Ein Töpferdorf erwacht zu neuem Leben

Piscu (Ilfov), kulturelles Dorf 2017, soll bald Touristen und Ausflügler aus der Hauptstadt anlocken

Töpfe aus Piscu und ein Modell des geplanten Museums

Workshop für Kinder am Tag der „ie“

Adriana und Virgil Scripcariu mit Tochter Tecla

Virtuoser Auftritt: Caliu aus Clejani

Prachtvolle Trachten aus Piscu, am Tag der „ie“ zur Schau gestellt
Fotos: George Dumitriu

38 Kilometer nördlich von Bukarest, an einem heißen 24. Juni: Auf dem Wiesenplatz vor der Freiluftbühne, an den Töpfer-Ständen oder am Eismobil im Retro-Look sieht man heute mal keine modernen zerrissenen Jeans, keine bedruckten T-Shirts oder Glitzertops. Statt dessen trägt fast jeder, ob groß oder klein, ob Mann oder Frau, bestickte rumänische Trachtenblusen, „ie“ genannt. Immerhin ist offizieller Tag der „ie“–  und er zeigt: die „ie“–Tradition lebt! Vor allem dort, wo rumänische Dorfkultur noch Platz im Alltag findet und ganz bewusst gepflegt wird – in Piscu.

„Die Städter schätzen unser Angebot” freut sich Adriana Scripcariu, „und die Dorfbewohner brauchen diese Besuche“. Die Wochenendveranstaltung zum Tag der „ie“ ist ein kultureller Austausch zwischen Hauptstadt und Dorf – und nur einer der fünf Programmpunkte, zu denen sich das „kulturelle Dorf 2017“, Piscu, für dieses Jahr verpflichtet hat. Seit gut zehn Jahren leben die Kunsthistorikerin und ihr Mann, der Bildhauer Virgil Scripcariu, mit ihren sechs Kindern in Piscu. Selbst aus der Hauptstadt zugewandert und sensibilisiert durch ihre Berufe, erkannten sie schnell das Potenzial des ehemaligen Töpferdorfs. Unterstützt vom Bukarester Bauernmuseum begannen sie zu recherchieren: Wieviele Töpfer gibt es noch? Wieviele Keramik-Öfen sind noch in Betrieb? Durch Workshops für Kinder und Erwachsene, gemeinsam mit den wenigen, noch aktiven Töpfern, gelang es ihnen bald, an dem fast ausgestorbenen Handwerk wieder Interesse zu wecken.

Im Laufe der nächsten zehn Jahre kamen weitere Aktivitäten hinzu: Kinder-Sommerlager, die Handwerker-Karawane, Kurse in Schmieden,  Bildhauertechnik oder Linoldruck. Bücher wurden geschrieben, die sich vor allem an Kinder richteten: über das Töpfern, über Kulturerbe im Landkreis, über Sehenswürdigkeiten in der Region. Schließlich gründete das Paar – auch aus Bedarf für den eigenen Nachwuchs - sogar eine private Grundschule mit Schwerpunkt Kulturerbe. Als jüngstes Projekt der Scripcarius steht nun der Bau eines Töpfer-Museums an, zu dem am 24. Juni der Grundstein gelegt wurde. „Noch heute staunen die Dorfbewohner über den Ansturm an Besuchern“, lächelt Adriana. Es wird wohl eine Zeit brauchen, bis sie begreifen, welche Schätze ihre Vorfahren hinterlassen haben. Auch – oder gerade – in diesen modernen Zeiten.

Fünf kulturelle Aktionen als Pflicht

Die Krönung der Aktivitäten der rührigen Künstlerfamilie ist der Titel „Kulturelles Dorf 2017“, den sie mit ihrer NGO „[coala de la Piscu“ für ihr Dorf errungen haben. Ins Leben gerufen von der Vereinigung „Die schönsten Dörfer Rumäniens“, zusammen mit dem Bukarester Dorfmuseum „Dimitrie Gusti“, war das Programm war 2014 unter der Schirmherrschaft der französischen Botschaft in Bukarest zur Förderung von Dorfkultur und Tourismus entstanden. 41 Kandidaten hatten sich für 2017 beworben, 13 kamen in die Endauswahl, wo sie ihre Kandidatur mit einem Kulturpaket von mindestens fünf Aktionen begründen mussten. Piscu war mit einem vom Rathaus finanzierten Dokumentarfilm angetreten. Wenn es euch gelingt, den Titel heimzuholen, dann uinterstützen wir auch eure diesbezüglichen kulturellen Aktivitäten, hatte man den Scripcarius versprochen. Die Überraschung war groß, als Piscu sogar den ersten Platz erhielt, gefolgt von Vorona (Botoşani), Sângeorgiu de Mureş (Mureş) und Bonţida (Klausenburg) auf Platz 2,  dann Miroslava (Jassy), Savârşin (Arad), Tulghes (Harghita), Deda (Mureş), Tarcău (Neamţ), Lujerdiu (Klausenburg), Bacia (Hunedoara) und Dragomireşti (Dâmboviţa).

Zwei Mädchen lassen sich in ihrer “ie” vor der Wand mit den alten Trachten knipsen. Unter jedem Stück ist mit Kreide der Besitzer und eine kurze Geschichte notiert. „Ich wollte, dass die Dorfbewohner sich wiederfinden” erklärt Adriana Scripcariu. Mit dem Festprogramm hat man sich an der Atmosphäre der Märkte inspiriert, auf denen die Töpfer aus Piscu früher ihre Ware verkauften. Vergeblich sucht man daher industrielle Getränke und „Mici“ vom Grill, statt dessen gab es Fischsuppe im Keramikschälchen, das man behalten durfte, hausgemachte Limonade, Eis und Kuchen. Die Unterhaltung bestritten die Gruppen „Trei Parale“ und  „Taraful lui Caliu de la Clejani“ und für Kinder führte Liviu Borohoi das historische Puppentheaterstück „Vasilache und Mărioara“ auf. Anschließend lockten Workshops im Nähen, Töpfern, Linolschnitt, Blumenkränze-Binden oder Geschichten-Erzählen, alles zum Thema „ie“.  Organisatorisch mit im Boot war für diese Aktion die Spielschule „Şcoala de joacă“ von Oana Popa, eine weitere NGO in Piscu, die Persönlichkeitsentwicklung und traditionelle Spiele fördert.

Was in diesem Jahr noch im Pflichtprogramm des „kulturellen Dorfs“ ansteht, ist eine zweiwöchige Sommerschule für Architekturstudenten der Universität Ion Mincu, die Eröffnung eines Öko-Bootsstegs mit mindestens zwei manuell betriebenen Booten am See Balta Maicilor, wo man zum nahen Kloster Ţiganeşti übersetzen kann, die Markierung eines kulturellen Radwegs, der Piscu mit dem Dorf Poenarii Rali (Ialomiţa) verbindet, sowie der Töpfermarkt am 28. Oktober, dem Tag des hl. Dumitru. In der Sommerschule werden Studenten die traditionelle Dorfarchitektur dokumentieren. Die wertvollsten Häuser sollen Info-Tafeln erhalten, dann wird entlang derselben ein Radweg bis ins Nachbardorf angelegt, das sich durch eine völlig andere Architektur auszeichnet. „Die traditionellen Töpfer-Häuser in Piscu erkennt man an den Dachklappen, die geöffnet wurden, wenn der Keramikofen brannte“, erklärt Adriana Scripcariu. Heute sind die meisten zwar Garagen oder Wohnräume, doch neun beherbergen noch Öfen, von denen immerhin vier  aktiv sind. Ihre Betreiber verkaufen nur auf Märkten, sodass es in Piscu derzeit keine Möglichkeit zum Erwerb von Keramik gibt. Außer zum Tag der „ie“, wo sich die Töpfer guter Verkaufserfolge erfreuten!

„Dein Meter für das Museum”

Mit der Eröffnung des Museums soll sich dieser Missstand ändern: Neben Ausstellungen zu Keramik und Trachten aus dem Dorf ist auch ein Verkaufsraum vorgesehen. Außerdem wird die Schule für Kulturerbe ihren Sitz dorthin verlegen und dann auf fünf Klassen erweitert. „Ein Museum mit Schule – oder eine Schule mit eigenem Museum, das ist wohl einzigartig im Land”, freut sich die Kunsthistorikerin. Doch bis dahin ist noch ein wenig Geduld angebracht. Weil das Museum in keines der klassischen Finanzierungsprojekte passte, hat man sich aufs Sammeln in kleinerem Stil verlegt. „Wir haben bereits eine große Menge an Spanplatten von der Firma Kronospan aus Mühldorf, sowie 64 Baumstämme von Domeniu Cantacuzino Florescu für die Veranda”, erzählt Adriana Scripcariu. Den Bauplan für das Museum entwarfen die Architekturstudenten, die diesen Sommer  mit dem Fundament beginnen wollen. Das Rathaus soll logistisch unterstützen, Versprechen für Materialspenden lokaler Firmen liegen vor. In zwei Jahren, so die optimistischste Schätzung, könnte das Museum eröffnen. Ein Zeitplan, der auch vom Erfolg der Kampagne „Dein Meter für das Museum” abhängt, die kleine Unternehmen oder Privatleute zum Spenden von je 1000 Lei für einen Kubikmeter Holz animieren soll. „Zehn Kubikmeter haben wir schon, 100 sind insgesamt nötig“, erklärt Adriana Scripcariu. Der Spender wird zum Dank mit zehn Freunden zu einem Töpfer-Workshop eingeladen, „damit sie eine bessere Vorstellung von unserem Projekt bekommen“. 

Denn eine Erfahrung haben die Scripcarius längst verinnerlicht: Töpfern macht allen Spaß! Egal zu welcher Veranstaltung sie mit ihrer Töpferscheibe auftauchen, steht sie sofort im Mittelpunkt. Derzeit finden alle Aktivitäten – regelmäßig veranstaltet werden Töpferkurse, aber auch Workshops in Linolschnitt, Eisen-Schmieden oder Bildhauertechnik – auf dem Hof der Künstlerfamilie statt. Doch langsam ergreifen auch andere Menschen im Dorf ähnliche Initiativen – oder Städter mit passendem Interessensprofil wandern zu. Mittlerweile gibt es in Piscu einen Goldschmied, die genannte Spielschule, und auf dem Anwesen „Poiana florilor“ soll eine Pension im Öko-Baustil entstehen. Sicher werden auch die Dorfbewohner vom Tourismus profitieren, denn bisher müssen die meisten zur Arbeit nach Bukarest pendeln, wie Adriana Scripcariu erklärt. „Die Tatsache, dass sie sehen, dass die Dinge laufen, bedingt schon jetzt, dass sie sich mehr einbringen - was wiederum für uns wichtig ist”, fügt sie an. Denn ihr Projekt ist sinnvoll nur wenn die Dorfgemeinschaft einbezogen wird. Eine ihrer ersten Maßnahmen vor zehn Jahren war daher eine Töpfer-Sommerschule für Dorfkinder, um ihnen den Bezug zur eigenen kulturellen Vergangenheit zu vermitteln - „Kinder, deren Großeltern Töpfer waren und die doch noch nie ihre Hände in Lehm gesteckt hatten”.