Eine (zu) späte Geburt: das Lustrationsgesetz

Ursprünglich bedeutete Lustration feierliche Reinigung und Sühnung. In der Gegenwart bezeichnet der Begriff, vor allem in den ehemaligen Ostblock-Staaten, die Überprüfung von Staatsdienern auf eine eventuelle Zusammenarbeit mit den kommunistischen Sicherheits- und Geheimdiensten und die Entfernung der Belasteten sowie der politischen Nomenklatura aus dem öffentlichen Dienst.

22 Jahre nach dem Sturz des kommunistischen Regimes hat Rumänien endlich auch ein Lustrationsgesetz. Die Abgeordnetenkammer (in reduzierter Fassung, ohne den oppositionellen Verband USL) verabschiedete es vergangene Woche. Die im letzten Augenblick noch abgeänderten Verfügungen beziehen sich auf acht große lustrationspflichtige Personenkreise. Es handelt sich, im Großen, um hohe Beamte und Mitarbeiter der Machtstrukturen und des Repressionsapparats des kommunistischen Regimes (aus der Zeit 6. März 1945 – 22. Dezember 1989), und, im Einzelnen, u. a. um leitende Funktionäre des nationalen, regionalen und lokalen Apparats der Kommunistischen Partei und der früheren Arbeiterpartei, um Vertreter des Staats- und Ministerrats, um die besoldeten Aktivisten der Propaganda und Zensur in den Bereichen Kultur, Medien und Erziehung, um Angehörige und informelle Mitarbeiter der Securitate, um Milizchefs, um Vorsitzende des Oberen Gerichtshofs und, im letzten Augenblick auf Antrag des Ungarnverbands UDMR hinzugenommen, auch um Staatsanwälte.

Fünf Jahre lang nach dem Inkrafttreten des Gesetzes dürfen alle diese Kategorien in keine öffentlichen Ämter ernannt werden, nicht als Generalsekretär oder (General)Direktor in den beiden Parlamentskammern fungieren, nicht als Minister, (Unter)Staatssekretär, hoher Beamter in der Leitung der Ministerien, des Öffentlichen Fernsehens und Rundfunks, nicht als (stellvertretender) Ombudsmann, Richter am Verfassungsgericht und Vertreter der Nationalen Integritätsbehörde, als Vorstandsmitglied der Nationalbank und anderer staatlicher Banken und Unternehmen, als (Vize)Präsident des Obersten Gerichtshofs, (stellvertretender) Generalstaatsanwalt, als Diplomat und Vertreter von Institutionen der Europäischen Union, als führende Kraft in der Armee und Gendarmerie etc.

Dafür können sich ehemalige Nomenklaturisten aber zu den Wahlen stellen und als Staatspräsident, Parlamentarier, Europaparlamentarier, Bürgermeister oder Lokalrat kandidieren (als Folge einer Bestimmung des Verfassungsgerichts im Jahre 2010). Dies ist allerdings bei Weitem nicht die einzige „bemerkenswerte“ Änderung, die das Lustrationsgesetz im Laufe der vielen Jahre erlebte. Fassen wir nur die jüngsten ins Auge: Auf der Ziellinie, das heißt vor der Endabstimmung, entfernten die anwesenden Abgeordneten aus dem Gesetz noch die Artikel bezüglich der Lustrationspflicht der Vertreter des kommunistischen Jugendverbands UTC und der diplomatischen Missionen und Konsulate. In diese Kategorien wären nämlich der jetzige Premier Mihai Răzvan Ungureanu gefallen und sein Nachfolger an der Spitze des Außennachrichtendienstes Teodor Meleşcanu.

„Besser später als nie“, sagt ein rumänisches Sprichwort. Gar nicht einfach zu beurteilen, in wieweit dies im Falle der schweren und späten Geburt des letztlich auch noch genmutierten Lustrationsgesetzes stimmt. Politik und Öffentlichkeit allgemein begrüßten das Baby, nicht wider Erwartung, mit gemischten Gefühlen: Der PNL-Vorsitzende Crin Antonescu, 2005 noch ein lauter Befürworter des Projekts, nannte es „eine Niederlage für das gesunde Rumänien“, Ion Iliescu, Ehrenvorsitzender der Sozis und Anhänger der „persönlichen Verantwortung“, eine auf antidemokratische Prinzipien bauende „Schande“, der PSD-Vorsitzende Victor Ponta bezeichnete es als „unernst“, während die Vorsitzende der Abgeordnetenkammer und Vizepräsidentin der Liberaldemokraten Roberta Anastase von „moralischer Wiedergutmachung“, von einer „Soft-Variante“ des Urgesetzes sprach, manche ihrer Regierungskollegen sogar von einem Erfolg.

Ein Erfolg? Das wäre das Lustrationsgesetz in den ersten Jahren der blutjungen Demokratie, gleich nach der Wende, mit Sicherheit geworden, hätte es nicht so viele blockierende Hürden zu überwinden gegeben für dieses „reinigende“, „sühnende“ Unternehmen. Anstelle dessen ermöglichten auf Komplizenschaft, Mitschuld und Erpressung bauende Vernetzungen die Entwicklung eines ungesunden und korrupten Konstrukts, welches zahlreichen aus der kommunistischen Vergangenheit kommenden skrupellosen Profiteuren zum Erfolg verhalf. Nomenklaturisten und Aktivisten fühlten sich gleich wohl in der Haut politischer (und nicht nur) Opportunisten. Warum auch nicht, sie verfolgten allein das persönliche Wohlergehen und waren dabei meist erfolgreich. Unter solchen Umständen ist die so oft erwähnte Versöhnung mit der Vergangenheit und ihren Folgen gar nicht einfach.  Ein Erfolg? Für wen?