Die unendliche Bohr-Tretmühle

...und andere schockierende Wahrheiten über Schiefergas

„Schiefergas in den USA – Risiken, Spekulationen und Lektionen für Rumänien“ war die erste Veranstaltung einer neuen Reihe der Friedrich Ebert Stiftung (FES) unter dem Motto „Nachhaltiges Rumänien“. Die nächste Debatte findet am 10. November statt.

Trotz Gästen aus möglichst unterschiedlichen Bereichen gab es in der anschließenden Diskussion keinen expliziten Schiefergas-Befürworter: (von links) Deborah Rogers (Hauptvortragende), Andreea Paul (Abgeordnete und Vizepräsidentin der PDL), Victoria Stoiciu (Moderatorin FES), Gabriela Creţu (Senatorin PSD), Nicuşor Dan (Asociaţia Salvaţi Bucureştiul). Die Diskussionsrunde wurde live aufgenommen und ist auf www.fes.ro zu sehen. Fotos (2): die Verfasserin

Bild 1 - Die Schiefergas-Tretmühle: 2008 erhielt die Stadt Fort Worth in Texas 50 Millionen US-Dollar Steuern aus der Produktion von 44 Schiefergas-Bohrlöchern, 2012 nur noch 23 Millionen aus immerhin 397 Bohrlöchern!

Bild 2 - Auch auf kommunaler Ebene ein Verlust: Die Kosten von durch Schiefergasausbeutung entstandene Straßenschäden, verglichen mit den Steuereinnahmen, am Beispiel von vier amerikanischen Staaten. Folien (2): mit freundlicher Genehmigung von Deborah Rogers

Eigentlich hatte ich ja einen Vortrag über Umweltargumente gegen die Ausbeutung von Schiefergas erwartet – von Expertenseite aus allen Richtungen seriös beleuchtet, wie dies bei Veranstaltungen der Friedrich Ebert Stiftung normalerweise geschieht. Mein Erstaunen hätte nicht größer sein können: Die angekündigte Hauptvortragende, eine Finanzexpertin, die von der amerikanischen Erfahrung berichten sollte, begann sogleich, ihre Analyse zur Rentabilität von Schiefergas auszubreiten...
Als seriöser Pressevertreter muss man sich natürlich über alle Seiten zu einem Thema informieren, dachte ich und blieb tapfer sitzen. Denn Wirtschaft ist nicht mein Thema. Die englischen Fachausdrücke, derer sich die Dame reichlich bediente – wie CAPEX und „negative cash flow“ – verstehe ich nicht mal auf Deutsch. Ich stellte mich auf Diskussionen zur Energieunabhängigkeit ein – und zu all den wunderbaren Vorteilen für die Wirtschaft, die über die paar zu erwartenden katastrophalen Umweltschäden hinwegtrösten sollten und auf die ein Land wie Rumänien bestimmt nicht verzichten kann, wenn man einigen Politikern Glauben schenkt. Doch mein anfänglich leicht enttäuschtes Ausharren wurde auf unerwartete Weise belohnt. Denn je länger ich zuhörte, desto mehr verdichteten sich die Puzzlesteinchen zu einem völlig überraschenden Bild: Schiefergas ist nicht mal rentabel! Die Rettung der Energiewirtschaft durch dessen Abbau stellte sich als ganz große Seifenblase dar, die gerade vor meinen Augen zerplatzte...

Von Finanzinstituten künstlich am Leben gehalten

Die erste Überraschung, die Deborah Rogers präsentierte und die in den USA einen Sturm in Medien und Think Tanks ausgelöst hatte, ist das Resultat ihrer im Februar 2013 erschienenen Studie „Schiefergas und Wall Street“, die sich mit der Rentabilität von Schiefergas und der Frage, ob der niedrige Gaspreis in den USA vielleicht sogar künstlich provoziert sei, auseinandersetzte. Weil Öl- und Gasfirmen ihre Buchhaltung nicht unbedingt transparent gestalten und weil durch verschiedene Finanzgebaren – interne Verschiebungen oder der Rückkauf von Anteilen – nach außen hin ein gesundes Unternehmen vorgetäuscht werden kann, analysierte die Expertin Indikatoren, die Rückschlüsse auf kaschierte Verluste in mit der Schiefergasförderung befassten Unternehmen zulassen. Das Resultat: Wall Street hat die Schiefergasbohrungen bis zum Exzess gefördert, was in niedrigeren Gaspreisen als Produktionskosten resultierte – und dabei auch noch enorm an Fusionen, Käufen und anderen Transaktionen verdient!

Grund für den Fall des Gaspreises ist vor allem die starke Überproduktion. In der Vergangenheit hat man in solchen Situationen die Bohrlöcher einfach dichtgemacht und abgewartet, bis sich der Preis wieder erholte, erklärt Deborah Rogers. Sie fragte sich: Warum passiert dies nicht bei Schiefergas? Warum wird auf Teufel komm raus immer weiter gebohrt? Die Antwort: Unternehmen haben bei der Investition in Bohrlöcher so hohe Schulden gemacht, dass sie gar nicht dichtmachen können – weil nämlich der vereinbarte Rückzahlungszinssatz an die Bedingung der Produktion geknüpft war. Da jedoch Schiefergasbohrlöcher sehr schnell an Produktivität verlieren, müssen ständig neue eröffnet werden, um die alten überhaupt erhalten zu können.
Wer daran kräftig verdient, sind die Investmentbanken. „Banken waren die hauptsächlichen Cheerleader für Schiefergas“, enthüllt die Expertin. Sie verdienten großes Geld damit, denn Investmentbanken ist es egal, ob die Firma Profit macht oder nicht – sie verdienen so oder so daran, erklärt Deborah Rogers. Ein teuflischer Zyklus, den sie die „Schiefergas-Tretmühle“ nennt.

Das Märchen von der Energieunabhängigkeit

Einziger Ausweg aus der Klemme sind für die USA Exporte nach Asien, vor allem Japan und China, zu einem kleinen Teil auch nach Europa, denn die internationalen Preise sind wesentlich höher. Womit jedoch das Märchen von der Energieunabhängigkeit gerade seinen Todesstoß erlitt... „Alles nur politisches Gequatsche“, urteilt Rogers harsch. Hinzu kommt, dass die Schiefergas und -ölreserven in den USA anfangs dramatisch überschätzt wurden. Wie Daten zur Produktivität von Bohrlöchern in verschiedenen US-Bundesstaaten zeigen, sogar bis um 300 bis 400 Prozent! Schiefergasbohrlöcher produzieren das meiste in den ersten 12 Monaten, danach werden sie rasch unrentabel (siehe Bild 1). Wegen ihrer Kurzlebigkeit sind sie auch teurer als gewöhnliche Bohrlöcher. „Anfangs sieht alles wie ein Riesenerfolg aus“, klärt Deborah Rogers auf, „doch dann muss man weitermachen aus den obigen Gründen – und die Schiefergas-Tretmühle hat zugeschlagen.“
Auch die US-Industrie zeigt bereits Zurückhaltung bei weiteren Schiefergasinvestitionen. Pipelines, Joint-Ventures und Projekte werden aufgegeben, obwohl gleichzeitig immer noch öffentlich behauptet wird, Schiefergas sei eine Rettung für die US-Energiewirtschaft.

Enorme kollaterale Schäden

Zu all diesen Argumenten kommen kollaterale Schäden durch Schiefergasbohrungen hinzu: Riesige Flächen werden benötigt, aus denen man letztlich wenig herausbekommt. Wenn nach drei bis vier Jahren die Bohrlöcher aufgegeben werden, kann man mit dem Land nichts mehr anfangen. Erfahrungen zeigen, dass die Preise für Grundstücke und Eigenheime im Umkreis von zwei Meilen von Schiefergasbohrlöchern stark fallen. Für die auf Mobilität setzenden Amerikaner, die gewöhnt sind, für einen neuen Job mal rasch das Haus zu verkaufen, um am neuen Einsatzort ein anderes zu erwerben, hat dies weitreichende Folgen. In Betracht ziehen muss man auch Straßenschäden, die durch die enormen Mengen an Wasser, die für hydraulisches Fracking angeliefert werden müssen, entstehen. Verglichen mit den Einnahmen aus Steuern ist der Schaden, der dem Staat dadurch entsteht, unverhältnismäßig größer, wie Bild 2 verdeutlicht. Hinzu kommen Gesundheits- und Umweltschäden. Schiefergasbohrung trägt erheblich zur Luftverschmutzung bei, setzt enorme Mengen an Kohlendioxid, Methan und Formaldehyd frei und wirkt sich stark negativ auf die Entstehung und den Verlauf von Lungenkrankheiten aus. Unzählige dokumentierte Erlebnisberichte zeigen, dass Bohrlöcher die Umwelt verpesten, vor allem aber das Grundwasser. Rogers erwähnt einen eindrucksvollen Fall – von EcoWatch im Internet ausführlich dokumentiert –, in dem ein Hausbesitzer einen an seinen Brunnen angeschlossenen Schlauch aufdreht und anzündet – statt Wasser schießt eine Stichflamme heraus!

Nächste Krise: Kampf um Trinkwasser

Die nächste Wirtschaftskrise wird nicht wegen Gas, sondern wegen Trinkwassermangel entstehen, das weiß auch Deborah Rogers. Ein kostbares Gut, mit dem hydraulisches Fracking allzu verschwenderisch umgeht: Zwischen 300 bis 400 Millionen Liter Wasser braucht man für jede Runde Fracking. 80 bis 300 Tonnen Chemikalien – darunter hochgiftige Stoffe wie Blei, Quecksilber, Radium, Chlor – werden zudem in den Boden injiziert. Ziel ist der Aufbruch unterirdischer Gesteinsschichten durch Druck, um dort eingeschlossenes Gas freizusetzen. Durch Schichtbrüche und die Tatsache, dass die Reibung zwischen den Schichten durch die Flüssigkeit verringert wird, könnten Erdbeben ausgelöst werden oder Chemikalien in Trinkwasservorräte vordringen. Es gibt keine einzige geologische Studie, die belegt, dass Fracking kein Risiko darstellt, warnt die Vortragende. Durch Kapillarwirkung kann verseuchtes Wasser in 20 bis 40 Jahren sogar an die Oberfläche gelangen. Der Großteil der injizierten Flüssigkeiten wird in der Erde belassen. Nur ein kleiner Teil wird extrahiert und abtransportiert, was Fragen zu Entsorgung und Endlagerung aufwirft.
2013 war das schlechteste Jahr für neue Explorationen, beobachtete Deborah Rogers. In immer größerer Tiefe muss nach Öl und Gas gesucht werden – es ist klar: die Vorräte erschöpfen sich. Fracking ist der Versuch, die letzten im Gestein eingeschlossenen Gasblasen aus der Erde herauszuquetschen. Doch die Amerikanerin warnt: „Wir kaufen damit nur ein wenig Zeit!“ Und fragt sich: „Warum noch in etwas investieren, von dem wir wissen, dass es ohnehin bald zur Neige geht?