica 2016)

Türkisch-tatarisches Kulturerbe: die Moschee von Babadag

Das zauberhafte tatarische Tanzensemble Karadeniz aus Konstanza (ProEtnica 2016)
Fotos: George Dumitriu

Mit Dschingis Khan fielen sie in den 1220er Jahren in Europa ein: die Truppen der Goldenen Horde. Bald erstreckte sich das mongolische Khanat von Sibirien bis Ost-europa. Für die Siebenbürger Sachsen waren Tatarenüberfälle neben den Vorstößen des Osmanischen Reichs der Grund, ihre Dorfkirchen zu befestigen. Heute bildet diese Kirchenburgenlandschaft ein in Europa einzigartiges Kulturerbe - und beim jährlichen ProEtnica-Festival in Schäßburg/Sighişoara tanzen sächsische und tatarische Gruppen Seite an Seite mit den übrigen Minderheiten. Rumänien ist ein Modell für friedliche,  pluriethnische Koexistenz geworden und hat eine beispiellose Minderheitenpolitk vorzuweisen. Dafür setzt sich das Departement für Interethnische Beziehungen an der Rumänischen Regierung (DRI) ein, dessen Leiter, um den Kreis zu schließen, bis vor Kurzem ein Nachfahre von Dschingis Khan ist: Aledin Amet gehört der tatarischen Minderheit an.

Wer sind die Tataren in Rumänien - woher kamen sie, wie leben sie heute? Die tatarische Minderheit, vorwiegend in der Dobrudscha, steht vor denselben Herausforderungen, wie alle Minderheiten heutzutage, erklärt Aledin Amet: der drohende Verlust der Sprache und damit der Identität, die Abwanderung der Jugend. „Leider gibt es keine Orte mehr, in denen wir die Mehrheit bilden. Der Kommunismus hat uns zerstreut. Daher ist es schwer, die Sprache zu erhalten, das geht nur in kompakten Gemeinschaften“. Hinzu kommt, dass man sich gleich nach der Wende mit der türkischen Minderheit geeinigt hatte, die türkische Sprache zu fördern. Denn auch die Tataren sind ein Turkvolk, ihre Sprachen ähneln sich. Zudem verbindet die gemeinsame Religion, der sunnitische Islam. Oberhaupt der muslimischen Religionsgemeinschaft ist das staatlich anerkannte Muftiat in Konstanza. „Erst 1990 haben wir uns dann in zwei Minderheitenvereinigungen geteilt, denn eigentlich sind wir ja doch jeder eine eigene Ethnie, und pflegen seither wieder unsere Sprache“, erklärt Amet. 

Verlust und Wiedergeburt

Aledin Amet ist in Konstanza aufgewachsen. Die frühe Kindheit verbrachte er bei den Großeltern väterlicherseits in Valul lui Traian, vormals Asanşa. Die Mutter stammt aus Moşneni bei Mangalia, das damals Pervel hieß. Beide Dörfer waren früher mehrheitlich tatarisch, bis die Abwanderung in die Städte begann. „Für uns ein Drama, denn wir begannen, unsere Sprache zu vergessen. Meine Eltern sprachen noch Tatarisch zuhause, die Großeltern konnten gar nicht richtig Rumänisch“, erinnert sich der Abgeordnete. So war es nur natürlich, dass auch er bis zur Schulzeit viel besser Tatarisch als Rumänisch sprach. Schmunzelnd gibt er eine Anekdote zum besten, wie ihn die Großmutter zum Laden schickte, um ein Kilo Mehl zu kaufen. Weil sich der Junge nicht an das rumänische Wort für Mehl erinnerte, sagte er stattdessen auf Tatarisch „un“.  Die Verkäuferin verstand „unt” und versuchte, ihm Butter zu geben. „Ich aber wusste, dass ich keine Butter wollte! Alle im Laden haben sich  großartig über mich amüsiert!”

Danach, in Konstanza, kehrte sich die Situation  um: Mit der Schule trat die rumänische Sprache in den Vordergrund. Tatarisch geriet mehr und mehr in Vergessenheit. „Erst nachdem wir die Demokratische Vereinigung der  muslimischen Tataren in Rumänien gegründet hatten und über ein Kulturzentrum verfügten, mussten wir die Sprache wieder lernen, denn dort wurde nur Tatarisch gesprochen. So haben wir uns regelrecht wiederentdeckt – wir wussten gar nicht mehr richtig, wer wir waren“, bekennt der 50-Jährige, der sich seit seinem 25. Lebensjahr mit Leib und Seele im Verein engagierte. „Die Revolution kam im richtigen Moment für uns.“ Heute gibt die Vereinigung mit staatlicher Unterstützung Bücher und Zeitschriften heraus, hat um die 20 folkloristische Ensembles und sogar ein eigenes Festival jedes Jahr im September, „das größte Tataren-Festival der Welt, das heuer zum 18. Mal stattfindet“ (siehe auch www.uniuneatatara.ro), zu dem Folkloregruppen aus dem In- und Ausland eingeladen werden. Es gibt Schulen mit optionalem Unterricht auf Tatarisch und seit 2010 sogar einen offiziellen Tag der tatarischen Sprache, für den sich Aledin Amet stark gemacht hatte. „Rumänien unterstützt unsere Minderheit vorbildlich – nicht mal in der Türkei oder auf der Krim, unserer Ursprungsheimat, wird so viel für die Tataren getan“, bemerkt er anerkennend.

Auf Kamelen in die Dobrudscha

Die Tataren, ein Turkvolk muslimischen Glaubens, kamen nach dem Zerfall des Khanats der Goldenen Horde in  mehreren Einwanderungswellen von der Halbinsel Krim in die damals osmanische Dobrudscha, ließen sich erst in Tulcea – Babadag, Isaccea, Măcin –  und später im Kreis Konstanza nieder, holt der studierte Historiker aus. Erstmals wurden sie im 13. Jahrhundert erwähnt. Die letzten beiden großen Auswanderungswellen fanden 1783, als die Krim von Russland unter Zarin Katharina II. annektiert wurde, und 1856 nach dem Krimkrieg statt. „Meine Großmutter erinnerte sich noch an Kamele in der Dobrudscha, die unsere Vorfahren mitgebracht hatten“.
„In den ca. 800 Jahren gab es nie Probleme im Zusammenleben mit anderen Ethnien“ fährt er fort. „Wir waren nie verfolgt, selbst im Kommunismus nicht. Man hat nie versucht, uns gewaltsam zu assimilieren, wie in Bulgarien geschehen, wo die Türken slawisiert wurden: aus Mamut wurde Mamutov. Bei uns bin ich Amet geblieben – nicht Ametescu.“ Es gab keine Deportation, wie die der Tataren aus der Krim am 8. Mai 1944, wo fast 400.000 Menschen von den Sowjets verschleppt wurden, „das drittgrößte Deportationsdrama der Geschichte“.
Einen positiven Beitrag zur Bewahrung der Identität leistete die Religion. „Doch unsere religiösen Traditionen sind extrem modern“, versichert Amet. „Der Islam in der Dobrudscha ist moderat, wir sind Europäer, in diesem Geist bin auch ich erzogen worden. Aber natürlich stehen wir zu unserer Religion.“  Das interethnische Modell der Dobrudscha sei das fortschrittlichste in Europa, versuchte er auch Mitgliedern der EU-Kommission immer wieder zu vermitteln. Es wird gelebt, seit Jahrhunderten.  „Wenn Sie in Konstanza auf den Ovidiu-Platz gehen, haben Sie die große Carol-Moschee, die jüdische Synagoge, die katholische, orthodoxe, armenische und griechische Kirche - sechs Religionen auf wenigen Quadratmetern.“

Gleichheit in Verschiedenheit

Der Wunsch nach ethnischer Identität, das Zugehörigkeitsgefühl, das auch Aledin Amet nach der Wende erfasst hatte – „das war damals wie eine Droge, jeder wollte etwas für die Gemeinschaft tun“ – ist kein Widerspruch zu der Offenheit, die in der Dobrudscha herrscht. „Als Kind bin ich mit meinen Freunden mit dem Pflügchen und der Sorcova umhergezogen“ erzählt er. Zu Weihnachten besuchte man christliche Freunde, an Bairam lud man sie zu sich ein. Zwei traditionelle Feste gab es selbst in der kommunistischen Zeit: Curban Bairam, das Schlachtfest, und Ramazan  Bairam, das Fest der Süßigkeiten. „Wir respektieren uns einfach - ganz natürlich“, versichert er. In den  tatarischen Tanzgruppen, erzählt er, machen auch viele Rumänen mit – und umgekehrt, das sei gar kein Problem. „In Techirghiol hatten wir einen aromunischen Bürgermeister, es gab eine aromunische, eine rumänische und eine tatarische Tanzgruppe, doch seine Tochter tanzte im tatarischen Ensemble mit.“ Selbst gemischte Ehen kommen vor, „da heißen die Kinder dann Ibrahim-Adrian, das gibt es durchaus.“ Der Wermutstropfen freilich ist, dass sich der Nachwuchs meist an der Mehrheitssprache und -religion orientiert und die tatarische Gemeinschaft weiter schrumpft. „Obwohl wir keine dramatischen Verluste erlitten haben - in der Volkszählung von 2001 gab es 23.900 Tataren, 2011 dann nur noch 20.000, aber das ist der normale Schwund, den fast alle Minderheiten erfahren.“ Auch die Freizügigkeit in Europa trägt dazu bei. Bewahrung der Identität, doch keinesfalls Abschottung, dafür plädiert Aledin Amet: „Wir wollen unsere Aktionen noch mehr für andere öffnen, damit auch andere unsere Kultur kennenlernen“.
„Ich bin Tatare mit Leib und Seele – doch im Parlament habe ich alle Minderheiten vertreten. Wir sind alle gleich“ betont er immer wieder. „Zeigen Sie mir irgend ein anderes Land in der EU, wo so viel Offenheit herrscht.“