Ein heller Stern am Wissenschaftshimmel

Steiniger Weg zum Erfolg für Nobelpreisträger Stefan Hell

Heller Kopf, strahlendes Lächeln: „Dies war der Tag, an dem Stefan Hell vom Nobelpreis erfuhr”, erklärt Michael Szellner, Vorsitzender des DFDR in Arad und selbst Physiker, der eine Einleitung zum Film über den Nobelpreisträger vortrug.
Foto: George Dumitriu

„Ich bin kein typischer westeuropäischer Wissenschaftler”, sagt Stefan Hell über sich selbst. Was er damit meint, wird in dem Film von Cristian Amza „Stefan Hell – un savant de excepţie” (Stefan Hell - ein außergewöhnlicher Gelehrter) deutlich, der am 29. September im Bukares-ter Kulturhaus „Friedrich Schiller” vorgeführt wurde. Eigentlich müsste man ihn an allen Schulen zeigen, denn der Weg des Forscher zum Erfolg – 2014 mit dem Nobelpreis für Chemie gekrönt – war beileibe keine Bilderbuchkarriere. Schon eher ein Hürdenlauf mit vielen Hindernissen, die das Etablissement der Mainstreamdenker vor ihm und seiner Idee, die schließlich zum Nobelpreis führte, aufgetürmt hatte. Es waren die kleinen Zufälle und glücklichen Fügungen, die dem Physiker den jeweils nächsten Schritt zum gesteckten Ziel doch noch ermöglichten - gegen den Widerstand jener, die seineTheorie für unmöglich hielten: das sogenannte Abbe-Limit umschiffen zu können – ein physikalisches Gesetz, das die Auflösungsgrenze der Lichtmikroskopie beschränkt. Was diesen Wissenschaftler auszeichnet, ist nicht nur eine Vision und die Fähigkeit, sie in die Praxis umzusetzen, sondern vor allem – Beharrlichkeit! Ein schwäbischer Sturschädel eben, wie Michael Szellner, Vorsitzender des DFDR in Arad und selbst Physiker, der in die Veranstaltung einführt, scherzhaft insistiert.
 

Triebfeder Neugier

„Ich bin kein typischer westeuropäischer Wissenschaftler” - was meint Stefan Hell mit diesem Satz? Wenn er in Deutschland aufgewachsen wäre, mutmaßt der mit 15 Jahren aus seinem Heimatort Sanktanna/Sântana nach Ludwigshafen ausgewanderte Banater Schwabe, wäre er vielleicht nicht so weit gekommen. Denn neben geistigen Fähigkeiten führte ihn vor allem eins zum Ziel: seine Beharrlichkeit, einem Traum zu folgen, getrieben von Neugier. Wäre er von Anfang an im Schoß einer Wohlstandsgesellschaft aufgewachsen, wäre dieser Traum vielleicht irgendwann von den sanften Wellen der dort üblichen Wünsche und Realisierungen fortgespült worden. So aber, Umwege und Herausforderungen gewohnt, packte der junge Physiker nach seinem Studium sein Ränzel, sagte Deutschland, wo man seine Idee nicht unterstützten wollte, ade, und landete nach einigem Herumirren durch Eu-ropa im finnischen Turku. Die mühsam zusammengekratzten 1000 Dollar, die ihm seine Verwandtschaft zum Studienabschluss geschenkt hatte, ermöglichten ihm den Neubeginn. Über die Diffamierungen, die man seiner Idee lange Zeit entgegenbrachte, lächelt er heute. Und meint, die Entscheidungen, die er getroffen hat, hätten viel mit seiner Herkunft aus Rumänien und seinen Erfahrungen in der Jugend zu tun. Den Schülern des mittlerweile nach ihm benannten Lyzeums in seinem alten Heimatdorf Sanktanna, die ihn mit Fragen löcherten, was man tun müsse, um den Nobelpreis zu erlangen, sagte er klipp und klar: Nicht den Preis dürft ihr euch als Ziel setzen, sondern forschen aus Neugier.
 

Reise ins Innere lebender Zellen

Heute ist Stefan Hell Leiter des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen und forscht zudem am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg, denn die bahnbrechende Entdeckung des Physikers nützt vor allem der biologischen und medizinischen Forschung. So waren es auch an der Akademie von Turku die Biologen gewesen, die für die Finanzierung seiner Forschungen stimmten, obwohl die Physiker geschlossen dagegen waren, überzeugt, es könne nicht funktionieren. Die Biologen hingegen hatten den Mechanismus gar nicht erst verstanden, doch der zu erwartende extrem hohe Nutzen für ihr Gebiet hatte sie motiviert. Tatsächlich ist das Revolutionäre an Hells Entdeckung nicht nur die Überwindung der 200 Nanometer Auflösungsgrenze, sondern die Tatsache, dass das von ihm entwickelte STED-Mikroskop im Prinzip gar keine Auflösungsgrenze mehr kennt – Hell forscht bereits an einer neuen Version, mit der man einzelne Moleküle sichtbar machen kann. Aber auch, dass damit nicht nur tote Gewebepräparate untersucht werden können, sondern erstmals dynamische Prozesse in lebenden Zellen. Etwa: Was passiert im Inneren einer Nervenzelle, wenn ein Botenstoff am Rezeptor der Zellwand andockt? Und was läuft anders bei der Alzheimerschen Krankheit? Oder: Was genau passiert in einer Krebszelle?


Ein Naturgesetz überlistet

Das Abbe-Limit besagt: Strukturen, die kleiner sind als eine halbe Wellenlänge des verwendeten Lichts können mit einem optischen Mikroskop nicht sichtbar gemacht werden. Es ist ein unüberwindbares Naturgesetz, dessen Grund in der Beugung der Lichtstrahlen liegt. Beim STED-Mikroskop wird das Abbe-Limit zwar nicht außer Kraft gesetzt, jedoch gezielt umschifft. Hell erkärt dies etwa so: Man stelle sich vor, in einem vollen Raum quatschen alle durcheinander. Unmöglich, die einzelnen Gesprächsinhalte aus dem Hintergrundlärm herauszuhören! Doch wenn es gelingt, die Masse zum Schweigen zu bringen, so dass nur noch einer spricht, und man dies der Reihe nach mit allen tut, können die Gespräche problemlos verstanden werden.

In der Sprache der Physik klingt es ein wenig komplizierter: Lebende Gewebe werden mit Fluoreszenzfarbstoff-Molekülen markiert und diese durch einen Laserstrahl (Anregungsstrahl) angeregt: Durch Absorption eines Photons gehen sie in einen höheren Energiezustand über, von dem sie später – nach einer zufälligen, mehr oder weniger kurzen Zeitspanne – in den Grundzustand zurückfallen und ein Lichtquant abstrahlen. Dieses Phänomen nennt man Fluoreszenz. Das Problem ist nun: Fluoreszierende Bereiche werden so zwar sichtbar gemacht, doch dort leuchtet alles und von ihrer eigenen inneren Struktur sieht man nicht viel. Dieses Leuchten kann allerdings durch Betrahlung mit einem zweiten Laser (Ausschaltstrahl) ausgeschaltet werden, wenn dieser der Wellenlänge des Fluoreszenzlichts entspricht: Der Ausschaltstrahl stimuliert das zuvor angeregte Farbstoffmolekül zur sofortigen Rückkehr in den Grundzustand. Wozu dies gut ist – denn nun leuchtet gar nichts mehr – wird gleich klar.

Im Fluoreszenzmikroskop lokalisiert man die Verteilung der Farbstoffmoleküle im Gewebe: z.B. mit fluoreszierenden Antikörpern markierte Krebszellen. Beim Fluoreszenz-Laser-Raster-Mikroskop beleuchtet man bloß einen winzigen Auschnitt der farbmarkierten Strukturen. Nur in dem vom Laserstrahl getroffenen Bereich wird die Fluoreszenz sichtbar, die beleuchtete Struktur auflösbar. Mit dem Strahl rastert man das ganze zu betrachtende Region ab. Die Größe des Laserfokus bestimmt die Auflösung – doch ist diese wegen des Abbe-Limits auf eine halbe Wellenlänge beschränkt.

Beim STED-Mikroskop wird die Begrenzung wie folgt umgangen: Ein fokussierter Anregungsstrahl beleuchtet das Gewebe. Gleichzeitig wird dieser von einem ringförmigen Ausschaltestrahl überlagert, der durch Interferenz der beiden Strahlen in der Mitte einen sehr scharfen Bereich erzeugt. Nur dort fluoreszieren die Moleküle, ringsum sind sie ausgeschaltet. Mit diesem sehr scharfen Bereich rastert man das zu untersuchende Objekt ab. In dem Maße, in dem man die Intensität des Ausschaltestrahls erhöht und die des Anregestrahls verringert, wird der Fokus in der Mitte immer kleiner – theoretisch unbegrenzt.
 

Am seidenen Faden

Schon als Kind interessierte sich der in Arad geborene, in Sanktanna aufgewachsene Stefan Hell für Naturwissenschaften. In Temeswar besuchte er das deutsche „Nikolaus Lenau” Lyzeum, von dem er schließlich 1978 ans Carl-Bosch-Gymnasium in Ludwigshafen wechseln musste. Seiner Mutter, einer Lehrerin, verdankte der Junge die Einstufung in die richtige Klasse, denn der Direktor hatte Zweifel, ob er als Rumänien-Aussiedler über-haupt ausreichend Deutsch könne, und der schüchterne Stefan äußerte sich nicht. Bald jedoch war Hell unter den Besten in der Klasse, zur Verwunderung der deutschen Lehrer und Schüler. Während seines anschließenden Physikstudiums hatte er bereits die Vision, ein hochauflösendes Mikroskop zu bauen. Doch seine Idee, das Abbe-Limit zu überlisten, wurde als absurd und unmöglich abgetan. In Deutschland wollte niemand davon hören! Auf seiner langen Suche nach einer Möglichkeit, in dieser Richtung zu forschen, bekam er schließlich rein durch Zufall eine Chance in Finnland: Ein finnischer Student, den er bei einem Workshop kennengelernt hatte, empfahl ihn seinem Professor an der Universiät von Turku. Dort stieß Hell auf das entscheidende „Missing Link”, das ihn einen großen Schritt voranbrachte: die Veröffentlichungen der Amerikaner Eric Betzig und William Moerner, die sich später mit ihm den Nobelpreis teilten. Fehlte nur noch die Zustimmung zur Finanzierung seines Vorhabens. Alles hing an einem seidenen Faden.

„Ich bin kein typischer westeuropäischer Wissenschaftler”. Der Satz aus dem Mund des Nobelpreisträgers klingt lange nach. Ein Querdenker, dem sich erstmal nur Türen zuschlugen, der gegen Wände rannte – und dies in der Wissenschaftshochburg Deutschland! Selbst die Stelle am Göttinger Max-Planck-Institut, die er nach seinem Finnland-Aufenthalt erhielt, sei der Tatsache zu verdanken, dass der damalige Leiter Amerikaner war „und nicht Teil des deutschen Denksystem”, betont Hell. Es war ein Fünfjahresvertrag, in dem er beweisen sollte, „ob das nun funktioniert oder nicht”. Dann, auf einmal, hagelte es Auszeichnungen, Prämien, schließlich den Nobelpreis.

Hells Karriere wirft wichtige Fragen auf: Nicht nur, ob seine Herkunft aus Rumänien und sein besonderer Lebensweg seinen Erfolg beeinflusst haben, wie er selbst überzeugt behauptet. Etwa: Welche Rolle spielte die Zweisprachigkeit, die frühe Ermutigung von Eltern und Lehrern oder das Sich-neu-beweisen-Müssen in der neuen Heimat? Woher hatte er die Neugier, die stärker war als alle Frustrationsmomente? Sondern auch die Frage, ob herausragende Querdenker in der westeuropäischen Wissenschaftswelt überhaupt ihren Weg finden können, oder ob das Umfeld dazu neigt, bahnbrechende Ideen im Ansatz zu ersticken und hochpotente Denker zu frustrieren. Denn nicht jedes Genie hat einen schwäbischen Dickschädel, wie Stefan Hell. Und nicht jeder wird am Ende mit dem Nobelpreis belohnt.