Einladung zur Übung von Empathie

Veranstaltungen in Kronstadt für mehr Toleranz und Verständnis für Flüchtlinge und Immigranten

Eine schöne Erinnerung vom Peru-Stand Fotos: die Verfasserin

Die Teilnehmer des Festivals präsentieren ihre Herkunftsländer.

Kreative Workshops an den Länderständen

Ein Kronstädter bekommt ein „Visum“ für Syrien.

„Wir wollen euch hier nicht haben“, „Ich kann euch nicht helfen“, „Geht zurück und baut euer Land wieder auf“ – oder aber: „Die Grenzen müssten verschwinden“, „Europa braucht euch“, „Haltet an euren Träumen fest“ – und letztendlich: „Ghana, Senegal… gelten als sichere Länder, somit habt ihr hier kein Asylrecht“, „Du hast deine Situation detailliert und überzeugend beschrieben, die Daten scheinen zu stimmen. Du bist in deinem Land in Lebensgefahr und wirst in Holland Asylrecht bekommen. Glückwunsch!“ sagt ein Integrationsoffizier in einer Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge aus Holland. 


Die drei unterschiedlichen Einstellungen sind Teil des Films „Stranger in Paradise“, von Guido Hendrikx, (Holland 2016), der die Atmosphäre, mit der Flüchtlinge auf dem alten Kontinent konfrontiert werden, schildert. Der Film wechselt zwischen Spiel- und Dokumentarfilm und zeigt anhand des überzeugenden Auftritts des niederländischen Schauspielers Valentijn Dhaenens, der darin echten Geflüchteten gegenüber steht, die verschiedenen öffentlichen Meinungen zum Thema Flüchtlingswelle, sowie die politische Stimmung und die Verfahrensweisen der Zuwanderungsbehörden.

„Stranger in Paradise“ ist kein Film, der leicht anzusehen ist, aber er zeigt Europa den Spiegel und eignet sich gut als Ausgangspunkt für eine Debatte über Flüchtlinge, aber auch über Migranten in Rumänien. Darüber sprachen am 7. Oktober im Rahmen des Festivals der Multikulturalität in Kronstadt/Brașov Gabriela Leu, Verantwortliche für Kommunikation seitens der UNHCR (UN-Hochkommissar für Flüchtlingsfragen) und Astrid Hamberger, Leiterin des Regionalen Zentrums zur Integration von Fremden in Kronstadt (Centrul Regional de Integrare pentru Străini Brașov) mit dem Kronstädter Publikum.

„Flüchtlinge sind Menschen, die ihre Heimat verlassen, weil sie sich dort nicht in Sicherheit fühlen. Sie haben Angst vor dem Krieg, vor Verfolgung und können nicht zurück nach Hause, auch wenn sie das wollen“, erklärt Gabriela Leu. Dabei wurde auch der Unterschied zu Migranten verdeutlicht, die jederzeit heimkehren können, aber zum Studium, aus wirtschaftlichen oder privaten Gründen im Ausland leben. Menschen auf der Flucht wollen am Leben bleiben und in Frieden leben. Dass sie dafür Haus, Familie, Freunde, Arbeitsstelle, Land zurücklassen, sei sehr mutig und zu schätzen, verdeutlicht die UNHCR- Vertreterin.

Im Aufnahmeland versuchen staatliche Institutionen, UNHCR, sowie zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) den Flüchtlingen zu helfen, sich anzupassen und selbständig zu werden. Dazu helfen sicherlich der Erwerb der rumänischen Sprache, sowie Kenntnisse über Kultur und Gesellschaft, die ihnen angeboten werden. Die finanzielle Unterstützung seitens des Staates, die 540 Lei im Monat beträgt, also knappe 20 Lei pro Tag, reichen bei Weitem nicht aus.

Zahlreiche NGOs bieten zusätzliche Unterstützung, wie das Vermitteln von Arbeitsstellen, soziale Hilfe, oder informieren über ihre Rechte als Flüchtlinge. Ihnen wird geholfen, Studien fortzusetzen oder die Kinder in den Kindergarten einzuschreiben. Aus europäischen Mitteln wird in Notfällen auch finanziell unterstützt. „Wir versuchen, ihnen zu helfen, sich zu integrieren“ fasst Hamberger zusammen, die seit vielen Jahren mit Migranten und Flüchtlingen arbeitet.

Übung zur Empathie

Gabriela Leu lädt zum Reflektieren ein. „Was würden wir tun, wenn in Kronstadt ein Krieg ausbrechen würde? Vielleicht nach Hermannstadt ziehen, danach weiter. Und was macht man letztendlich? Wir werden aus dem Land vertrieben. Die Entscheidung, zu bleiben oder zu gehen, ist sehr schwer und verlangt viel Mut“ weiß Gabriela Leu. Die Flüchtlinge sind „hier, aber wir sehen sie nicht, sie sind so wie wir. Versetzen wir uns mal in die Haut eines Menschen, der keine Wahl mehr hat, der alles zurück lassen muss.“

Seit der Gründung des UNHCR in Rumänien im Jahr 1992 wurden von den mehr als 30.000 Asylbewerbungen rund 8000 genehmigt. Das heißt, gemäß Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, dass Personen, die sich aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung oder Krieg außerhalb des Staates aufhalten, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, der nötige Schutz geboten wird. Anerkannte Flüchtlinge im Sinne der Konvention sind jene, die verfolgt werden wegen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen oder sozialen Gruppe, wie auch jene, die allgemein vor Gewalt fliehen. Wer keine gültigen Dokumente erhalten hat, muss das Land in kürzester Zeit verlassen. In Rumänien besitzen derzeit rund 4500 Personen gültige Dokumente.

Allein im letzten Jahr waren weltweit 68,5 Millionen Menschen auf der Flucht. Krieg, Gewalt oder Verfolgung vertreiben sie aus ihrer Heimat. Aus Syrien und Afghanistan kommen die meisten Flüchtlinge und ihre Anzahl steigt aufgrund der Konflikte in Nordafrika. Die wenigsten gelangen auf ihrer Flucht nach Europa, noch weniger nach Rumänien.

Die meisten Flüchtlinge, rund 85 Prozent, suchen Sicherheit in den Nachbarländern der betroffenen Staaten. Die Türkei ist das Land mit der höchsten Anzahl an Flüchtlingen, gefolgt von Pakistan, Uganda, dem Libanon, wo jeder sechste Bewohner Flüchtling ist. Auch Länder wie der Iran, Bangladesch, der Sudan, oder Äthiopien rangieren unter den ersten zehn, die Flüchtlinge aufnehmen, auch wenn sie selbst zu den ärmsten Ländern der Welt zählen. Europaweit leben in Deutschland die meisten Asylbewerber, rund 970.000.

Rumänien gilt eher als Transitland, zumal viele Flüchtlinge Familienangehörige oder Bekannte im Westen haben, mit denen sie sich wieder vereinigen wollen, oder weil sie sich in westlichen Ländern eine bessere Zukunft erhoffen. Für die Bewerber, die in Rumänien Asyl beantragen, dauert das Verfahren drei Monate, die sie in einem der sechs Flüchtlingslager in Bukarest, Giurgiu, Galatz/Galați, Temeswar/Timișoara, Rădăuți oder Șomcuța Mare verbringen.

Wer die Dokumente erhält, kann sich eine Wohnung mieten, eine Arbeitsstelle suchen oder finanzielle Unterstützung beantragen, die maximal zwölf Monate läuft. Dabei müssen sie mit den 540 Lei im Monat, die ihnen der Staat sichert, auskommen. Die Chance, eine Arbeitsstelle in dem Bereich zu erhalten, in dem sie einen Studienabschluss haben, ist sehr gering. Etwa 65 Prozent der Syrer beispielsweise haben Hochschulausbildung, erhalten aber, wie die meisten Flüchtlinge, eher unterqualifizierte Jobs, die von Rumänen gemieden werden.

Dass beim Integrationsprozess der Geflüchteten nicht nur auf die dringendsten Nöte geachtet wird, sondern auch auf die Würde, das einzige, was vielen geblieben ist, ist der UNHCR-Vertreterin sehr wichtig, denn das versichere eine gute Integration und helfe den Menschen, einen Sinn zu finden. „Nachdem dringende humanitäre Hilfe geleistet wurde und sie eine Wohnung haben, können sie versuchen, Jobs zu finden und blühen auf“, erklärt Gabriela Leu.

Im Kontext einer internationalen Hasswelle gegen Menschen aus fremden Ländern, die besonders im Online-Medium präsent ist und durch Unwissenheit genährt wird, versucht man durch unterschiedliche Aufklärungskampagnen, die Bürger zu informieren und auf die Begegnung mit Einwanderern vorzubereiten.
In diesem Sinne war das zwischen dem 5. und dem 7. Oktober in Kronstadt organisierte Festival „wie eine Sauerstoffblase für mich”, sagt Gabriela Leu, die von der „warmen Atmosphäre beim Festival“ beeindruckt war.

Begeistert waren auch die zahlreichen Besucher, die am Kronstädter Marktplatz „Pässe“ erhielten, für die sie von den Vertretern der 26 am Festival präsenten Ländern „Visa“ bekommen konnten. Das Visum, eigentlich ein Abziehbild, lockte Neugierige an jeden Stand, sodass die Vielfalt der Fremden hautnah miterlebt werden konnte.

Japaner, Chinesen, Syrier, Kubaner, Peruaner, Palästinenser, Türken, Südkoreaner, Mexikaner, Inder, Kolumbianer, Israelis, sowie Menschen aus der Republik Moldau, aus Sri Lanka, Chile, den Philippinen, Ecuador, Venezuela, Nigeria, der Ukraine, Australien oder Jordanien haben dort, teils in sehr gutem Rumänisch, über ihre Heimat erzählt und interaktive Workshops organisiert. Aktivitäten wie das Tätowieren mit Henna, Malen von Masken oder Spiele für Kinder haben bis am späten Nachmittag den Marktplatz belebt.

Kennenlernen durch Bilder

„In Kuba tanzen und singen wir auf den Straßen. Wir sind anders“ sagt Eymi, eine junge Kubanerin, die vor sieben Jahren einen rumänischen Journalisten geheiratet hat und seither in Kronstadt lebt. Nach der Scheidung hatte sie entschieden, ihr Leben weiterhin in der Zinnenstadt zu verbringen, hat auch ihre Mutter hergebracht. Das erfahren wir aus den Bildern der Fotografin und Journalistin Alina Băisan, die im Rahmen der Ausstellung „Portraits der Migranten” zu sehen waren. Von der schwedischen Botschaft und der Internationalen Organisation für Migration in Rumänien (IOM) organisiert, beabsichtigt die Ausstellung, neue Perspektiven über die Migration und Informationen zur aktuellen Lage zu bieten - anhand von Bildern, die in Schweden sowie in Rumänien lebende Migranten zeigen.

Kronstadt als Zuhause

Rund 3000 Migranten und zwölf Flüchtlinge leben derzeit in Kronstadt. Hank aus Peru studiert seit letztem Jahr Sprachwissenschaften an der Transilvania-Universität. Er hat sich gut eingelebt, hat zahlreiche Bekannte, nimmt aktiv am sozialen und kulturellen Leben der Stadt teil. Auch die Flüchtlinge, die das Verteilungsprogramm aus der Türkei und Griechenland hergebracht hat, wie auch jene, die aufgrund von Familienzusammenführung hier leben, haben ein neues Leben begonnen und tun alles, um als Kronstädter zu leben.
„Sie sind ganz normale Menschen, so wie wir. Sie sind unter uns, aber wir sehen sie nicht einmal. Wie wäre es, sich einmal in die Haut eines Menschen zu versetzen, der alles zurück lassen musste?“ fragt auch Astrid Hamberger.