Ein Recht auf mein Gesicht

Eines Morgens traf mich fast der Schlag, als ich mein Facebook-Account öffnete: Grinste ich mir doch in vielerlei Versionen von meiner eigenen Timeline entgegen! Die Bilder waren bereits versehen mit Likes und diversen Kommentaren Hunderter Facebook-Freunde. Da war ich also: mal händeschüttelnd und umarmend, dann dreimal dämlich grinsend im Gruppenfoto, dazu noch ein Profilbild, das meine geliebten vorstehenden Zähne so richtig schön zur Geltung bringt. Wie gut, dass ich kein komplexbeladener Teenager mehr bin. Trotzdem stellte sich die Frage, wie man das ganz schnell wieder loswird. Ich hab’s nämlich dort nicht gepostet!

Erste Löschversuche führten zu der Frage „unfriend Sandra?“, der offensichtlichen Urheberin. Nein, natürlich nicht! Die edle Spenderin meines Gesichts wollte mir doch nur eine Freude machen. Facebook-Freunde kennen einen nun mal nicht so gut, dass sie wissen, was einen beglückt.

Als ich endlich doch den Löschbutton fand, schob sich ein automatischer Fragebogen aufdringlich über den ganzen Bildschirm: Warum ich das Foto löschen wolle? Zum Ankreuzen von 1 bis 5. Die Antworten fließen vermutlich schnurstracks in meine CIA-Akte, woraufhin der Computer ein automatisches Update meines psychologischen Profils vornimmt: von suspekt unsozial bis geheimniskrämerisch-verdächtig. Und ab in die Datenbank mit den mutmaßlichen Terroristen...

Seit Facebook hat man also kein Recht mehr an seinem eigenen schiefen Grinsen. Gnadenlos werden die missglückte Oma-Frisur, die glänzende Nase und das weinselige Lächeln beim Empfang zum Teil der Geschichte. Es nützt nichts, den blöden Account zu löschen, außer, dass man dann halt nicht mitbekommt, wenn man der Weltgeschichte hinzugefügt wird. Hinzu kommt, dass Facebook eine Funktion anbietet, die jedem erlaubt, eine auf einem Foto erkannte Person zu identifizieren! Zum Beispiel: Luise postet ein Bild von ihrer Party, wo zufällig auch Lydia drauf ist. Hans erkennt Lydia darauf, markiert ihr Gesicht und schreibt ihren Namen dazu. Und Facebook verknüpft die Information automatisch mit deren Seiten, damit auch all ihre Freunde darauf aufmerksam werden. Unmöglich, so etwas zu unterbinden! Im Schneeballeffekt geht die Info nun an Freunde, Freundesfreunde und Freundesfreundesfreunde – und natürlich an den Nutznießer von Facebook. Genial, nicht? Denn auf diese Weise entstehen und verdichten sich ganze Kontaktnetzwerke.

Wie damit umgehen? Sich empören? Klagen? Wenn ja – gegen wen? Und überhaupt: Jeder Idiot kann von jeder Ecke der Welt aus, notfalls unter falschem Namen, Fotos oder Informationen zu jeder Person einstellen. Wenn man sich mal überlegt, welchen Schaden ein beleidigter Ex-Freund anrichten könnte...
Oder soll man sich daran gewöhnen? Einfach locker damit umgehen? Als Mutprobe vielleicht sogar die Flucht nach vorne antreten und selbst allen möglichen privaten Krimskrams posten? Babybilder, Schulausflüge, Selfies, Hochzeit und Urlaube – weil dann, von der Fülle gelangweilt, eh keiner mehr hinschaut? Auch nicht der Nutznießer des Systems, denn wer so fleißig postet, hat sicher nichts zu verbergen und ist damit nicht interessant... Paradox, oder?

Fazit: Das Recht am eigenen Bild ist mit Facebook Geschichte geworden. Denn wem soll man den Anwalt an den Hals hetzen, wenn der Nachbar von drüben ein Bild von mir schießt und es als „Räuber Hotzenplotz, lives in: Hinterpfuideifi, born on: 1. April, und dem Konterfei von Popeye als Porträtfoto, postet?

Es lebe der elektronische Exhibitionismus.