„Eine Vorbereitung fürs Leben, eine Öffnung zur Welt“

Dr. Jakob Walbert stiftet einen Förderpreis an seiner ehemaligen Schule

Dr. Jakob Walbert hat 1980 die Nikolaus-Lenau-Schule abgeschlossen. Die Zeit an der „Lenau“ hat seinen späteren beruflichen Werdegang in großem Maße geprägt, davon ist er fest überzeugt.

Jedes Jahr kehrt der studierte Mediziner an seine ehemalige Schule zurück, um den Carmen-und-Jakob-Walbert-Förderpreis an Schüler, die sich in den naturwissenschaftlichen Fächern besonders hervorgetan haben, zu verleihen.
Fotos: Zoltán Pázmány

Eine Schule, die der Welt zwei Nobelpreisträger geschenkt hat, ist eine Seltenheit, wenn nicht sogar etwas Einzigartiges in Europa. Die Nikolaus-Lenau-Schule mit deutschsprachigem Unterricht in Temeswar/Timișoara ist eine solche Besonderheit, denn zu ihren Schülern zählten einst die Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller und der Chemie-Nobelpreisträger Stefan Hell. Es mag an der Ausbildung und/oder an der Erziehung gelegen haben, dass zahlreiche Nikolaus-Lenau-Absolventen und gerade solche, die noch vor der Wende Temeswars bedeutendste deutsche Schule besucht haben, sehr weit im Leben gekommen sind. Fakt ist: Die Mehrheit der Lenau-Absolventen vor 1989 zählt als beruflich erfolgreich. Einen dieser herausragenden Absolventen stellen wir heute vor.

Dr. med. Jakob Walbert gehört zu den bekannten Gesichtern an der Nikolaus-Lenau-Schule – und das, obwohl er seit etlichen Jahren nicht mehr in Rumänien lebt. Dr. Walbert reist einmal im Jahr aus der Schweiz nach Temeswar, um sich mit der Schulleitung, den Unterrichtenden und den Schülern zu treffen. Konkret: Er vergibt die Carmen-und-Jakob-Walbert-Förderpreise an Schülerinnen und Schüler, die sich am gleichnamigen Wettbewerb im Bereich Naturwissenschaften mit Erfolg beteiligt haben. Der Preis trägt seinen und den Namen seiner Frau.

Jakob Walbert stammt ursprünglich aus Liebling im Kreis Temesch/Timiș. Nach den ersten beiden Grundschulklassen zogen seine Eltern nach Temeswar, wo er weiterhin eine Grundschule in deutscher Sprache besuchte. Nach dem Gymnasium an der damaligen Allgemeinschule Nr. 9 in der Eneas-Straße kam er zum Nikolaus-Lenau-Lyzeum. „Ich habe die Aufnahmeprüfung bestanden und bin in die Realklasse gekommen. Es gab zwei Realklassen und eine Humanklasse. Am Anfang der zehnten Klasse hat uns jedoch der damalige Direktor, Erich Pfaff – der Boss, wie wir ihn nannten – im Festsaal versammelt und gesagt, dass wir weiter aufgeteilt werden. Es sollten eine Mathematik-Physik-, eine Mathematik-Mechanik- und eine Chemie-Biologie-Klasse entstehen“, erzählt Jakob Walbert. Er selbst entschloss sich für Chemie-Biologie. Es gab allerdings mehr Kandidaten als Plätze – die Noten aus der neunten Klasse wurden für die Verteilung der Plätze als Auswahlkriterium in Betracht gezogen. „Wir waren im Sommer die erste Generation, die die sogenannte ´Stufenprüfung´ abgelegt hat. Das war 1978. Die Pflichtschulzeit wurde damals von acht auf zehn Klassen ausgebaut. Das richtige Lyzeum begann also erst nach der elften Klasse“, erzählt Jakob Walbert. „Für unsere Generation gab es den Nachteil, dass wir mit einer Reduktion der Real-Klassen von drei auf zwei zurechtkommen mussten. Auch Schüler aus anderen Gymnasien hatten die Möglichkeit, diese Stufenprüfung abzulegen und zur Lenau-Schule zu kommen. Es gab also ordentlich Konkurrenz“, erläutert Jakob Walbert, der die Nikolaus-Lenau-Schule im Jahr 1980 abgeschlossen hat. Jeweils 36 Schüler gab es damals in einer Klasse – „die Plätze wurden voll ausgenutzt“, erinnert er sich. Lediglich ein Sechstel seiner Klassenkollegen waren nicht deutschstämmig, schätzt der Arzt – untereinander sprachen aber alle Schüler Deutsch.

An seine Lehrer erinnert sich Jakob Walbert gern zurück: Hildegard Ludwig unterrichtete Biologie, Maria Popilar und Adelheid Prexl waren seine Chemie-Lehrerinnen, in Deutsch hatte er den Lehrer Karl Weinschrott und der Klassenlehrer Rudolf Richter unterrichtete die Sozialfächer. Erdkunde lehrte „der Boss“, in Physik hatte er den Lehrer Rudolf May, in Mathematik die beiden Schwestern Maria Huschitt und Marta Schüssler; Rumänisch unterrichtete Ana Pop, Musik Judith Pera, Französisch Marianne Ceaușescu und Karl Zill, Englisch Marlies Osztie und Geschichte Horst Konrad. „Die Lehrer waren sehr streng, aber gerecht. Am strengsten habe ich Frau Pop empfunden, sie hat sich aber sehr gemäßigt im Lyzeum. In der neunten Klasse hat sie uns gesagt, dass die anderen Rumänisch-Lehrer zusammengenommen eine kleinere Durchfallquote hatten als sie“, erinnert sich Jakob Walbert. „Nur einer war nicht streng: Erich Pfaff. Wir wissen alle, wie seine Stunden waren: Das war eine Vorbereitung fürs Leben, eine Öffnung zur Welt. Seine Geographie-Stunden haben wir alle geliebt“, fügt Jakob Walbert hinzu. „Die Frau Prexl, das war eine Institution! Entweder man konnte oder man konnte nicht. Dazu gab es keine Alternative. Aber sie war absolut gerecht. Wir haben sie gefürchtet, aber wir haben sie auch geliebt“, erzählt er weiter.

Es waren schwierige Zeiten – das Ende der 70er Jahre in Rumänien – als Jakob Walbert das Nikolaus-Lenau-Lyzeum besuchte. Über Politik sprach man unter den Schülern kaum – nur in einem sehr begrenzten Freundeskreis, sagt er. „Das Thema ´Auswanderung´ aber war immer präsent. Wobei ich sagen muss, dass die meisten meiner Lyzeumskollegen nach dem Abitur oder ein-zwei Jahre später ausgewandert sind“, fügt er an. Auch mit den Professoren wurde nicht über Politik gesprochen, trotzdem wusste man, wer linientreu war und wer nicht.

Nach dem Abitur wollte Jakob Walbert Biologie oder Anthropologie studieren. Im Gegensatz zu vielen Absolventen der heutigen Zeiten wussten die Lyzeumsabsolventen damals ganz genau, was sie später machen wollen. Es war wahrscheinlich die Not, meint Franz Quint vom Verein der Freunde der Lenauschule – Jakob Walbert kann dies nur bestätigen. „Ich habe mir überlegt: Was willst du später machen? Da die meisten aus meiner Klasse Medizin studiert haben, ging auch ich in die Medizin. Ich schaffte die Prüfung, auch mit dem Damokles-Schwert, das damals über uns Jungs hing: Schaffst du die Aufnahmeprüfung nicht, sind erst mal 18 Monate Militär angesagt. Mit Aufnahmeprüfung sind es dann nur neun“, erinnert sich Jakob Walbert, der die Medizinhochschule in Temeswar abschloss. Am 27. Januar 1990 wanderte er mit seiner Frau nach Deutschland aus. Seit 2002 leben Carmen und Jakob Walbert in der Schweiz – ihr Sohn Andreas (28) lebt und arbeitet seit mehr als zehn Jahren in England. Im Gegensatz zu vielen deutschen Jugendlichen, die das Gymnasium abschließen und sich erst mal eine Auszeit gönnen, wusste er schon in der zehnten Klasse ganz genau, was er später studieren möchte. „Er hat in den letzten beiden Jahren einen speziellen Zweig für das internationale Bakkalaureat besucht, weil er damit irgendwo im angelsächsischen Raum studieren konnte. Er wollte in die Finanzwelt und das hat er auch sehr gezielt durchgezogen“, meint Jakob Walbert.

Zuletzt als Oberarzt in Deutschland und in der Schweiz tätig, sah Jakob Walbert dies schließlich nicht mehr als Endstation seines beruflichen Lebens. „Irgendwann erreicht man einen gewissen Sättigungsgrad. Medizin war eine Fachrichtung, die den großen Boom in den 90ern erlebt hat, aber dann kam der langsame Stabilisierungszustand bis hin zum Abstieg. Es gab einfach zu viele Ärzte und zu wenige Patienten“, erklärt er. Jakob Walbert studierte Gesundheitsökonomie und ist seit nunmehr zehn Jahren in der Beratung von Ärzten in der Deutschschweiz tätig. „Ich habe teilweise auch Lyzeumskollegen aus Rumänien in der Schweiz begleitet“, erklärt er. Seine Frau, Carmen Walbert, ebenfalls Ärztin von Beruf, ging in die Pharma-Industrie, wo sie Karriere machte.

„Was wir hier, an der Nikolaus-Lenau-Schule, gelernt haben, war gezieltes, fokussiertes Arbeiten und Denken. Wir wussten, in welche Richtung es später gehen muss“, analysiert Jakob Walbert. Das war, neben dem beruflichen Rucksack, das Entscheidende im künftigen Werdegang der Lenau-Absolventen. Über 90 Prozent seiner ehemaligen Kollegen leben übrigens heute im Ausland.

2015, beim großen Lenau-Treffen in Temeswar, kamen Carmen und Jakob Walbert auf die Idee, einen Schülerpreis zu stiften – der Preis geht seitdem an Nikolaus-Lenau-Schüler mit besonderen Leistungen in den naturwissenschaftlichen Fächern. Dafür müssen die Lenau-Schüler interessante Versuche durchführen und/oder Projekte erarbeiten. Für die Preisverleihung kehrt Jakob Walbert jedes Jahr an die Lenau-Schule zurück. „Mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Es ist vielleicht die Illusion, irgend etwas zu finden, was man früher hier gehabt hat, aber alles hat sich verändert. Es ist alles vertraut – und doch anders“, erkennt Jakob Walbert.