„Einen Ahnenpass verlange ich von niemandem“

Interview mit Edith Singer, Leiterin der Jugendvolkstanzgruppen des Banater Forums

Edith Singer (rechts) bei dem 20jährigen Jubiläum des Jugendtrachtenvereins Banater Rosmarein. Fotos: Zoltán Pázmány

Seit 1992 setzt sich Edith Singer für den Erhalt Banatschwäbischer Volkskultur ein. Sie leitete über Jahre zusammen mit anderen Freiwilligen die Trachtengruppen des Banater Jugendforums. Das Thema Jugendarbeit ist ein heikles Thema. Nicht nur für das Forum, sondern für Minderheiten allgemein. BZ-Redakteur Robert Tari sprach mit Edith Singer über ihre Erfahrungen in dem Bereich und warum Heimatkultur weiterhin gepflegt und gefördert wird.

 

Könnten Sie mir die aktuelle Lage im Banater Jugendforum beschreiben.

Momentan stehen wir ziemlich schlecht dar, zumindest im Vergleich zu früher. Ein Problem ist die schwankende Anzahl an Mitgliedern. Es wird immer schwerer Jugendliche zu motivieren bei uns mitzumachen. Leider machen die meisten Jugendlichen nur in den Tanzgruppen mit. Positiv ist allerdings, dass die Tanzgruppen nicht ausschließlich tanzen. Sie machen im Allgemeinen Jugendarbeit, wenngleich der Vorwand der Volkstanz ist. Motivierend ist auch die Tatsache, dass diese Gruppen sich mindestens einmal in der Woche treffen. Das heißt, sie kommen regelmäßig zusammen. Und verbringen auch vor den Tanzproben und danach Zeit miteinander. Wir bieten ihnen neben den Tanzstunden auch verschiedene Seminare, Ausfahrten, Austausche mit Gruppen sowohl im In- als auch im Ausland an. Das trägt dazu bei, dass diese Leute jahrelang innerhalb dieser Tanzgruppe aktiv sind. Bei den „Rosmareinern“  sprechen wir inzwischen von 22 Jahren. Da kommen schon einige Generationen zusammen. Und  was besonders erfreulich ist und davon habe ich erst neulich erfahren, die Kinder, die in der „Hänschenklein“-Gruppe mitmachen, sind die Kinder ehemaliger Tänzer. Für uns ist das eine Bestätigung. Das heißt, das was wir gemacht haben, haben wir gut gemacht. Und ich beziehe mich jetzt nicht nur auf das Tanzen, sondern auch darauf, dass sich über die Jahre eine Gemeinschaft gebildet hat. Wir können von einer festen Gruppe sprechen, die wirklich motiviert ist mitzumachen. Aber leider gibt es hier im Banat  nur in einigen wenigen Ortschaften Banatschwäbische Tanzgruppen, weil es an Personen fehlt, die die Zeit finden, sich zu engagieren. Eine Tanzgruppe gründet sich nicht von allein. Es muss immer ein Paar Leute geben, die Anstoß dazu geben und die motivieren können.

 

Es gibt immer weniger Kinder und Jugendliche, die Angehörige der Minderheit sind. Viele stammen aus Mischehen oder gehören einer anderen ethnischen Gruppe an. Spielt das eine Rolle? Immerhin werden ihnen traditionelle Banatschwäbische Tänze beigebracht.

Interessanterweise nicht. Im Gegenteil. Wir waren im Sommer in Ulm und zu meinem Erstaunen, kam ich in den Saal rein und es wurde rumänische Musik gespielt. Und unsere Leute haben dazu Polka und Walzer getanzt. Sie haben es sich angeeignet, obwohl sie das von Zuhause nicht mitbekommen haben. Sie können es und deshalb machen sie es auch gerne. Jugendliche kommen auch nicht mehr vom Dorf. Wir haben im Dorf tanzen gelernt. Im Kindergarten, in der Schule, dann haben wir beim Ball zugeschaut. Wir haben das mitbekommen, aber die heutige Jugend hat weder rumänische, noch deutsche Volkstänze von Zuhause aus gelernt. Für sie stellt sich nicht das Problem, man ist Rumäne, als muss man jetzt rumänische Volkstänze tanzen. Und ich glaube nicht, dass es eine Sache der Minderheit ist. Und wir als Jugendforum ziehen auch nicht den Strich. Die Bedingung, die wir an die Jugendlichen stellen, lautet zwar, sie müssten Deutschen sprechen können. Aber einen Ahnenpass verlange ich von niemandem und das haben wir auch nie verlangt.

Jugendarbeit im Allgemeinen ist ein Problem. Ich denke, das hat etwas mit der Technologisierung der Welt zu tun. Jugendliche haben jetzt die Möglichkeit im Internet und über Facebook zu sozialisieren. Viele wissen nicht mehr, wie man sich in einer Gruppe fühlt, wenn man den Leuten in die Augen schaut und mit ihnen spricht. Man muss sich schon in die Augen schauen können, wenn man miteinander sprechen will. Das ist, glaube ich, ein direkter Grund, weshalb die Jugendlichen nicht kommen und mitmachen. Sie kennen es einfach nicht.

 

Sie haben es auch angesprochen, früher wurden diese Tänze natürlich gelernt. Die Bälle und Kirchweihfeste gehörten zum Dorfleben einfach dazu. Die persönliche Bindung war eine andere, weil es zum sozialen Umfeld gehört hat. Zum Alltag.

Ich ging immer mit meiner Großmutter zu den Festen. Wenn man heute den jungen Menschen von der Ceausescu-Ära erzählt, ist es für sie schon etwas, das sie nicht verstehen können. Sie können es nicht mehr verstehen, es hat sich so viel in so kurzer Zeit verändert, dass die Generationen nicht mehr mitkommen. Sie können das nicht mehr verarbeiten und deshalb lehnen sie es zwar nicht ab, aber es gehört nicht zu ihren Prioritäten. Das interessiert sie jetzt ganz einfach nicht. Die Generation, die es erlebt hat, die ist fast nicht mehr. Früher hat man noch von der Großmutter erfahren, wie es in Russland war, was es mit der Deportation auf sich hat. Dann hören sie auch zu. Ich habe einmal ein Seminar mit Jugendlichen gehalten, eben zu diesem Thema und ich habe sie zu den Senioren im Altenheim geschickt, sie sollten sie interviewen. Und die Jugendlichen waren wirklich beeindruckt von dem was die Älteren erzählt haben. Aber nicht vom Gelesenen, also direkt aus den Erlebnissen der Menschen.

 

Ist dieser rituelle Charakter der Volksveranstaltungen das Problem?  Die Kirchweihfeste sind inzwischen eher eine Show. Sie werden ein bisschen künstlich aufgezogen. Es fehlt  eben das Persönliche, weil viele auch nicht verstehen, worum es eigentlich geht. Letztendlich geht es doch um das Miteinander, um die Gemeinschaft.

Genau, aber die, die schon lange mitmachen, haben auch diesen Gemeinschaftssinn entwickelt. Es gibt immer neue Personen in der Gruppe und diese tragen alles weiter, solange die Vorangegangen eine positive Einstellung dazu hatten. Ich habe immer den Leuten geraten, ein Kirchweihfest in einem Dorf zu veranstalten, wo es noch alte Schwaben gibt, denen so ein Fest auch etwas bedeutet, die sich freuen und Tränen in den Augen haben.  Es lohnt sich wesentlich mehr, als ein Großauftritt im Rosengarten vor Tausenden von Menschen. Und das verstehen sie auch und darum machen wir es auch. Und sie amüsieren sich dabei. Das es Theater ist, das fällt nur mir und meiner Generation auf, also den Menschen, die es auch anders erlebt haben. Sie kennen die Alternative nicht, für sie ist es ganz natürlich. Und ich finde es auch gut so.

Ich bin neulich auf den Begriff „Heimatkultur“ gestoßen. Wir waren in diesem Jahr in Guttenbrunn auf einer Kirchweih. Praktisch haben unsere Jugendlichen das Programm der Kirchweih gestaltet. Es waren immerhin 135 Leute aus Deutschland, die uns gebeten haben, etwas vorzubereiten, weil sie wieder eine traditionelle Kirchweih erleben wollten und ich meine, was diese Veranstaltung anbelangt, war sie wirklich beeindruckend. Beeindruckend auch durch die Tatsache, dass das Bürgermeisteramt und die Leute aus dem Dorf, die Rumänen die jetzt im Dorf wohnen, mitgemacht haben.

 

Wie stehen die Eltern dazu. Bei den Kindern hängt es in erster Linie von ihnen ab, dass eben ihre Kinder traditionelle schwäbische Volkstänze lernen. Sie haben zwar erwähnt, dass viele der Eltern auch selber früher Mitglieder waren...

 

Ja, aber die meisten sind Außenstehende, also diejenigen, die auch früher selber mitgemacht haben, ist nur eine kleine Gruppe. Aber die Eltern kommen und ich glaube sie bringen ihre Kinder hierher, damit sie in einer Deutsch sprechenden Gruppe mitmachen.


Also spielt die Sprache keine unwesentliche Rolle...

Für die Kinder und ihre Eltern auf jeden Fall. Es geht den Eltern aber auch um die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft in der mehr passiert als Unterricht.

 

Der wachsende Trend in Europa ist eben diese Rückbesinnung auf traditionelle Gemeinschaftsstrukturen. Menschen scheinen sich nach dem romantischen Bild des Dorflebens zu sehnen. Ist das auch vielleicht ein Grund, weshalb es diese Bemühungen gibt, Heimatkultur zu bewahren und natürlich zu fördern. Wieso bleibt sie so relevant?

Ich glaube es ist Nostalgie. Und ich spreche jetzt auch aus persönlicher Erfahrung. Man ist immer nostalgisch, wenn man an seine Kindheit und seine Jugend zurückdenkt. Es war schön, nicht unbedingt besser, aber anders. Vergleiche kann man sowieso nicht ziehen. Diese Nostalgie kommt mit fortschreitendem Alter im Menschen zum Vorschein. Früher oder später. In Guttenbrunn waren es vorwiegend ältere Teilnehmer, aber auch sehr viele junge Menschen. Die Generation, die es erlebt hat, bringt nun auch die jüngeren hierher. Diese wollen auch wissen, woher sie herkommen und das bewerten sie meist auch positiv. Nostalgie ist es bestimmt. Ich glaube aber nicht, dass die Leute überzeugt sind, dass man das was vor Jahrzehnten in einem Schwabendorf praktiziert hat, heute nachmachen oder wiederbeleben kann. Es sind Momente der Erinnerung und des guten Beisammenseins. Das hat mich auch positiv beeindruckt. Die Leute grenzen sich nicht aus. An der Organisation waren die heutigen Einwohner und der Gemeinderat maßgeblich beteiligt.