Ein fast moralisches Kammerspiel

Regiedebüt von Vlad Zamfirescu in den rumänischen Kinos

Vlad Zamfirescu, dem rumänischen Publikum als Theater- und Filmschauspieler bekannt, ist beim letztjährigen Internationalen Filmfestival Transilvania (TIFF 2018) mit seinem Kinoregiedebüt an die Öffentlichkeit getreten. Sein 90-minütiger Spielfilm „Secretul fericirii“ (Das Geheimnis des Glücks), zu dem Alexandru Popa das Drehbuch verfasste, errang bei den Rumänischen Filmtagen im Rahmen des TIFF 2018 den zweiten Platz in der Sparte „Publikumspreis für den populärsten Film“, unmittelbar nach dem Gewinnerfilm „Un pas în urma serafimilor“ (Einen Schritt hinter den Seraphim) von Daniel Sandu. Auch bei weiteren internationalen Filmfestivals des vergangenen Jahres in Bulgarien, Indien und den USA erhielt Vlad Zamfirescus Spielfilm diverse Auszeichnungen.

Vlad Zamfirescus Regiedebüt ist, wie Roman Polanskis Meisterwerk „Der Gott des Gemetzels“ nach dem gleichnamigen Theaterstück von Yasmina Reza, ein filmisches Kammerspiel par excellence. Wie bei Polanski, so geht es auch bei Zamfirescu um zwei Ehepaare, wobei letzterer in seinem Kinofilm sogar mit drei handelnden Personen auskommt, weil eine der beiden Ehefrauen nur als abwesende in Erscheinung tritt. Wie bei Polanski, so tun sich auch in Zamfirescus Dreipersonenstück menschliche Abgründe auf und die komödienhafte Oberfläche wird oftmals schlagartig durchsichtig auf tief greifende tragische Konflikte. Wie bei Polanski, so ist auch Zamfirescus Kinofilm in erster Linie ein Sprechstück, bei dem der Gesprächsfluss, die Wechselrede, die Sprachdynamik, das Changieren zwischen Scherz und Ernst eine Hauptrolle spielen.

Der Schauplatz von Zamfirescus Film scheint der oftmals bedrückenden, ja gefängnisartigen Enge der herkömmlichen Kammerspielbühne auf den ersten Blick zu widersprechen. Das ganze Filmdrama spielt sich nämlich unter freiem Himmel auf einer großen Terrasse hoch über den Dächern Bukarests ab. Vom exklusiven Penthouse des einen der beiden Ehepaare sieht man durch die geöffnete Terrassentür lediglich das Wohnzimmer, wo die Mutter Ana (Irina Velcescu) zu Beginn der Filmhandlung noch mit einem ihrer beiden Söhne spielt, bevor sie ihn dann ins Bett bringt, während draußen ihr Mann Tom (Vlad Zamfirescu) und sein bester Freund David (Theo Marton) die laue Sommernacht mit viel Alkohol, einem Joint und mit Gesprächen über Gott und die Welt genießen.

Das Gesprächsgetändel, in dem gleichwohl gewichtige Themen wie Freundschaft, Treue oder Tod anklingen, plätschert zu-nächst seicht dahin, bis es allmählich Fahrt aufnimmt durch die insistierende, ja bohrende Art und Weise, in der der Gastgeber die langjährige Vertrautheit der beiden Ehepaare Ana/Tom und Monica/David beschwört und dabei andeutet, diese intensive und bewährte Freundschaft auf eine neue Ebene heben zu wollen.
Die Einteilung des Films in insgesamt sieben Kapitel, von denen jedes einen eigenen Titel trägt, macht zugleich deutlich, dass das gesamte Geschehen dem Prinzip der Steigerung gehorcht. Das dritte Kapitel etwa hat die Zahl „Vier“ zur Überschrift und beschwört just jene Viereinigkeit der beiden Ehepaare, so wie einst die Pythagoräer in der Tetraktys den Schlüssel zum Verständnis der Weltharmonie sahen.

Doch Toms Spekulationen sind weniger platonisch-philosophischer Natur, vielmehr zielen sie mit rhetorisch brillant gehandhabter Persuasionsstrategie einzig und allein darauf ab, seinem Freund David den gelegentlichen Partnertausch, in diesem Falle also den okkasionellen Tausch ihrer Ehefrauen, vorzuschlagen: verantwortungsfreien Sex in wahlverwandtschaftlicher Freiheit und zur Zufriedenheit aller.
In diese erotisch aufgeladene Situation platzt dann Ana herein, die frisch geduscht und im Bademantel den beiden Freunden köstliches Eis serviert. Während sich David rhetorisch krampfhaft an das zusehends schmelzende Eis klammert, lanciert Tom nun die Idee des Partnertausches auch gegenüber seiner Frau und fordert sie mehr oder weniger deutlich auf, die angebrochene Nacht mit David zu verbringen, während er selbst in Ruhe spült, aufräumt und, nachdem er den Rest der Nacht auf der Couch verbracht hat, am nächsten Morgen die Söhne zur Schule fährt.

Hier kommt es dann, nach den vielen bisher bereits eingetretenen kleinen Wendungen, zur ersten großen Wende im Filmgeschehen. Denn Tom konfrontiert seine Frau und seinen Freund urplötzlich damit, dass er sehr wohl weiß, dass Ana und David ihn seit Jahren gemeinsam hintergehen. Der zunächst promisk und libertin erscheinende Tom erweist sich mit einem Mal als betrogener Ehemann, der dieses ganze Theater nur inszeniert hat, um seine Frau und seinen Freund auf die Probe zu stellen. Die moralische Empörung der beiden heimlichen Liebhaber kippt nun schlagartig um in Reue und Niedergeschlagenheit.

Doch Tom – darin ähnelt er dem ihn verkörpernden Schauspielerregisseur – hat noch weitere Asse im Ärmel. Zunächst führt er den zerknirschten Fremdgehern auf seinem iPhone Videos vor, die er von deren ehebrecherischen Aktionen anfertigte. Dann droht er damit, diese Aufnahmen ins Internet zu stellen, um das heimliche Liebespaar öffentlich zu brüskieren. Auch Monica, die abwesende Ehefrau Davids, soll sodann in alle Details der in den beiden Ehebetten vonstatten gegangenen Aktivitäten eingeweiht werden.

Den größten Trumpf spielt Tom schließlich im letzten Kapitel des Filmes aus. Er präsentiert den beiden am sechsten Gebot sündig Gewordenen einen medizinischen Befund, der ihn, Tom, als Träger des AIDS-Virus, als HIV-positiv ausweist. Das leichtfertige Gedankenspiel des jeder Verpflichtung baren Partnertausches ist jetzt plötzlich zu einer ernsten Sache auf Leben und Tod geworden. Nun steht nicht mehr nur die Aufdeckung eines wohl gehüteten Geheimnisses auf dem Spiel, sondern auch das Leben der Kinder: der Söhne Anas und der Töchter Davids.

Während Ana in der Nacht noch davon stürzt, um einen AIDS-Test zu machen, setzt David unmittelbar darauf am Steuer seines Wagens seinem Leben ein Ende. Zurück auf der Terrasse bleibt der betrogene Tom, der freilich seinerseits betrogen hat, denn er ist überhaupt nicht an AIDS erkrankt, vielmehr war das tödliche Virus nur ein rhetorisches Symbol für den moralischen Ernst der hier gleichsam im Labor experimentell durchgespielten zwischenmenschlichen Situation.

Man könnte aus diesem Kammerspiel den ethischen Rigorismus eines Immanuel Kant heraushören, der die Lüge kategorisch verurteilt hat und jedem moralisch korrekt Handelnden das Recht, wenn auch nur aus Menschenliebe, zu lügen rund-weg abgesprochen hat, selbst bei Gefahr für Leib und Leben. Doch Tom eignet sich als ein solcher moralischer Lehrmeister kantischer Provenienz durchaus nicht, denn er hat nicht nur selbst gelogen, nicht nur zwei Ehen zerbrochen, sondern zudem durch die sadistische Inszenierung seiner Rachegelüste den Tod seines besten Freundes verursacht.

Bleibt also, wenn auch aus Vlad Zamfirescus Kammerspiel keine Lehre zu ziehen ist, ein spannender, ja zum Teil höchst dramatischer Film, der mit großer Rhetorik (in rumänischer Sprache mit englischen Untertiteln) aufwartet, die von den Sound-Designern Andrei Vasilache und Cătălin Țuță-Popescu perfekt zur Geltung gebracht und von den drei Protagonisten dieses sehenswerten Kinofilms schauspielerisch gekonnt umgesetzt wird.