Eine kleine Geste, die Großes bewirkt

Im Hohen Dom zu Temeswar wird jeden Dienstag das Antoniusbrot gesammelt

Die Sankt-Georgs-Kathedrale in Temeswar ist die zentrale Sammelstelle für das gespendete Antoniusbrot.

Vormittags im Hohen Dom: Einige Brote liegen schon auf der letzten Sitzbank, die Menschen bringen das Antoniusbrot den ganzen Tag über in die römisch-katholische Kathedrale.

Der Heilige Antonius erhört die Bitten der Gläubigen, die sich mit Gebeten an ihn wenden.

Abends im Pater-Jordan-Nachtasyl: Die Obdachlosen bekommen ein warmes Essen und eine Bleibe für die Nacht.
Fotos: Raluca Nelepcu (2), Zoltán Pázmány (2)

Dienstag, 11.30 Uhr: Ein Mann Mitte 30 betritt entschlossen den Hohen Dom zu Temeswar, sein Blick nach vorne gerichtet. Sportschuhe, Blue-Jeans, grüne Sportjacke, große Hippie-Stofftasche, bunte Strickmütze auf dem Kopf, schulterlanges Haar: Der junge Mann steckt die Finger seiner rechten Hand in das Weihwasserbecken und bekreuzigt sich, dann geht er in den Raum rechts, wo die Kerzen brennen und die Statue des Heiligen Antonius steht. Er legt einen Brotlaib am Sockel des Heiligen Antonius nieder, kniet und betet am Kreuz mit der Aufschrift „Missio 1909“. Seine Gedanken kann keiner lesen, aber seine ernsten Gesichtszüge verraten, dass es um etwas Ernstes geht. Er hat womöglich ein Problem und sucht nach einer Lösung. Die Lösung oder, besser gesagt, die Hilfe könnte vom Heiligen Antonius kommen - davon ist der junge Mann überzeugt. Menschen bringen am heutigen Dienstag Brot in die Kirche – für die Armen und Obdachlosen aus Temeswar. Es ist das Antoniusbrot, das jeden Dienstag für einen guten Zweck gesammelt wird. Wer ein Brot mitbringt, der richtet meist auch eine Bitte an den Heiligen Antonius von Padua. Manche Menschen kommen nur, um „Danke“ zu sagen.

Die alte Tradition des Antoniusbrotes beruht auf einer Begebenheit aus der Biografie des Heiligen Antonius von Padua. Der Legende nach habe eine Mutter, die in der Nähe der Baustelle der Basilika des Heiligen Antonius aus Padua wohnte, ihren zweijährigen Sohn allein in der Küche gelassen. Das Kind fiel beim Spielen in ein Fass voll Wasser. Kurze Zeit später fand die Mutter das Kind leblos auf. In der Verzweiflung betete die Frau zum Heiligen Antonius (geb. um 1195 in Lissabon, Portugal – gest. am 13. Juni 1231 in Arcella, heute ein Stadtteil von Padua in Italien), bat um Hilfe und versprach: Sollte das Kind überleben, dann würde sie den Armen so viel Brot schenken, wie das Kind wog. Der Heilige Antonius erhörte ihre Bitte – und die Frau hielt Wort. Sie schenkte dem Kloster so viel Brot, wie  das Kind wog, damit es an andere arme Mütter verschenkt werden konnte. Diese einfache Episode war es, die dazu führte, dass das Antoniusbrot sich über Jahrhunderte etablierte, als Danksagung für das Gute, das einem widerfahren ist. Auch heute noch wird in katholischen Kirchen auf der ganzen Welt das Antoniusbrot gesammelt und an die Armen verteilt. Wohltätige Vereine zur Unterstützung von Bedürftigen haben den symbolträchtigen Namen „Antoniusbrot“ gewählt.

Brot geht an die Bewohner des Nachtasyls

Der Heilige Antonius hält das Christuskind im linken Arm und Lilien in der rechten Hand. Seine Augen sind geschlossen. Die Statue im Hohen Dom wacht über die Menschen, die jeden Dienstag in die römisch-katholische Kathedrale kommen, um Brot zu spenden und zu beten. Es sind Menschen jeden Alters, die den Dom betreten und ihre innigsten Wünsche dem Heiligen Antonius offenbaren. Aneta Bulai kennt viele der Menschen, die Dienstag für Dienstag hierher kommen. Die Schwester der Congregatio Jesu (die Maria-Ward Schwestern oder Englische Fräulein) spricht mit einigen von ihnen – manche wollen erzählen, andere sind still und lassen es bei einem höflichen „Guten Tag“ bleiben. Die Nonne ist vor einigen Jahren aus der Moldau über Bukarest ins Banat gekommen. Sie nimmt den Gläubigen die mitgebrachten Brote ab und legt sie sorgfältig auf die letzte Sitzbank im Dom. Acht Laibe Brot liegen bereits auf der letzten Bank im Dom. „Es kommen viele Menschen hierher und bringen das Antoniusbrot mit. Es sammeln sich 60-80 Laib Brot, jeden Dienstag zwei Sack voll“, erklärt Schwester Aneta. Das Brot wird abends ins „Pater Jordan“-Nachtasyl für Obdachlose gebracht. Dort bekommen rund einhundert Menschen, die während des Winters in der Einrichtung der Caritas übernachten, ein warmes Abendessen – dazu das Brot, das die Gläubigen gespendet haben.

„Es gibt eine Frau, der ich jeden Dienstag, nach der Abendmesse, ein Brot mitgebe. Da sagte sie mir eines Tages, dass sie dieses Laib Brot mit einer armen Nachbarin teilen würde. Sie verlangte kein weiteres Stück Brot, sondern sie erzählte es einfach. Ich beschloss, ihr zwei Brote mitzugeben. Ihre Bescheidenheit rührte mich ganz besonders“, sagt die Nonne. Solche Geschichten könnte sie viele erzählen, doch sie zieht die Diskretion vor. „Die Menschen helfen einander in der Not“, weiß sie. „Beten Sie auch für mich“, bittet sie die junge Zeitungsredakteurin, die am heutigen Dienstag ebenfalls ein Antoniusbrot in den Dom mitgebracht hat.

Auch Gläubige anderer Konfessionen spenden Brot

Vor einigen Jahren wurde in Temeswar die alte Tradition des Antoniusbrotes wieder ins Leben gerufen. Einer der Unterstützer dieser Aktion war Nikola Lauš, Kanzleidirektor des Römisch-Katholischen Bistums Temeswar. „Dienstag ist der Tag des Heiligen Antonius. Antonius gilt als Schutzpatron der Kranken, Obdachlosen und Armen. Die Leute haben auch früher Brot in die Kirche gebracht, aber nicht in solchen Mengen, wie das jetzt geschieht“, sagt Nikola Lauš. Seine Worte kann auch Schwester Aneta bestätigen. Auch in anderen römisch-katholischen Pfarreien aus Temeswar wird das Brot gesammelt. „Dort wird es aber direkt an die Armen aus den jeweiligen Pfarrgemeinschaften verteilt“, sagt der Kanzleidirektor. Die Leute, die jeden Dienstag das Antoniusbrot in die Kirche tragen, sind einfache Gläubige. „Sie wissen, dass das Brot dann dorthin gelangt, wo es am meisten benötigt wird, nämlich zu den armen Leuten“, erklärt Nikola Lauš. Es gibt auch spezielle Gebete, die die Gläubigen an den Heiligen Antonius richten. In denen jeder seine eigene Bitte vorbringen kann. Bekannt ist nicht nur das Patronat des Heiligen Antonius über die Armen, sondern er gilt auch als jener Heiliger, der den Menschen hilft, verlorene Sachen wiederzufinden.

In der Pfarrei der Temeswarer Fabrikstadt wird der Heilige Antonius besonders verehrt. Nach dem Gottesdienst, der morgens und abends stattfindet, wird am Altar des Heiligen Antonius ein Gebet gesprochen. Besonders bekannt ist auch die Pfarrkirche zum Heiligen Antonius von Padua im Zentrum von Arad. Die Minoriten-Brüder halten vor dem 13. Juni, dem Tag des Heiligen Antonius, eine Novene – was bedeutet, dass an neun Dienstagen davor gepredigt wird, als Vorbereitung auf das Fest.

In einer Welt der Gleichgültigkeit und des Zynismus, in der mehr denn je Menschen einen Halt brauchen, bringt eine alte Tradition die Menschen dazu, Gutes zu tun. Das Antoniusbrot, das die Menschen spenden, kostet 2 – 3 Lei; doch die kleine Geste, die auf den ersten Blick unbedeutend erscheint, bewirkt Großes. Sie fördert die Selbstlosigkeit und Güte im Menschen. „Nicht nur Katholiken, sondern auch Gläubige anderer Konfessionen gehen dienstags in den Dom, um Brot für die Armen zu spenden“, weiß Kanzleidirektor Nikola Lauš. Seine Worte beweisen einmal mehr, dass der Mensch von Grund auf gut ist. Er braucht nur manchmal eine bestimmte Gelegenheit, um seine Güte unter Beweis zu stellen. Das Antoniusbrot, das jeden Dienstag im Hohen Dom zu Temeswar gesammelt wird, ist ein solcher Anlass.