Einblick in ehemalige sächsische Führungskreise

Gespräch mit Ausstellungskurator Radu Popica vom Kronstädter Kunstmuseum

Kurator Radu Popica vor dem Bildnis des Stadtrichters Lucas Hirscher (1535).
Foto: Christine Chiriac

Ende September wurde am Fuße der Zinne die Ausstellung „Bildnisse sächsischer Patrizier aus Kronstadt. Ein Kapitel siebenbürgischer Kunst” eröffnet. Es geht dabei um einen Querschnitt der Porträtkunst aus dem 16. bis 18. Jahrhundert und gleichzeitig um einen historischen Überblick der Kronstädter Führungselite jener Zeit. Die Gemälde stammen aus den Beständen des Kunstmuseums Kronstadt/Braşov, dem die Initiative der Ausstellung gehört, sowie aus den Kollektionen der Evangelischen Kirchengemeinde A.B. Kronstadt (Honterusgemeinde), des Brukenthal-Museums Hermannstadt/Sibiu und des Nationalmuseums Törzburg/Bran. Die Kunstschau kann bis zum 10. November besucht werden und wird von einem zweisprachigen Katalog (in deutscher und rumänischer Sprache) begleitet. Kuratiert wurde sie von dem Leiter der Kunstabteilung des Museums, Radu Popica. Er ist Experte in der südost-siebenbürgischen Grafik und Staffelmalerei und hat das Studium der Kunstgeschichte und einen Master in vergleichender zeitgenössischer Geschichte an der Klausenburger „Babeş-Bolyai“-Universität absolviert. 2004 begann er als Museologe seine Tätigkeit im Kronstädter Kunstmuseum. Mit Radu Popica führte ADZ-Redakteurin Christine Chiriac folgendes Gespräch.

Wie kam es zur Idee, Porträts der ehemaligen sächsischen Vertreter Kronstadts auszustellen?

Dazu gibt es eine lange Vorgeschichte. Das erste Forschungsthema, mit dem ich mich als angehender Museumswissenschaftler in Kronstadt befasst habe, betraf die Porträts der Stadtrichter. Nach und nach habe ich entdeckt, dass der Bereich viel umfassender ist, und dass es in der Kategorie der Bildnisse sächsischer Patrizier längst nicht nur jene der Stadtrichter gibt. Zahlreiche andere Persönlichkeiten, die die Stadtgeschichte geprägt haben, kommen in wertvollen Bildnissen vor. Im Laufe meiner Recherchearbeit habe ich außerdem die Künstler für mich entdeckt, die diese Porträts gemalt haben, und die in der zeitgenössischen Fachliteratur kaum vorkommen. Die letzten Studien, die zu diesem Thema veröffentlicht wurden, stammen von siebenbürgisch-sächsischen Kunsthistorikern und wurden in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verfasst. Allerdings geht es da größtenteils um Informationen aus Primärquellen, ohne Interpretationsversuche. Das Thema hat sich zu einem roten Faden meiner Tätigkeit entwickelt und ich habe es schließlich in mehreren Fachstudien behandelt. Es war nur selbstverständlich, als Krönung der Arbeit eine Ausstellung zu planen – auch weil bisher diese Gemälde noch nie allesamt in einer Kunstschau vorgestellt wurden. Einige von ihnen wurden einzeln bereits gezeigt – zum Beispiel in unseren Ausstellungen der vergangenen Jahre „Kronstädter von früher” und „Deutsche Kunst aus Siebenbürgen”.

Der Katalog enthält eine Auflistung von Kunstwerken, von denen in der Ausstellung nur einige zu sehen sind. Gibt es viele andere Porträts in Kronstadt?

Wir wollten für den Katalog eine möglichst vollständige Liste der Kronstädter Patrizierporträts erstellen, und sind dabei auf die Zahl 98 gekommen. Allerdings umfasst diese Liste sowohl die Werke, die in der Ausstellung gezeigt werden, als auch jene, deren Konservierungsstand kritisch ist, und jene, die nur in dokumentarischen Quellen vorkommen, jedoch verschollen sind. Unser ursprünglicher Wunsch war es, noch mehr Gemälde auszustellen – aber es handelt sich zum Teil um Kunstwerke, die 200 bis 250 Jahre alt sind, und die im Laufe der Zeit nicht immer unter besten Bedingungen aufbewahrt wurden. Wir mussten verzichten, haben sie aber in Miniaturformat auf Aufrollern reproduziert, damit sie zumindest indirekt präsent sind. Für die Ausstellung haben wir auch einige Arbeiten restauriert, aber für mehr als das hat uns die Zeit gefehlt.

Was geschieht mit den Werken, die noch nicht restauriert werden konnten?

Die Kunstwerke, die dem Museum gehören, werden automatisch auch in unser Restaurierungsprogramm aufgenommen. Natürlich müssen wir hier Prioritäten setzen. Manche Gemälde sind zu 60-70 Prozent beschädigt und es könnte sein, dass das eine oder andere gar nicht mehr gerettet werden kann. Über die Bilder, die zum Beispiel im Besitz der Kronstädter evangelischen Kirche oder des Törzburger Nationalen Museums sind, entscheiden die Institutionen selbst. Bei uns wurde für die jetzige Ausstellung auch ein Werk aus den Beständen der Kirche restauriert, und zwar das Porträt von Valentin Tartler (Unbekannter Maler, 1728, Anm. d. Red.), ein kleinformatiges Gemälde in Öl auf Kupfer.

Was lernen wir aus kunsthistorischer und geschichtlicher Perspektive von dieser Ausstellung?

Nicht zufällig haben wir uns für den Untertitel „Ein Kapitel siebenbürgischer Kunst” entschieden. Es war uns wichtig klarzustellen, dass wir nicht nur ein strikt lokales Thema behandeln, sondern dass die Porträts der sächsischen Patrizier aus Kronstadt in ein größeres Ganzes integriert sind –  nämlich in die weltliche siebenbürgische Staffelmalerei des 16. bis 18. Jahrhunderts. Ein gutes Beispiel ist das wertvolle Porträt des Stadtrichters Lucas Hirscher von Gregorius (1535) aus dem Brukenthal-Museum, ein repräsentatives Werk der siebenbürgischen Renaissance, das mit der deutschen Malerei der Epoche stilistisch eng verbunden ist.

Die nächste Etappe stellt paradoxerweise einen künstlerischen Rückgang zu einer etwas provinziellen, schematischen Manier dar, die etwa in dem Porträt von Valentin Hirscher (1599), dem ältesten datierbaren Werk aus den Beständen unseres Museums sichtbar ist sowie in den Bildnissen von Simon Drauth dem Älteren und Simon Drauth dem Jüngeren (zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts). Die Porträtkunst des 18. Jahrhunderts ist sehr gut vertreten: Einerseits stellen wir fest, dass die sogenannte „provinzielle“ Manier fortgesetzt und mit barocken Elementen bereichert wird, wie im Bildnis der Anna Maria Closius (1758); andererseits dringt das Barock direkt in die siebenbürgische Malerei ein, mit typischen aristokratischen Porträts, wie zum Beispiel jenes von Joseph Gottlieb Seuler von Seulen (Mitte des 18. Jahrhunderts). Johann Traugott von Seulen (um 1750) ist ein Sonderfall: Das Gemälde wurde vom Wiener Hofkünstler Jacob van Schuppen geschaffen.

Das zeigt, wie niveauvoll das Leben der Patrizier aus Kronstadt war, was sie sich leisten konnten.
Schließlich machen sich auch neoklassische Einflüsse bemerkbar, so wie in den Werken von Johann Martin Stock und Franz Neuhauser dem Jüngeren. Nach 1800 setzt sich das bürgerliche Bildnis durch, das nicht nur den kunsthistorischen, sondern vor allem den sozialen, wirtschaftlichen, politischen Wandel der Zeit reflektiert. Die Patrizier stehen im Wettbewerb mit den neuen aufstrebenden Familien, die aus den Reihen der Sachsen und erstmals auch aus den Reihen der Rumänen kommen. Die Kunst dieser Zeit reflektiert das Ende einer Epoche. In unserer Ausstellung wird das beispielsweise im Porträt von Georg Franz Klompe von Kronberg (etwa 1810) veranschaulicht. Das ist ein rein bürgerliches Porträt, selbst wenn der Porträtierte aus einer alten Patrizierfamilie stammte. Also können diese Arbeiten auch aus historischer Perspektive betrachtet werden: Sie sind visuelle Dokumente.

Wird die historische Perspektive auch im Katalog hervorgehoben? Welche Studien sind im Begleitbuch enthalten?

Die Studie von Silvia Popa befasst sich mit dem Wandel der Mode und zugleich der Art und Weise, wie die Patrizier dargestellt werden. All diese in den Bildern sichtbaren Elemente zeigen die konfessionellen und gesellschaftlichen Entwicklungen aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die Übertritte zum Katholizismus und die Annäherung gewisser Patrizier an den Wiener Hof sind in den Darstellungen an spezifischen Symbolen zu erkennen. Außerdem gibt es eine Studie, die ich geschrieben habe, und in der ich meine bisherigen Forschungsergebnisse zum Thema zusammengefasst habe. Schließlich enthält der Katalog eine etwas provokative Studie, die von Iulia Mesea und Alexandru Sonoc vom Brukenthal-Museum verfasst wurde. Die Arbeit ist sehr ausführlich dokumentiert und wirft neue Thesen in Bezug auf das Bildnis von Lucas Hirscher auf: Warum die Arbeit in Auftrag gegeben wurde, wie die Inschrift interpretiert werden kann usw. Ich finde, es ist wichtig, dieses Gemälde weiterhin unter die wissenschaftliche Lupe zu nehmen, denn es ist repräsentativ für die siebenbürgische Kunst. Ich erhoffe mir eine Fachpolemik und neue Erkenntnisse.

Es gab in den vergangenen Jahren im Kronstädter Kunstmuseum immer wieder Ausstellungen mit siebenbürgisch-sächsischer Thematik. Planen Sie weitere für die nächste Zeit?

Die Bestände unseres Museums sind von sächsischen Malern geprägt. In der Kronstädter Kunstgeschichte allgemein spielten die sächsischen Künstler bis 1945 eine maßgebliche Rolle – deshalb konnten wir tatsächlich einige thematische Ausstellungen anbieten. Das wollen wir auch weiterhin tun. Für das kommende Jahr planen wir eine umfassende Friedrich-Mieß-Retrospektive und einen ebenso ausführlichen Begleitkatalog. Wie wir es mit seinem Generationskollegen Arthur Coulin vor wenigen Jahren versucht haben, wollen wir dazu beitragen, dass Mieß seinen verdienten Platz in der siebenbürgischen und rumänischen Kunst wieder bekommt.