Eine Hochburg der Freiwilligenarbeit

Schüler und Erwachsene setzen sich in Hammersdorf ein

Thomas Pöchtrager teilt die Klasse in drei Gruppen auf, die an den Hochbeeten arbeiten sollen.

Die Schüler jäten intensiv das ihnen zugewiesene Beet.

Dieser Setzling soll im Hochbeet ein neues Zuhause finden.

Das Insektenhotel soll nützliche Krabbeltiere anziehen, die Gartenschädlingen zu Leibe rücken.
Fotos: Vlad Popa

Die Zeit scheint im Hermannstädter Stadtteil Hammersdorf/Guşteriţa stillgestanden zu sein. Unweit der Hammersdorfer und der Podului-Straße erstreckt sich in Richtung Hammersdorfer Berg das einzige Stadtviertel in Hermannstadt/Sibiu, dessen mit Flussstein gepflasterte Straßen und alte sächsische Häuser eher an ein abgelegenes siebenbürgisches Dorf erinnern als an eine ehemalige Kulturhauptstadt.

Das ist auch gut so: In einem Zeitalter, in dem viele von uns jede Gelegenheit wahrnehmen, der Aufregung der Stadt zu entkommen, lässt sich Ruhe finden, wo man sie am wenigsten erwartet hätte - direkt um die Ecke. Dort steht auch die ehemalige Hammersdorfer Dorfkirchenburg auf einem kleinen Hügel, umgeben von Gärten und ihren Jahrhunderte alten Wehrmauern.

Die gesamte Anlage verwaltet die Hermannstädter Gemeinde der Evangelischen Kirche A.B., welche beabsichtigt, sie zu einem Ort der außerschulischen oder non-formellen Bildung für alle Alterskategorien zu machen. Nicht nur Kinder oder Schüler sind willkommen, seit einiger Zeit nehmen auch Jugendliche, Studenten und sogar Erwachsene an den Veranstaltungen und Programmen in der Hammersdorfer Kirchenburg teil oder setzen sich freiwillig für deren Erhalt und Instandsetzung ein.

Im Hammersdorfer Lehrgarten

Das neueste Projekt der Kirchenburg befasst sich im Rahmen der erwähnten non-formellen Erziehung mit Gartenarbeit. Impulse sollen von der Kirchenburg ausgehen, um vorerst Schulen zu begrünen. Mit einigen Schulklassen soll ein Gartenprojekt ins Leben gerufen werden, in dessen Rahmen Schüler einen Garten und die damit verbundenen Arbeiten kennenlernen sollen. Dabei bekommen die Kinder einen Einblick in die Vorbereitung des Bodens, das Heranziehen von Saatgut, das Setzen und die Pflege der Jungpflanzen, das Düngen und die Ernte. Alles geschieht dabei nach den Prinzipien des Öko-Anbaus und unter der Leitung eines fachkundigen Koordinators.

Das gesamte Projekt lehnt sich an das Konzept des „Lehrgartens“ (Educational Garden) an, welches beispielsweise in Großbritannien bereits Teil des Lehrplans ist, wo Schüler in den Schulgärten verschiedenes Gemüse anbauen, ernten und später zu einem Gericht verarbeiten. Es geht dabei um biologischen Landbau, gesunde Ernährung und das Ausprobieren von Kochrezepten als Alternative zu Fertigprodukten. Damit soll auch dem Problem Übergewicht zu Leibe gerückt werden, welches verstärkt im Westen Europas, den Vereinigten Staaten oder Kanada die Gesundheit aller Altersklassen beeinträchtigt.

Obwohl Übergewicht in Rumänien bislang kein brennendes Thema ist, soll das Projekt vorbeugend zur Erziehung der jungen Generation im Sinne einer gesunden Ernährung beitragen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt des biologischen Gartenanbaus ist, dass man ein ganzes Ökosystem im Blick hat. Man konzentriert sich dabei nicht nur auf die heranzuziehenden Nutzpflanzen, sondern auch auf Gewächse in der Umgebung, die zum Beispiel Schädlinge fernhalten oder nützliche Insekten anziehen.

Viertklässler bei der Arbeit

Derzeit engagiert sich eine vierte Klasse der Allgemeinschule Nr. 2 in Begleitung ihrer Lehrerin, Elke Dengel, im Pfarrgarten. Sie hat vergangenen Winter die Patenschaft über drei Hochbeete offiziell übernommen und hält sich nun freitags nach Schulende zwischen 13.30 und ca. 16 Uhr im Garten auf. Rund 30 Kinder sitzen auf Baumstämmen oder im Gras und hören den Anleitungen des österreichischen Gartenpflege-Pädagogen Thomas Pöchtrager zu. Im Vorfeld haben die Kinder drei Hochbeete angelegt, sie mit Erde befüllt, den biologischen Kompost hierfür vorbereitet und in die Erde eingearbeitet.

Gleich soll einer der Höhepunkte des Projektes über die Bühne gehen, denn an diesem Nachmittag werden die Jungpflanzen gesetzt. Dazu erhalten die Kinder nun die notwendigen Informationen. Je nachdem, welche Gemüsearten sie setzen und später ernten wollen, müssen die Schüler auf den Abstand zwischen den Pflanzen achten, damit sich diese optimal entwickeln können. Gepaukt wird aber nichts und auch von Schulheften ist nichts zu sehen. Lediglich eine ausgemusterte Schultafel dient als Lehrmaterial für die visuelle Darstellung der Anordnung der Reihen und der Abstände zwischen den Pflänzchen. Wiederholt wird, welche Gemüsearten sich miteinander vertragen, welches Werkzeug man wofür benötigt - und dann geht es auch schon ab ins Gewächshaus, wo die vorbereiteten Setzlinge warten.

Umgeben von der Kinderschar erklärt Thomas, wie die zarten Pflänzchen aus ihren Formen herausgehoben werden müssen, damit die empfindlichen Wurzeln heil bleiben. Dann zieht die aufgeregte Gruppe in den Lehrgarten zu den vorbereiteten Hochbeeten und fängt an zu jäten. Thomas und Elke stehen den Kindern für Fragen, an denen es niemals mangelt, zur Verfügung und helfen hie und da ein wenig nach.

Thomas Pöchtrager ist seit Anfang September in dem Projekt. Er will sich für ein Jahr in Hammersdorf einsetzen und hilft bei der Erstellung des Angebotes für Schulklassen sowie der Durchführung eines Sozialprojektes für Roma-Kinder. Gemeinsam mit Fabian Bohmans, der ein freiwilliges soziales Jahr in Hammersdorf leistet, koordiniert er die Gruppen und bereitet das Lehrmaterial vor.

Die Kirchenburg im Zentrum der Aktivitäten

Die vierte Klasse ist nicht die einzige Kindergruppe, die regelmäßig im Pfarrgarten arbeitet. Im Rahmen eines Sozialprojektes bilden marginalisierte und Roma-Kinder aus Hammersdorf eine weitere Gärtnergruppe, die im Lehrgarten angebaut hat und mittlerweile schon die ersten Salate erntet. Mit den Kräutern aus der Kräuterecke sollen die Kinder schmackhafte Dressings zubereiten und ihre Salate selbst anrichten. Auch drei Studenten der Hermannstädter Hochschule für Landwirtschaft sind im Garten aktiv und nutzen ihre Erfahrungen für ihre Abschlussarbeiten zu den Themen Tomatenanbau, nützliche und schädliche Insekten, sowie zu Gewächshäusern allgemein. Des weiteren trifft man auf Architekturstudenten der Bukarester Ion-Mincu-Universität, die in Hermannstadt über eine Zweigstelle verfügt. Für sie ist die Kirchenburg Studienobjekt.

Außerdem gibt es zahlreiche Organisationen, die sich für Aktivitäten rund um die  Kirchenburg und die Gemeinschaft in der Umgebung einsetzen. Die Theatergruppe „Bridge Theatre“ führt Theaterprojekte mit Kindern aus Hermannstadt und Hammersdorf durch. In Zusammenarbeit mit den Vereinen „Tura in Natura“, „PeDale“ und dem Siebenbürgischen Karpatenverein (SKV) hat die Evangelische Kirchengemeinde A.B. in Hermannstadt 2013 Wander- und Fahrradwege markiert und mit Informationstafeln versehen. An den Sanierungsprojekten der Kirchengemeinde beteiligen sich zahlreiche Freiwillige aus dem In- und Ausland, die beispielsweise alten Putz abklopfen oder andere Arbeiten an den Gebäuden der Anlage durchführen.

Im Rahmen der unlängst verstrichenen Woche „Schule anders“ setzten sich täglich rund 50 Schüler und Eltern im Garten ein. Zu diesem Anlass bauten die Teilnehmer Insektenhotels, welche für den Garten nützliche Insekten anziehen sollen. Zwei davon stehen nun im Pfarrgarten und tragen zum Schutz des Gartens und der Aufklärung der Besucher bei.

In die alte Dorfkirchenburg ist wieder Leben eingekehrt. In allen Räumen, in der umgebenden Grünanlage sowie im Garten ist die rege Tätigkeit der Kinder, Schüler, Eltern und Studenten zu sehen. Das Vorhaben der Kirchengemeinde im Bereich der non-formellen Erziehung und das Projekt des Lehrgartens scheint in besten Händen zu sein.