„Ein origineller Denker und komponierender Humanist“

Rudolf Wagner-Régenys Klavierkonzert in Hermannstadt erstaufgeführt

Peter Szaunig und das Orchester der Hermannstädter Philharmonie unter Leitung von Ilarion Ionescu-Galaţi führten Wagner-Régenys Klavierkonzert auf.
Foto: Christine Chiriac

Vor mehreren Jahrzehnten eroberte ein Siebenbürger die Opernbühnen in Westeuropa. Seine Werke wurden in Dresden, Berlin, Wien oder Salzburg uraufgeführt, unter der musikalischen Leitung von Karl Böhm, Herbert von Karajan, Kurt Sanderling oder Kurt Masur. Zudem schrieb er Oratorien, Kantaten, Orchesterwerke, Kammermusik und Lieder, war Korrepetitor, Chordirektor, Kapellmeister, Konzertpianist, Kompositionsprofessor, Hochschulrektor. Sein Gesamtwerk trug zur Entwicklung der europäischen Musikkultur des vergangenen Jahrhunderts bei – heute wird er leider nur selten erwähnt.

Umso mehr ist die Erstaufführung seines Klavierkonzerts in Hermannstadt am vergangenen Donnerstag als ein Highlight für die siebenbürgische Kulturszene zu betrachten.
Rudolf Wagner-Régeny (1903-1969) hatte seine „Orchestermusik mit Klavier“ im Jahre 1935 in Hermannstadt fertig geschrieben. Nun wurde sie durch das Orchester der dortigen Staatsphilharmonie, dirigiert von Ilarion Ionescu-Galaţi, über die Bühne des Thalia-Saals gebracht. Den Klavierpart übernahm Peter Szaunig, der sich für die Wiederentdeckung von Wagner-Régenys Musik schon seit Jahren einsetzt.

Das Konzert ist klassisch aufgebaut, melodisch und harmonisch ansprechend, rhythmisch sehr komplex. Klanglich ist es keine allzu schwierige Kost für das Publikum, auch wenn die kompositorischen Techniken sehr raffiniert sind. Die vier Sätze haben suggestive Überschriften: „Heftig gehämmert“, „Einfach, zart“, „Freimütig, frisch“, „Anmutig bewegt“ – und tragen Zeugnis von der expressiven Vielseitigkeit des Werks. Als Zugabe spielte der Solist seine eigene Widmung an den Komponisten, eine „Hommage à Wagner-Régeny“. Peter Szaunig ist gebürtiger Kronstädter, hat am Bukarester Musikkonservatorium studiert, war Klavierlehrer und Solist der Staatsphilharmonie Hermannstadt und lebt heute in Deutschland als Dozent, Konzertpianist, Musikwissenschaftler und Komponist. Nach der Aufführung ergab sich für ADZ-Redakteurin Christine Chiriac die Gelegenheit zu einem Kurzinterview mit Peter Szaunig.

Wie kam es zu der Erstaufführung des Klavierkonzerts in Hermannstadt?
Wagner-Régeny hat seine „Orchestermusik mit Klavier“ hier fertiggestellt. Er war für die Premiere seiner Oper „Der Günstling“ in Siebenbürgen – das Hermannstädter Deutsche Landestheater hatte das Bühnenwerk inszeniert, die musikalische Leitung übernahm damals Carl Gorvin, der später als Dirigent an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin wirken sollte. Für Wagner-Régeny waren diese Jahre insgesamt sehr erfolgreich: Nicht nur, weil Karl Böhm das Klavierkonzert in Dresden aus der Taufe holen sollte, mit dem Komponisten als Solist, sondern auch weil andere große Dirigenten sich für seine Musik interessierten: „Der Günstling“ erfuhr z. B. innerhalb der nächsten Jahre 138 Aufführungen in sechs Ländern!
Ein weiterer Grund, der für eine Erstaufführung in Hermannstadt spricht, ist, dass Wagner-Régeny selbst Siebenbürger Sachse war. Es war für mich selbstverständlich, das Konzert hier zu spielen. 

Ist Wagner-Régeny in Deutschland bekannter als hierzulande?
Er wurde lange Zeit „totgeschwiegen“, sowohl im Nationalsozialismus, als auch in der DDR. Dabei wollte Wagner-Régeny selbst nie Politik machen. Die Nazis hätten ihn und seine große Musik vereinnahmen wollen, er erregte aber Goebbels’ Zorn. In der DDR wiederum hatte er viele Neider und musste sehr unangenehme Situationen erleben. 

Kann man behaupten, er sei noch unentdeckt?
Er ist leider vergessen. Man müsste ihn wieder entdecken. „Unentdeckt“ ist vielleicht zu arg formuliert, denn eigentlich kannte ihn früher die Musikwelt sehr gut, er wurde oft in einem Atemzug mit Carl Orff genannt. Er war in der Tat eine herausragende Persönlichkeit, vor allem auf dem Gebiet der Oper. Er ist mit anderen Musikern aus dieser Gegend kaum zu vergleichen und kann auch nicht eindeutig einer Musikrichtung zugeordnet werden. Musikalisch und kompositionstechnisch war er ein Individualist. Er hat beispielsweise eine sehr persönliche Methodik der Zwölftontechnik entwickelt und hat in seiner Zwölftonmusik melodische Elemente so schön eingewoben, dass es meiner Meinung nach keinen Vergleich gibt. 

Vor der Zugabe – Ihrem „Hommage à Wagner-Régeny“ – haben Sie erwähnt, dass Sie die Vorlieben des Komponisten musikalisch respektieren. Geht es dabei um die Zwölftontechnik?
Nicht nur. Wagner-Régeny war der Meinung, dass man ganz intime Gefühle oder Gedanken vor allem in der Polyphonie ausdrücken kann. Er empfand, dass in einer Fuge, deren „Entbarockisierung“ er anstrebte, das Maximale an Expressivität erreichbar wird. Seinen Freunden oder bedeutenden Künstlerpersönlichkeiten, die in anregten, hat er deshalb – als Überhöhung seines Klavierzyklus – sieben Fugen gewidmet. Seine musikalische Hommage ging an Carl Orff, Boris Blacher, Gottfried von Einem, Kurt Weill, Darius Milhaud, Ernst Krenek und Paul Hindemith. Wagner-Régeny hat Richard Wagners Musik überhaupt nicht gemocht und die Romantik total abgelehnt. Mein Stück ist ein wenig anders. Wäre ich bei einem strikten Fugato geblieben, so wäre es ihm zuliebe vielleicht passender gewesen. Ich konnte aber nicht, es mussten auch Akkorde, Oktaven, Herzblut hinein. 

Hält er sich in seiner Musik emotional völlig heraus?
Er hat innerhalb einer bewundernswerten Bescheidenheit einen Akt genialer Aussparung musikalischer Sprachmittel praktiziert, die zu einer emotional verinnerlichten Lauterkeit hinführten. In einem Interview habe ich eine Parallele zwischen dem strengen japanischen Zen-Buddhismus und seiner Lebenseinstellung, seinem Charakter suggeriert. Gefühlsduseleien hat er immer stark abgelehnt. Er war ein ganz besonderer Mensch, der sich als origineller Denker und als komponierender Humanist auswies. Als Pädagoge hat er seine Schüler an die Philosophie, an Kant, Schopenhauer und Nietzsche herangeführt. Er war unheimlich begabt, schon als Kind: Beispielsweise mit elf Jahren hat er ein Werk für Orgel, Chor, Solisten und Orchester geschrieben, das leider verloren gegangen ist.

Ist er Siebenbürgen verbunden geblieben?
Wohl kaum. Von der ungarischen, rumänischen, sächsischen Folklore hat er sich in seiner Musik auch nur sehr wenig beeinflussen lassen. 

Sie haben zur Wiederentdeckung Wagner-Régenys maßgeblich beigetragen. Welches ist Ihr nächstes Projekt?
Ich beabsichtige, seine kulturphilosophischen und kunsthistorischen Gedanken zu veröffentlichen, anhand mannigfaltiger Aufzeichnungen, Vortragsmanuskripte, Essays, Briefe, Tagebucheinträge, Notizen über Musik. Zudem wünsche ich mir, dass eine seiner Opern aufgeführt wird, vielleicht in München.