„Die Siebenbürger Sachsen müssen sich jetzt in einem europäischen Kontext bewegen“

ADZ-Gespräch mit dem Bischofsvikar der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien und Bukarester Stadtpfarrer, Dr. Daniel Zikeli (I)

Dr. Daniel Zikeli, Stadtpfarrer von Bukarest und Bischofsvikar

Die Angehörigen der deutschen Minderheit werden immer weniger. Trotzdem ist die Bukarester Kirchengemeinde die zweitgrößte der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien und gewinnt neue Mitglieder. Dr. Daniel Zikeli, Stadtpfarrer und Bischofsvikar, spricht von den Herausforderungen und Chancen der evangelischen Kirche in einem europäischen Kontext. Wie entwickelt sich die Kirche? Wie geht sie mit Problemen um? Die Fragen stellte ADZ-Redakteurin Aida Ivan.

 

Welches wären die Probleme, mit denen die deutsche Minderheit in Rumänien konfrontiert wird?

Die Probleme sind je nach der Perspektive variabel. Das Demokratische Forum setzt gewisse Schwerpunkte, die evangelische Kirche wiederum hat ihre spezifischen Probleme. Und alle anderen Einrichtungen haben andere Schwierigkeiten. Das erste große Problem aus der Sicht der Rumäniendeutschen und aus der Sicht der Kirche ist die demografische Herausforderung. Die Rumäniendeutschen, beziehungsweise die Siebenbürger Sachsen, veralten. Bei einer demografischen Entwicklung, wo der Alterungsprozess sehr hoch ist und niemand nachkommt, stellt sich die Frage, wie sich die Zukunft gestaltet. Das zweite große Problem ist die Suche nach dem eigentlichen Wert. Die evangelische Kirche, ganz anders als das Forum, ist nicht nur eine ethnische Kirche, sie legt jetzt immer mehr Wert auf Konfession. Infolgedessen kommen immer mehr Leute hinzu, die evangelisch werden, obwohl sie nicht deutscher Herkunft sind oder sie überhaupt nicht mehr Deutsch sprechen. Die evangelische Kirche hat einen wichtigen Öffnungsprozess in den letzten Jahren vollzogen.

Wann hat dieser Prozess angefangen?

Seit 25 Jahren hat dieser Öffnungsprozess begonnen, der sowohl die innerkirchlichen Bereiche erfasst, aber auch in die breite Öffentlichkeit hinausreicht. Er wirkt ins Land hinein aber auch darüber hinaus. Die Leuenberger Konkordie ist ein wichtiges Dokument aus dem Jahre 1973 von europäischer und globaler Bedeutung. Durch dieses Dokument sind alle evangelischen Kirchen praktisch vereint, alle Traditionen – die Lutheraner, die Reformierten, die vorreformatorischen Kirchen (Waldenser und Hussiten) und die Methodisten. Es gibt eine gemeinsame Plattform und deshalb können alle, die nach Rumänien kommen, Mitglied der evangelischen Kirche werden. Und das geschieht auch. Es gibt immer mehr Leute, besonders in den Städten, wie zum Beispiel in Klausenburg. Hier hat die ungarisch-lutherische Kirche vor Jahren unsere Kirche angesprochen. Die Zahl der deutschsprachigen Evangelischen steigt und es ist jetzt notwendig, einen deutschsprachigen Pfarrer nach Klausenburg zu bringen, damit diese Leute betreut werden.

Sind sie Lutheraner?

Das sind jetzt nicht alle Lutheraner, strikt konfessionell, sondern eben auch aus anderen protestantischen Traditionen. Die Evangelische Kirche in Rumänien hat vor etlichen Jahren ein Strategiekonzept entwickelt, ein Zukunftspapier erarbeitet, wo diese Aufnahmemöglichkeit erörtert wird. Das heißt also, Leute aus anderen protestantischen Traditionen und konfessionellen Kulturkreisen kommen jetzt in die Kirche hinzu. Das ist ein weiteres Problemfeld der Kirche, die sich darauf einstellen muss, weil somit neue Schwerpunkte gesetzt werden können.

Können Sie ein Beispiel geben?

Die Umweltfragen oder Fragen der direkten sozialen Implikation – eine Kirche konserviert nicht nur gewisse konfessionelle Werte, sondern hat auch eine politische und eine soziale Aufgabe und sie muss sie direkt einbringen. Sie muss sich artikulieren, die Probleme hellhörig wahrnehmen, die es in der Gesellschaft gibt, und darauf reagieren. Als Nächstes wären darum die ethischen Fragen, die von den evangelischen Kirchen weltweit (über 800 Millionen Evangelische) verantwortungsbewusst reflektiert und behandelt werden.

Zum Beispiel die Gemeinschaft der evangelischen Kirche in Europa (GEK) vertritt 109 protestantische Kirchen. Da gibt es eine Ethikkommission und in dieser Ethikkommission werden ganz wichtige Sachen verabschiedet. Diese gelten dann für die protestantischen Kirchen, wie zum Beispiel Fragen zur Reproduktionsmedizin oder zur palliativen Pflege – ob es berechtigt ist, dass man einem Schwerkranken die lebenserhaltenden Apparate abstellt oder nicht. Wir werden als kleine Kirche oft überrollt. Die EKR wirkt in einer Gesellschaft, die irgendwie versucht, sich auch europäisch zu integrieren, obwohl die geistige Entwicklungsstufe Rumäniens in den 60er Jahren stecken geblieben ist. Es ist, europäisch gesehen und was die Kirchen anbelangt, ein großes Auseinanderklaffen, denn die Gesellschaften sind ganz unterschiedlich. Ungarn ist irgendwie am Anfang der 90er Jahre angekommen, aber die Gesellschaftsformen jenseits Ungarns sind ungefähr in den 60er Jahren stehen geblieben. Man spricht sogar von unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Schweden ist auch durch und durch ein evangelisches Land. Die Schweden verstehen die Probleme und Sorgen der evangelischen Kirche hier in Rumänien gar nicht.

Sie haben bisher ein einziges Problem genannt. Gibt es auch andere?

Ein weiteres Problem ist neben der Demografie und der Öffnung auch der Erhalt und die Bewahrung des großen kulturellen Erbes. Im Moment sind in der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien ungefähr 12.000 erfasste Gemeindeglieder, laut kirchlicher Statistik.
Es gibt folglich wenig Leute und die Bewahrung des kulturellen Erbes setzt große Kräfte voraus. Was die Brückenfunktion anbelangt: Die Bundesrepublik unterstützt uns natürlich. Aber das reicht bei Weitem nicht. Es gibt auch einen Kirchenburgenverein, wo die beiden Staatspräsidenten Schirmherren sind. Aber das muss konkret werden. Inzwischen erleben wir es ja so, dass trotz dieser Brückenfunktion unsere Kräfte fehlen. Man ist sehr ohnmächtig und in dieser Zeit, in der die Politiker die Dinge schönreden, bricht ja das Kulturerbe ein. Der Einsturz der beiden Türme im Burzenland oder der Einsturz von Kirchen im Schäßburger Raum oder in Nordsiebenbürgen sind drastische Beispiele dafür, wie bedroht das kulturelle Erbe ist.

Man muss sich dessen bewusst werden, dass es ein Problem ist, aber dass die Verantwortung dafür nicht nur die Bundesrepublik hat, oder die Ausgewanderten, sondern vor allem die örtlichen und die öffentlichen Behörden. Das ist auch eine Angelegenheit der rumänischen Gesellschaft und des rumänischen Staates. Diese Kirchenburgen und Kirchen gehören zum nationalen Kulturerbe.
Der rumänische Staat muss sich mitverpflichten. Gemeint sind nicht nur die Kirchen, sondern auch Schulgebäude, die zum Teil leer stehen und einstürzen, Pfarrhäuser, Altäre, Taufsteine, Orgeln.

Werden Lösungen gesucht?

Lösungen sind im Gang, aber bei Weitem nicht genug. Ein letztes Problem möchte ich nennen – die Gestaltung der Zukunft. Die Kirche braucht nicht nur Gemeindemitglieder, sondern auch Pfarrer und Pfarrerinnen. Ohne diese kann sie nicht funktionieren. Leider wird die Ausbildungsstätte, die theologische Fakultät, ebenfalls durch diese ganzen Entwicklungen, auch mit Schwierigkeiten konfrontiert. Es gibt zwar Studenten und Studentinnen, aber die Professoren fehlen. Zum Teil fehlen auch die Studenten. Unter diesen Voraussetzungen kann es ja geschehen, dass in den nächsten fünf oder zehn Jahren, wenn nicht genug Pastoren und Pastorinnen da sind, eine gewisse Säule fehlt. Man weiß es aus der Sozialpsychologie – wenn in einer Institution gewisse Säulen oder Schlüsselpositionen fehlen, verwässert sich alles.

Was für eine Perspektive haben Siebenbürgen Sachsen in einem europäischen Kontext?

Die Siebenbürgen Sachsen haben gelernt, dass sie verschiedene Barrieren und Grenzen überwinden können und dass sie jetzt praktisch eine europäische Gemeinschaft sind. Das ist ein bedeutender Schritt, denn es gibt unter den Siebenbürgen Sachsen unterschiedliche Gruppen, je nachdem, wohin sie ausgewandert sind.

Diejenigen, die vor hundert Jahren nach Amerika gegangen sind, haben einen ganz anderen Bezug zu Siebenbürgen und zum Kontinent. Sie sprechen kaum noch Deutsch oder Sächsisch, aber sie pflegen Brauchtum in der Art und Weise, wie ihre Großväter und Urgroßväter. Diejenigen, die während des Zweiten Weltkrieges ausgewandert sind, hatten schon eine gewisse Ideologie, beziehungsweise sind politisch vorgeprägt worden. Die haben einen ganz anderen Bezug zu Rumänien. Diejenigen, die deportiert worden sind, haben gesagt, die Rumänen sind schuld. Da gab es einen gewissen Bruch zwischen den Siebenbürgen Sachsen, die seit Jahrhunderten in diesem Land gelebt haben, und der rumänischen Mehrheit. Dann ging es weiter – diejenigen, die in den 50er und 60er Jahren aus verschiedenen Gründen ausgewandert sind oder die man nicht mehr wieder in das Land gelassen hat, haben eine gewisse Distanz zu Rumänien. Jene, die in den 70er oder 80er Jahren ausgewandert sind, haben gewisse negative Erfahrungen mit der Securitate gemacht. Ein großer Teil von ihnen hat dann die Beziehung zu Rumänien abgeschlossen. Solche, die 1990 ausgewandert sind, hatten schon einen anderen Bezug zu Rumänien, sie hatten schon andere Erfahrungen. Sie haben ihre Häuser nicht mehr so oft verkauft.

Damit sie wieder zurückkehren können?

Ja. Und das Sachsentreffen in Hermannstadt hat den Siebenbürger Sachsen allerdings bewusst gemacht, dass sie in diesem Land keine Feinde haben, dass man ihnen freundlich gegenübersteht. Ein Staatspräsident kommt aus der Reihe dieser Gemeinschaft. Für sie ist es wichtig, zu begreifen, dass sie sich jetzt in einem europäischen Kontext bewegen müssen. Sie werden doch große Schwierigkeiten haben bei der Vermittlung der Kultur und der siebenbürgisch-sächsischen Identität. Das wird ein Problem der nächsten Generation sein, egal ob man jetzt in Deutschland lebt oder nicht. Ich sehe schon in meinem Freundeskreis, wo die Probleme liegen: Meine Kameraden sind noch fest verwurzelt in der siebenbürgisch-sächsischen Identität und Kultur, aber es wird schwierig mit den Kindern. Die nächste Generation, die bekommt noch etwas von den Eltern ab, aber die Enkelkinder meiner Kameraden - die werden das wahrscheinlich nicht mehr mitbekommen.

Wie meinen Sie das?

Das ist ein Problem, auch wenn man europäisch ist. In Deutschland entwickelt sich die Gesellschaft. Man bemüht sich, die Kultur und Identität zu bewahren, aber es ist fraglich, wie die Identität weitergeht. Das merke ich auch bei meinen Patenkindern, die in Deutschland leben. Die Kleinen wissen, dass die Eltern und Großeltern aus Siebenbürgen stammen, aber sie identifizieren sich nicht mehr mit dem siebenbürgischen Erbe. Sie sind europäischer oder globaler orientiert. Für sie ist das Anziehen einer siebenbürgisch-sächsischen Tracht – wenn man nichts fühlt – eine Kostümierung.

Warum geschieht das, Ihrer Meinung nach?

Die Siebenbürgen Sachsen müssen ihre Geschichte verarbeiten, damit sie ihre Identität noch bewahren. Es gibt drei wichtige Momente, die sie verarbeiten müssen: Die Siebenbürgen Sachsen müssen die braune Vergangenheit – die Zeit des Nationalsozialismus, die rote Vergangenheit und die große Auswanderung verarbeiten.

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