Ein Volk von sich Schämenden

Teenager-Alltag im 21. Jahrhundert

Sie ist erst 10, als sie der Mann auf der Straße vulgär anmacht. Sie schafft es wegzulaufen, doch das Ereignis verfolgt sie jahrelang. Zu Hause erzählt sie keinem was davon. Es ist ja eine Schande, über so etwas zu reden, nicht wahr?

Die Jahre vergehen. Sie ist 16, besucht die zehnte Klasse. Blöde Anmachen von Mitschülern – besonders von älteren – gehören zum Schulalltag. Ein Klaps auf den Po, ein aufgezwungener Kuss und einige Lehrer, die das sogar lustig finden: Willkommen im Teenager-Alltag des 21. Jahrhunderts!

#metoo schreiben rumänische Frauen auf Facebook, und wenn sie sich nicht schämen würden, so könnten 99 Prozent aller Frauen in Rumänien angeben, dass sie irgendwann, irgendwo, von irgend jemandem auf irgendeine Art und Weise sexuell belästigt wurden. Vorweg sei gesagt: Belästigung ist nicht gleich Vergewaltigung. Die Belästigung beginnt da, wo das beidseitige Einverständnis endet. Wenn eine Gruppe Bauarbeiter einer Frau auf der Straße hinterher pfeift, wenn dabei vulgäre Anreden fallen, wenn es die Frau als äußerst unangenehm empfindet, dann hat man sie schon, die Belästigung. Keine Sorge: Wir können schon Komplimente von Belästigungen unterscheiden!

Die #metoo-Solidarisierungsaktion von Frauen weltweit zeigt, wie groß überhaupt das Problem ist. Dass die virale Kampagne auch in Rumänien erste Früchte trägt, beweist in erster Linie die Tatsache, dass der R.A.C.L.A-Sänger Rimaru, mit richtigem Namen Călin Ionescu (46), in einer Bukarester Werbeagentur tätig, als Frauenbelästiger enttarnt und anschließend entlassen wurde. Es ist ein positives Zeichen: Rumänische Frauen haben Mut gefasst und erzählen öffentlich, was ihnen passiert ist.

Die Konjunktur, in der das geschieht, ist keine einfache. Wir, die Rumänen, sind ein Volk von sich Schämenden. Wir haben Angst zu sagen, was uns stört, umso mehr, öffentlich Stellung dagegen zu nehmen. Gespräche über Sex und Belästigung sind tabu, Kinder und Jugendliche haben es schwer, ihre Herzen den Eltern gegenüber zu öffnen. Und dabei sollten gerade Mutter und Vater die Vertrauenspersonen sein.

Kampagnen wie #metoo – egal ob dahinter gescheite Werbekampagnen oder sonst was stecken – regen definitiv zum Nachdenken an. Allein schon die Message – „du bist nicht allein“ – könnte einige weibliche Internetnutzer dazu veranlassen, die nächste Belästigung nicht mehr zu tolerieren, sondern sich dagegen zu wehren. Ein Wert für sich ist die Debatte selbst, die dadurch im Internet ausgelöst wurde. Auf eines sollte man allerdings auch gefasst sein, wenn man mit #metoo an die Öffentlichkeit, spricht auf Facebook geht: Es werden definitiv auch negative oder ironische Bemerkungen fallen, ganz nach dem Motto: „Ce-i, Nelepcu, te simţi molestată?“ (deutsch: Was gibt´s, Nelepcu, fühlst du dich belästigt?) Die gilt es keineswegs zu ignorieren, sondern darauf zu reagieren. Auch wenn sie nicht öffentlich, sondern lediglich als private Nachricht geschickt wurden.