Ein Tropfen Rumänien muss sein

Gespräch mit dem in Temeswar geborenen Schriftsteller Cătălin Dorian Florescu

Cătălin Dorian Florescu bei seiner Lesung in Berlin, nach welcher das Gespräch zustande kam. Foto: Ana Sălişte

Oft ist er in Rumänien auf der Suche: Nach Inspiration, nach einem Auslöser für neue Gestalten und Romane, aber auch nach Identität und einem Hauch Heimat. Der Schriftsteller Cătălin Dorian Florescu kommt von seiner Heimat, die er vor 30 Jahren verließ, nicht los. Rumänien sei eben seine „Stärke“, ein Tropfen davon muss in jedem seiner Werke vorhanden sein.

Für seine Romane „Wunderzeit“ (2001), „Der kurze Weg nach Hause“ (2002) und „Der blinde Masseur“ (2006) erhielt Florescu u. a. das Hermann-Lenz-Stipendium, den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis sowie ein Werkjahr der Stadt Zürich. Wunderzeit“  war Buch des Jahres 2001 der Schweizerischen Schillerstiftung. Seine bis jetzt bedeutendste Auszeichnung erhielt Florescu 2011: Für seinen Roman „Jacob beschließt zu lieben“ wurde er mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet. Über Heimat, Identitätssuche und über die Vorwürfe der Banater Schwaben aus Triebswetter/Tomnatic im Banat seinem letzten Roman gegenüber sprach BZ-Redakteurin Ana Sălişte mit Cătălin Dorian Florescu.

Sie haben den Kommunismus aus den Augen eines Kindes beschrieben, einen blinden Masseur zum Besitzer einer riesigen Bibliothek gemacht, die Lebensgeschichte der Puppenspielerin Zaira von Rumänien bis hin nach Amerika verfolgt und mit „Jacob beschließt zu lieben“ ein bewegendes Familienepos vorgelegt. Tatsächlich kann man noch kein Pattern bei ihren Romanthemen entdecken, nichts wiederholt sich und doch haben alle Romane die selbe Substanz, eine gewisse Identitätssuche. Wie schwer ist es für einen Schriftsteller, seine Romane und Themen neu zu definieren?

Es gibt einerseits Autoren, die monothematisch sind und sich immer wieder wiederholen. Andererseits gibt es Schriftsteller, die rein zufällig springen, das sind die Opportunisten und damit meine ich vor allem die Bestseller-Autoren. Und da gibt es noch jene Autoren, die springen, aber unterschwellig ist das Thema weiterhin da, wie ein untergrundiger Fluß. Ich denke, so einer bin ich. Auf der ersten Erzählebene lassen sich die Romane tatsächlich nicht miteinander vergleichen, drunter geht es aber immer wieder um das selbe: Der Mensch, der immer wieder bedroht ist. Er wird vom Leben selbst bedrängt, von der Diktatur, vom Hunger, vom Krieg. Er muss immer wieder packen und gehen. Manchmal muss er gehen, ohne zu packen. Meine Helden sind immer wieder im Zustand der fortschreitenden Gefährdung, sie suchen einen Ort für sich, sie suchen ihren Platz in dieser Welt. Das ist vielleicht das, was alle meine Bücher verbindet.

Und eben diese Suche ist der autobiografische Kern.

Ja, ich vermute, das ist das, was mich mit meinen Charakteren verbindet. Klar, ich bin nicht in dieser Not wie Jacob, aber diese Ratlosigkeit und Rastlosigkeit, die kenne ich von mir. Letztendlich sind sie alle Repräsentanten von mir: Jacob, Teodor in ´Der blinde Masseur´, Zaira als weibliches Alter Ego, die Jungen aus `Der kurze Weg nach Hause´.

Die Inspiration für Ihre Romane haben Sie immer wieder in Rumänien gefunden, auch wenn Sie bereits mit 15 Jahren in die Schweiz geflohen sind. Was verschlägt Sie immer wieder nach Rumänien?

Ich halte mich daran, was mir ein guter Freund gesagt hat: ´Cătălin, du musst dafür sorgen, dass ein Tropfen Rumänien immer vorhanden ist´. Da bin ich am stärksten. Ich weiß nicht, wieso. Der amerikanische Teil bei Zaira ist schwächer als der rumänische Teil. Der schweizerische Teil in „Der blinde Masseur“ ist ebenfalls schwächer als der rumänische. Mein Wesen reagiert immer noch sehr emphatisch auf den Osten. Da ist natürlich auch die rumänische Herkunft. Aber ich schreibe nicht so, weil ich aus Rumänien bin.

Ich meine, die anderen rumänischen Schriftsteller schreiben auch nicht so wie ich. Das ist eine eigene singuläre Haltung gegenüber dem Schreiben. Ich denke, dass ein Schreiben, das Schönheit entfalten kann, so ist, wie ich es tue. Deshalb tue ich es. Dazu gehört magischer Realismus, Aberglaube, der Teufel und Gott, aber auch die moderne Welt, dazu gehört Skurrilität, Bizzares. Es hängt von den Büchern ab, die ich las und von den Filmen von Fellini, Kusturica und vielen anderen, die ich sah. Es ist letztendlich auch ein persönlicher Akt und hat nichts damit zu tun, dass ich aus Rumänien komme.

Warum haben Sie nie auf Rumänisch geschrieben?

Weil das zum Paradox meines Lebens gehört. Ich spüre nicht die Notwendigkeit dazu. Ich spüre aber die Notwendigkeit über den Osten zu schreiben. Der Inhalt kann von überall herkommen, aber die Form nährt sich aus der Gegenwart, aus dem Jetzt. Ich meine damit die Sprache, das Kommunikationsmittel. Mein Jetzt ist Deutsch, d.h. wenn ich schreibe, dann ziele ich auf mein Jetzt hin, auf das Publikum, das mich umgibt, auf die Gesellschaft in der ich lebe, wo ich hineinwirke. Das ist jetzt nicht Rumänien. Sprache zielt eben immer auf das Hier und Jetzt und das ist Deutsch. Da entsteht keine Dringlichkeit, auf Rumänisch zu schreiben, wenn ich hier lebe. Das wäre eine Form von akuter Melancholie und das brauche ich nicht, weil ich sehr früh hierher kam.

Mit „Jacob beschließt zu lieben“ haben Sie ein zwiespältiges Echo ausgelöst: Einerseits gab es lobende Medienkritik und Sie wurden mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet.Andererseits hat der Roman Proteste und Empörung bei ehemaligen Bewohnern von Triebswetter/Tomnatic ausgelöst – dem Temescher Dorf, wo sich der größte Teil der Handlung abspielt. Negative, falsche Eigenschaften seien den Banater Schwaben angedichtet worden, so die Vorwürfe. Wie stehen Sie zur HOG Triebswetter, die ja sogar Ihr Buch als Beleidigung für alle Triebswetterer verbieten lassen wollte?

Ich will nicht in der Haut dieser Leute stecken, Das Gift, das sie sprühen, das vergiftet sie selbst. Diese Verbitterung und diese Agressionen sind furchtbar und ich habe eigentlich Mitgefühl mit ihnen. Mich berührt das nicht. Mein Buch hat sich 50.000 Mal verkauft, die Leute lieben Jacob. Alle Leute, die unbelastet sind, nicht giftig, nicht böse, diese Leute erkennen in Jacob einen Sympathieträger.

Mein Buch ist voller Liebe und Wärme, ohne Hintergedanken. Die zwanghafte Suche dieser Leute nach Sätzen, die irgendwas bei mir entladen sollte, weist eigentlich auf Wahnideen. Denn für diese Leute ist eine Fiktionalisierung von bitterer Realität nicht möglich. Und wenn es schon möglich wäre, dann sollte man es so tun, wie sie es wollen, im Sinne einer folkloristischen Dorfchronik. Das hätten sie wahrscheinlich gerne gehabt. Das hätte mich aber voll ins Messer meiner Leser und Kritiker laufen lassen, weil Literatur keine folkloristische Dorfchronik ist. Sie begreifen nicht, dass ein Rumäne mit dem Namen „Florescu“, der nicht aus ihrer Minderheit stammt, aus purer Neugierde und Interesse an einer großen Geschichte und, vor allem, ohne Hintergedanken dieses Buch schreiben kann. Man darf aber diese Aktion nicht überschätzen. Es ist eine Handvoll Leute, es klingt nach vielen im Internet, ist es aber nicht, es sind immer wieder die selben.

Wie erklären Sie das Wortspiel und den Unterschied zwischen Jakob mit „k“ und Jacob mit „c“, der eigentlich die gute Gestalt ist?

Ich wollte zeigen, von wie wenig es abhängig ist, ob man überleben kann oder nicht. Ich komme zum Beispiel aus einem Land, der Schweiz, wo es nicht sehr schön ist, einen serbischen Namen zu haben. Hast du einen „ci“ am Ende, so kriegst Du schwer eine Arbeit, eine Wohnung usw. Es hängt oft von einem Buchstaben ab, wie dein Leben verläuft. Das war mein Ziel.

Wann kann man mit einer Lesung in Temeswar rechnen?

Bald. Jetzt kommt das Buch auf Rumänisch heraus. Für Ende November steht dann eine Lesereise durch Rumänien im Plan, darunter auch in Temeswar.