Eine zweite Heimat gefunden

Die Lübeckerin Ulrike Lück ist in Schäßburg in Forum, Kirchengemeinde und Frauenarbeit aktiv

Ulrike Lück

Die Lübeckerin (Bildmitte) singt in der von Lehrerin Christa Rusu geleiteten sächsischen Singgruppe „Sälwerfäddem“ mit.

Dergleichen Muster zieren die Wände der Wohnung in der Schulgasse.
Fotos: Hannelore Baier

Sie wollte nach Kasachstan, Australien oder Mexiko, keineswegs aber irgendwohin nach Europa. Angeboten wurde ihr innerhalb des Lehrerentsendeprogrammes jedoch Rumänien. Ob das denn nicht in Europa läge, fragte sie. Doch, wurde ihr mitgeteilt, ihr aber auch gleich Telefonnummern aus Schäßburg/Sighişoara gegeben. Sie solle dort mal anrufen und ihre Fragen stellen, es könnte trotz Europa dennoch interessant werden. Man werde sie über zwei Tage erneut kontaktieren. Sie rief in Schäßburg an und als zwei Tage später der erneute Anruf von der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (im Bundesverwaltungsamt) kam, teilte sie mit, ja, da gehe ich hin. So hat es Ulrike Lück nach Schäßburg verschlagen. Und sie blieb.

„Es lag überhaupt nicht in meinem Plan, hierher zu kommen“ sagt sie. Sie wusste zwar, dass es hier Deutsche gibt, denn als 1945 Geborene gehört sie jener Generation an, die im fünften Schuljahr in Geografie über Europa und dabei auch über Rumänien gelernt hatte – und dass es da Deutsche gibt, was in den Schulbüchern Jahre später nicht mehr enthalten war. Für das Lehrerentsendeprogramm hatte sie sich aber gemeldet, um etwas „ganz Fremdes“ kennenzulernen. Das hat nicht geklappt. Sie hat aber eine zweite Heimat gefunden und die kleingewordene Schäßburger deutsche Gemeinschaft erhielt ein zuverlässiges und aktives Mitglied. Für ihren Einsatz wurde ihr vom Deutschen Forum 2013 im Rahmen der Deutschen Kulturtage die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Erhalten habe sie diese Ehren-Urkunde dafür, dass sie immer da ist, wenn sie gebraucht wird und das seit Jahren, meint Ulrike Lück.

An die Bergschule in Schäßburg kam Oberstudienrätin Ulrike Lück vom Carl-Jacob-Burckhardt-Gymnasium in Lübeck im August 1998. In Lübeck hatte sie Deutsch, Erdkunde, Ökologie und Schultheater unterrichtet, außer Geografie bot sie dieselben Fächer auch in Schäßburg an. Der maximale Auslandsaufenthalt als Programmlehrer in demselben Land beträgt acht Jahre, im Sommer 2006 musste Lück also nach Lübeck zurück. Sie war dann noch zwei Jahre am Johanneum als Lehrerin tätig, ging aber im Alter von 63 in vorgezogene Rente, weil sie die Reformen im Schulsystem in Schleswig-Holstein satt hatte. Ihre Nerven seien ihr wichtiger, sagt sie. Sie verzichtete auf einen Teil der Rente und kam nach Schuljahresende 2008 nach Schäßburg zurück. Wo sie sich im „Unruhezustand“ befindet. Beim Deutschen Forum ist sie „Mädchen für alles“, denn: „Wenn was gemacht werden muss und wenn jemand fehlt, springe ich ein.“ Jedes Mal gibt sie Bescheid, bevor sie nach Deutschland fährt, damit man weiß, dass sie fehlt. Dem Kirchenchor der evangelischen Gemeinschaft war sie während ihrer Zeit als Lehrerin beigetreten, seit einigen Jahren singt sie auch in der Frauen-Singgruppe „Sälwerfäddem“ mit. Ob sie das Sächsische gelernt hat? „Nur auf Sächsisch Singen.“ Sie versteht die Mundart mittlerweile, spricht sie aber nicht. „Mein Sächsisch ist eine Qual für jeden Sachsen“, meint sie.

Quasi zur Schäßburgerin wurde Ulrike Lück 2003 durch den Kauf einer Wohnung in der Schulgasse. Das Haus steht unter Baudenkmalschutz, wie alle Häuser auf der Burg, der alte Bogen im Keller aus dem 16. Jahrhundert lässt erkennen, dass der Bau ursprünglich zwei Meter kürzer war und erst später in die Schulgasse vorgerückt worden ist. Beim Sanieren der Wohnung hatte man beim Abtragen des alten Putzes Wandmalereien gefunden. Der aus Neumarkt/Tg. Mureş herangeholte Sachverständige war ganz begeistert. Es seien die ältesten Fresken, die er bislang gesehen hat, sagte er. Datiert hat er das Doppelvogelmuster auf das 17. Jahrhundert und fragte, ob sie freigelegt oder verputzt werden sollen, was auch möglich gewesen wäre. „Da sagte ich, sie sollen die gesamte Malerei freilegen, denn es wäre unsinnig gewesen, an die Wand zu gucken und zu denken, oh, da sind schöne Fresken unter dem Anstrich, denn ein Bild hätte man eh nicht darüberhängen dürfen, um die alte Malerei durch den Nagel nicht zu beschädigen“, erzählt Lück. In Schäßburg verbringt sie einen Großteil des Jahres, ihren festen Wohnsitz aber hat sie in Lübeck behalten, wo sie zu Weihnachten und Neujahr, aber auch im Sommer bei ihrer Tochter und deren Familie ist.

Die Schulbibliothek

Ihr derzeitiges Hauptanliegen in Schäßburg ist, die Bibliothek der Bergschule wieder nutzbar zu machen. Das ist schwierig, weil die Gebäude, in denen die verschiedenen Stufen untergebracht sind, aus den Nähten platzen. Die Bibliothek war ursprünglich im ältesten der Schulgebäude am Schulberg, im sogenannten „Zeichensaal“, wo die Räume jedoch für den Unterricht benötigt wurden und hierfür hergerichtet worden sind. Die Bücher gelangten in das Internat und befinden sich in einem der beiden Grundschulgebäude (neben dem Stundturm). Zu den seinerzeit ausschließlich deutschsprachigen Büchern sind mittlerweile rumänischsprachige dazugekommen und beanspruchen nun die Hälfte des zur Verfügung stehenden Raumes. Ulrike Lück findet das ungerecht, denn die deutsche Abteilung hat 12 Jahrgänge (1. bis 12. Klasse), die rumänische aber nur die vier Lyzealklassen, rumänische Bücher kann man auch aus der Stadtbibliothek ausleihen oder für relativ wenig Geld kaufen, für deutsche Bücher gilt beides nicht.

Nutzbar gemacht hat sie als Erstes die Unterhaltungsbibliothek für die Klassen 1 bis 12, denn „die Kinder müssen lesen, lesen, lesen“. Jetzt ist sie dabei, die Sachbücher zu ordnen und anschließend kommen die literarischen Bücher dran. Ein besonders heikles Kapitel sind die alten Bücher aus dem 19. Jahrhundert und früher. Was davon noch lesbar ist und gelesen wird, wollte sie in die Schränke stellen, die aber mit Schulbüchern vollgestopft sind. Die Schulbücher gehören nicht in die Bibliothek, protestiert sie.

Während der Zeit als Fachschaftsberaterin hatte sie mit den Schülern eine Theatergruppe gebildet und fuhr mit der einmal im Jahr zu ihrer „alten“ Schule nach Lübeck zum Austausch. Die Schäßburger Schüler haben bei Familien gewohnt und sind dort auch in die Schule gegangen. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Lehramt wurde diese Partnerschaft leider nicht weitergeführt. Das Interesse von Schülern am Theater will Lück in der Projektwoche „Schule anders“ erneut zu wecken versuchen. Theaterspielen ist wichtig, denn es trägt zur Persönlichkeitsbildung und zum Selbstwertgefühl bei, sagte sie. Egal, ob Szenen aus Stücken einstudiert werden, die im Unterricht durchgenommen werden, und die besser verstanden werden, wenn man in die eine oder andere Rolle schlüpft, oder ob es sich um irgendwelche sonstigen Stücke handelt. Ob eine Theatergruppe zustandekommt, bezweifelt sie. Eine Arbeitsgruppe muss man direkt nach Abschluss der Schulstunden anbieten – und dann einen freien Raum hierfür haben – denn nachmittags kommt heute kein Schüler mehr, stellte sie fest. Und leider sind es immer dieselben Schüler, die sich für alle außerschulischen Tätigkeiten begeistern, mit dem Ergebnis, dass sie überlastet sind ...
Schulvergleich

(Leise und lautere) Kritik übt Ulrike Lück am hiesigen Schulsystem. In Deutschland wäre es unvorstellbar, dass eine Arbeit nur mit roten Strichen und einer Ziffer (der Note) versehen dem Schüler zurückgegeben wird. In Schleswig-Holstein wird erwartet, dass der Schüler aus jeder Korrektur etwas lernt, eine Unterstreichung muss also mit einer Randbemerkung oder der richtigen Variante versehen werden. Von den Lehrern wird in Deutschland insgesamt mehr gefordert als in Rumänien. Jeder muss Ausflüge oder Studienfahrten und Klassenfeste mit den Schülern veranstalten, und zwar mit einem pädagogischen Ziel. Auch müssen die Lehrer an weitaus mehr Beratungen teilnehmen, was das Familienleben ganz schön beeinträchtigt. Aber: Sie müssen auch keinen Privatunterricht erteilen, um finanziell über die Runden zu kommen!
Was ihr in Rumänien desgleichen negativ aufgefallen ist und in Deutschland undenkbar wäre, ist, dass der Stundenplan den Bedürfnissen der Lehrer und nicht denen der Schüler angepasst wird. Dass ein Lehrer sechs Stunden am Stück hält, gehe einfach nicht, nach der vierten Stunde ist er geschlaucht – wenn er die Stunden richtig gibt. Deswegen sind im Stundenplan „Fenster“ für die Lehrer eingebaut, um zu verschnaufen, aber auch um Arbeiten zu korrigieren. Auch gibt es einen Bereitschaftsdienst, d. h. es sind immer auch Lehrer in der Schule, die keine Stunde haben, um eingesetzt werden zu können, sollte ein Lehrer ausfallen. Dass die Schüler weggehen, weil eine Stunde ausfällt, gibt es nicht. Geht ein Lehrer zu spät in die Stunde, droht eine Verwarnung, es sei denn, es gab einen einsichtigen Grund dafür.       

Evangelische Frauenarbeit

Seit vorigem Jahr ist Ulrike Lück Mitglied in der Gemeindevertretung (mit Mandat bis 2017), seit zwei Jahren vertritt sie Schäßburg bei der Frauenarbeit der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien. „Weil sonst niemand zur Verfügung stand“, erklärt sie. „Ich denke mir, es muss gemacht werden, und es wäre schade, wenn niemand die Aufgabe wahrnimmt.“ Dass sie diese Vertretung derzeit innehat, betrachtet sie als Überbrückung, bis wieder eine „Hiesige“ das Amt übernehmen kann.

In Schäßburg veranstaltet die Frauenarbeit unter Leitung von Ortrun Fabini Werkstätten für Seidenmalerei oder Strohsterne-Basteln und Wilhelm Fabini betreut Töpferei-Werkstätten auch für Erwachsene. Gern würde Ulrike Lück den mittleren Jahrgängen Gelegenheiten zu regelmäßigen Treffen anbieten – denn Angebote für Kinder sowie ältere Leute gibt es – hat aber festgestellt, dass die Berufstätigen kaum Zeit und Muße für eine Beschäftigung mit Literatur oder anderem haben.
Zu den Aufgaben der Frauenarbeits-Vertreterin gehört jedes Jahr das Mitveranstalten des Weltgebetstages, der in Schäßburg stets ökumenisch und reihum in den Gotteshäusern der beteiligten Glaubensgemeinschaften gefeiert wird. Jede konfessionelle Gruppe übernimmt einen Teil des Gottesdienstes und gestaltet ihn in ihrer Sprache, den Fortlauf kann man anhand der Heftchen verfolgen. Ulrike Lück ist nicht mehr nur Mitglied der deutsch-evangelischen Gemeinschaft.