Eine theaterträchtige Zeit

Doppelfestival FEST-FDR blieb auch in diesem Jahr auf Erfolgskurs

Familie Joad macht sich und auf den Weg ins verheißene Land: Das war für die damalige Zeit Kalifornien. Foto: Thalia Theater Hamburg

Unangenehm. So war es dem Zuschauer am Sonntagabend im Saal des Nationaltheaters Temeswar und so sollte die Vorstellung auch sein. Er sollte sich auf dem Stuhl wetzen, keuchen vor weißen Rauchschwaden und so viel wie möglich von dem tragischen Ablauf auf der Bühne abbekommen. Am eigenen Leib. Schon die alten Griechen sprachen von Katharsis, von der Läuterung der Seele von Leidenschaften als Wirkung des antiken Trauerspiels. Luk Perceval, der belgische Regisseur, der von der Kritik als „Hai der Bühne“ bezeichnet wird, konfrontierte sein Publikum in „Früchte des Zorns“ nach John Steinbeck mit den Tiefen der menschlichen Seele, mit einer Grenzsituation, die, auch wenn die Handlung in der Krisenperiode der Dreißiger Jahre angesetzt ist, doch auf die Aktualität hindeutet: Ist es die Route 66 oder ist es eine der Fluchtrouten nach Europa? Ist es die amerikanische Familie der Zwischenkriegszeit, die grüne Felder und Obstgärten sucht oder sind es Migranten, die die düstere Landschaft hinter sich lassen wollen, um Arbeit und Essen und Leben zu finden? Wie steht es um deren Bleibe, wie steht es um unsere Menschlichkeit? Diese und ähnliche Fragen pochen dem Zuschauer in den Schläfen.

Der letzte Abend des Doppelevents „Festival der Europäischen Theaterkunst“ und „Festival der rumänischen Dramatik“ hat auch diesmal gepunktet und das Publikum noch einmal so richtig aufgerüttelt. Zuerst gab es den Auftritt von Pal Frenaks Tanzkompanie im Saal Nr. 2, mit der Vorstellung „UN“, dann fand sich das Publikum für „Die Früchte des Zorns“, eine Koproduktion des NT Gent Stadstheaters und des Thalia Theaters Hamburg in den großen Saal ein.

Wer bei der diesjährigen Auflage des Doppelfestivals FEST-FDR nicht dabei gewesen ist, der hat auf jeden Fall etwas verpasst: Starke Botschaften und starker Ausdruck – so haben sich die verschiedenen Bühnen und Schauspieler präsentiert. Künstler und Publikum setzten sich diesmal mit den Themen „Involution – Revolution – Evolution“ auseinander. Es traten Artisten aus ganz Europa auf, wie die Brüder Luca und Andrea Piallini von „eVenti Verticali“ aus Italien, die sich einer halsbrecherischen akrobatischen Show, einem Mix aus Komödie und Videokunst, lieferten. Die Zuschauer klatschten begeistert Beifall.

Ebenfalls zur FEST-Komponente des Festivals gehörte zum Beispiel der Auftritt des Bukarester Theaters „Masca“, das in der Regie von  Mihai M²laimare eine ungewöhnliche Performance vor dem Theater gab: Die lebenden Statuen, die gewöhnlich die Fußgängerzonen großer Städte zieren und die Vorbeilaufenden dazu einladen, ein wenig vor ihnen zu verweilen, haben diesmal das alte Paris – meist das Paris des 19. Jahrhunderts – aufleben lassen: Marktschreier, die gab es damals noch in aller Hülle und Fülle und jeder war auf einer Ware spezialisiert, von Fischen bis zum Allheilmittel Ovietan, von Bändern bis zu Hüten, von Bonbons bis zu  Eiern vom Lande. Ein Erlebnis für die Fuß- und Theatergänger, die sich in Temeswar eingefunden haben, sich die Performance angeschaut und die neben den lebenden Statuen aufgestellten Plakate mit den Erklärungen zu den nun verschwundenen Berufen gelesen haben.

Diese 23. Auflage des Doppelfestivals brachte auch den ersten Auftritt der Schaubühne Lehniner Platz Berlin in Temeswar mit sich: Die Vorstellung „Empire“, die auf ein Konzept von Milo Rau basiert und eine Koproduktion der Schaubühne mit dem International Institute of Political Murder, dem Zürcher Theater Spektakel und dem Steirischen Herbst Festival Graz darstellt: ein Wiedersehen des Temeswarer Publikums mit der großen Schauspielerin Maia Morgenstern und ein aufwühlendes Auseinandersetzen mit dem Wortpaar Exil – Zuhause.

Die FDR-Komponente des Doppelfestivals ist dabei auf keinen Fall zu kurz gekommen. Es bedeutete der Kontakt mit jungen Darstellern und neuen Dramatikern, aber auch mit etablierten Künstlern. Es bedeutete ein Herangehen an eines der berühmten Bücher des gefeierten Gegenwartsautors Mircea Cărtărescu, in der Regie von Mihaela Lichiardopol: „Warum wir die Frauen lieben“ mit den Schauspielern des Rumänischen Nationaltheaters Temeswar. Und viele Buchvorstellungen und Diskussionen.

Eine intensive Auseinandersetzung mit der Theaterkunst und mit sehr aktuellen Fragen der Gesellschaft, viel modernes Theater, offen und direkt, „herzlich“, wie es Ada Hausvater in der Rede beim Schließen des Doppelfestivals nannte, als sie auch das Thema der nächsten Auflage bekannt gegeben hat: Kommunikation, denn daran liegt es und daran fehlt es auch, manchmal, immer öfter, leider.

 

FEST-FDR 2018 wurde vom Nationaltheater Temeswar mit Hilfe der Statdverwaltung und mit Unterstützung seitens UNITER organisiert.