Einmal Deutschland und zurück

Eine Siebenbürger Sächsin entdeckt ihre alte Heimat neu

Überzeugt, dass hier etwas entstehen kann – Dr. Carmen Schuster in ihrem ehemaligen Heimatdorf

Nun wieder ein schmuckes Gebäude – die alte Volksschule in Kleinschenk.

Im riesigen Garten des Pfarrhauses sollen bald Bio-Gemüse, Kräuter und Blumen gedeihen.

Schlichter Stil soll daran erinnern, dass dies einst eine Schule war.

Die Kirchenburg von Kleinschenk wird derzeit restauriert.
Fotos: Nina May

„Damals hatte ich das Gefühl, es wird eine Reise nach Nirgendwo!“ lacht die Frau mit dem aparten Pagenkopf und dem eleganten dunklen Anzug. Am liebsten wäre sie alleine in Rumänien zurückgeblieben. Doch das konnte sie ihrer Familie nicht antun, die unter schweren Bedingungen die Ausreise nach Deutschland erkämpft hatte. Schwer, weil ein Mitglied der Familie Andreas Birkner hieß. Zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt im berühmten Schriftstellerprozeß von 1958, deportiert und schließlich nach Deutschland abgeschoben.

Ein tiefschwarzer Fleck in den Akten seiner Familie aus Kleinschenk/Cincşor, was wiederum deren distanziertes Verhältnis zum kommunistischen System erklärt. 1984 endlich die heißersehnte Ausreiseerlaubnis! Mit tonnenschwerem Herzen und mit nichts außer Hoffnung im Gepäck startete die junge Frau in die neue Welt ….

Heute schmunzelt Dr. Carmen Schuster, erfolgreiche Bankdirektorin, über ihr einstiges tragisches Schicksal. Auch wenn der Verlust der Heimat sie noch lange quälte, Deutschland hat ihr schließlich Glück gebracht. Chancen auf persönliche Entfaltung, Wohlstand, Sicherheit – alles, was man sich in langen, entbehrungsreichen Jahren im kommunistischen Rumänien erträumt hat.

Vielen der ausgewanderten Siebenbürger Sachsen ging es ähnlich, nur dass sie danach von der alten Heimat oft nichts mehr wissen wollten. Zu tief saß der Schmerz der Erinnerung. Verdrängte Sehnsucht vernarbt schwer. Ihr hingegen ist es gelungen, den Bogen zu schlagen zwischen der alten, der neuen und der neuen, alten Heimat.

Dem Rumänien von einst, mit den knappen, zerlesenen Büchern, die sich Studenten unter dem Tisch weiterreichten, der ermüdenden studentischen Pflichtarbeit auf den Feldern, dem Lebensmittelmangel, der teils offenen, teils heimlichen Auflehnung gegen das Regime durch ironisch im Zug geschmetterte Lieder „Es lebe die Freundschaft Rumäniens mit der ehrenwerten koreanischen Republik! Sie lebe! Sie lebe! Sie lebe!“, als Spaß der jungen Leute, ihrem Spott zwischen den Zeilen Ausdruck zu verleihen. Dann Deutschland, „eine Welt aus Watte, eine Idylle, unwirklich“, wie sie treffend vergleicht. Und nun? In ihrer eleganten Bukarester Stadtwohnung sitzt sie mir gegenüber. Weiße Wände, „Jacobi“-Bilder, heller Boden, ein blütenweißes Sofa. Auf der Lehne der Sitzmöbel liegen effektvoll drapierte kreuzstichbestickte Schals. Moderne und Tradition, alt und neu, harmonisch und geschmackvoll miteinander vereint. Ihr äußeres Umfeld scheint auch das Innere zu reflektieren. „Meine Aufbauarbeit in der Bank, meine Kleinschenker Projekte in der Freizeit und meine Familie“, so beschreibt Carmen Schuster, was ihr heutiges Leben definiert.

Bilderbuchkarriere mit Stolpersteinen

In der Bundesrepublik überfluteten neue Eindrücke die junge Frau, denn schnelle Anpassung war, was die Rumäniendeutschen in erster Linie anstrebten. Die Familie landete in Freiburg i. Br., einer malerischen Stadt in Süddeutschland. Lehrerstellen waren knapp. Die studierte Französisch- und Deutschlehrerin erhielt einen Posten auf der Schwäbischen Alb. „Ein idyllischer Ort!”, erinnert sie sich lächelnd. „Ich saß auf der Treppe meiner zukünftigen Schule und fragte mich: ‚Willst du wirklich dein ganzes Leben hier verbringen?‘“ Da beschloss sie, noch einmal den Stier bei den Hörnern zu packen.

Sie studierte Wirtschaft und arbeitete gleichzeitig in einer Bank im Rahmen eines vierjährigen Programms. „Wir mussten bei Null anfangen! Alle paar Wochen wechselten wir die Abteilungen“, erzählt die heutige Bankdirektorin, „für mich eine riesige Chance, denn normale Mitarbeiter lernen den Betrieb bei Weitem nicht so gut kennen!” In eindrucksvoller Erinnerung blieb ihr vor allem die Station in einer Abteilung, in der unqualifizierte Arbeitskräfte, meist Frauen, täglich Berge von Daten in die Computer eintippen mussten. Schlecht bezahlte, anstrengende Akkordarbeit! Obwohl hochmotiviert, konnte sie mit den Kolleginnen nicht mithalten.

In kurzer Zeit hatte sie durch die Anstrengung schmerzende, geschwollene Handgelenke. Ein Schock! „In der Pause ging ich zur Toilette, heulte fünf Minuten, schminkte mich dann und eilte erneut an meinen Platz zum Akkord-Tippen“, erinnert sich Carmen Schuster. Doch es war eine Lebenslektion, die ihr Achtung vor der Leistung anderer abverlangte, die – unter schwierigen Bedingungen arbeitend – trotzdem nicht den Mut verloren. Bald darauf begann ihr die Arbeit in der Bank zu gefallen.

Mission „Aufbau im Osten“

Im Dezember 1989, als sie bereits als Assistentin des Bankpräsidenten arbeitete, platzte dieser auf einmal in ihr Büro. „Kommen Sie mit“, forderte er die Kollegin auf. Auf den Bildschirmen im Börsenraum verfolgten sie gemeinsam den Fall Ceauşescus und das Ende des Kommunismus in Rumänien! „Ihr Platz ist jetzt im Osten!“ meinte der Chef und stieß damit unverhofft gegen eine längst verschlossen geglaubte Tür...

Erstmal zog es die junge Bankerin jedoch nach Berlin zum Aufbau Ost. Die Ziele waren klar: Innerhalb von wenigen Jahren sollte das ostdeutsche Bankensystem nach westlichen Standards funktionieren. „Ostdeutschland war für mich wie nach Hause kommen“, bemerkt sie, denn den Kommunismus kannte sie aus der alten Heimat. „Obwohl mein Büro nur vier Quadratmeter groß war, war es der beste Job, den ich mir vorstellen konnte!“ lacht sie und fügt hinzu: „Wir waren voller Enthusiasmus! Wir wollten zeigen, dass der Aufbau Ost möglich ist! Und er war möglich!” Hinzu kam, dass sie im Osten als weibliche Führungskraft einer Bank keine Exotin war, im Gegensatz zum Westen.

Die Erfahrung im Aufbau Ost führte sie 1998 dann doch nach Bukarest. „Die Gesellschaft war im Umbruch. Ich dachte, hier könne man ganz viel bewegen!“, motiviert sie ihre Entscheidung. Doch die Situation war nicht zu vergleichen. Es fehlten der Druck, die klaren Zeitvorgaben, die Fördergelder und die Expertise eines westlichen Bruders. „Hier ging erstmal gar nichts, weil man uns Beratern keine Zugänge zu Informationen gewährte“, resümiert sie ihre anfänglichen Schwierigkeiten. Heute ist sie dennoch überzeugt: „Auch in Rumänien kann man Dinge ändern, man muss es sogar. Es geht nur etwas langsamer!” Und dass es geht, zeigt ihr Lieblingsprojekt, dass sie vor fünf Jahren aus der Taufe hob – den Aufbau der rumänischen Bausparkasse.

Mit über 250.000 Kunden und mit einer Mannschaft gut ausgebildeter rumänischer Mitarbeiter ist die rumänische Bausparkasse inzwischen ein Vorzeigebetrieb. Wirtschaftlich erfolgreich sein geht auch in Rumänien – und das bewiesen zu haben, darauf ist sie stolz. „Was hier oft fehlt, ist das Selbstvertrauen, dass der Einzelne Dinge verändern kann. Und es fehlt der lange Atem, einmal Begonnenes auch unter schwierigen Bedingungen zu Ende zu führen.”

Kleinschenk – eine neue, alte Liebe

Eines Tages las die Wahlbukaresterin im Internet eine Anzeige, die ihr einen Schock versetzte. Die Kleinschenker Evangelische Schule, ein Fritz-Balthes-Bau von 1910, war zum Verkauf ausgeschrieben. Das Gebäude war zur Mülldeponie des Ortes verkommen! Wie viele Rumäniendeutsche, die Jahre nach der Auswanderung mit dem alten Heimatort konfrontiert wurden, ergriff auch sie ein seltsamer Schmerz.

Schließlich entschloss sich Carmen Schuster zu einem ungewöhnlichen und mutigen Schritt – sie kaufte selbst! Erst die Schule, dann das verwaiste Pfarrhaus, ließ beide renovieren und zu einem Gästehaus ausbauen. „Es war weiß Gott keine leichte Entscheidung“, gesteht die Bankerin kopfschüttelnd, „denn es wird dauern, bis die Projekte Gewinn abwerfen. Aber es war die richtige Entscheidung!“ Und sie setzt fort: „Wer, wenn nicht wir, die wir internationale Wirtschafts-Expertise mitbringen, sollte sich in Rumänien engagieren? Ich bin überzeugt, dass man beides vereinbaren kann – wirtschaftliches Handeln und kulturelle Werte bewahren! Außerdem möchte ich ja dem Ort und dem Land, in dem ich aufgewachsen bin, auch etwas zurückgeben!“ Auch eine emotionale Entscheidung? Mit Sicherheit. Doch schon rattern tausend Ideen durch das an Aufbau und Organisation gewohnte Gehirn.

Tourismus in Kleinschenk kann natürlich nicht für sich alleine bestehen. Die ganze Region, ganz Siebenbürgen braucht ein nachhaltiges Konzept – dann hat Siebenbürgen eine Chance, mit anderen Reisezielen zu konkurrieren. „Doch derzeit gibt es nur isolierte Dörfer, von denen einige dank engagierter Leute etwas zu bieten haben, andere warten auf bessere Zeiten… die nicht von alleine kommen!“, stellt Carmen Schuster fest. „Es gibt noch keine umfassende ökonomische Tourismus-Vision“, ergänzt sie. Doch genau dies sind ihre Stärken. Sie unterstützt in ihrer Freizeit die Evangelische Kirche bei der Erstellung eines Konzeptes zur touristischen Erschließung der Siebenbürgischen Kirchenburgen.„Mit festen Öffnungszeiten der Kirchenburgen und Führungen fängt es an, denn kein Mensch kommt und sucht sich den Schlüssel beim Küster,“ kritisiert die resolute Managerin.

Seit Oktober 2012 wird außerdem mit Nachdruck an der Kleinschenker Kirchenburg gearbeitet. Ein EU-finanziertes Projekt. Carmen Schuster hat einen Verein gegründet, „Contrafort“, oder „die stütztende Strebe“. Die Restaurierung der Orgel steht an, finanziert über Patenschaften für Orgelpfeifen – eine Idee des Vereins.

Die Stimmen der Kritiker sind mittlerweile leiser geworden – auch aus den Reihen der eigenen Familie. Dort wurde die Rückkehrerin zuerst skeptisch betrachtet. „Doch ich habe sie einfach eingebunden in meine Projekte und alle hatten viel zu tun. Sie hatten somit keine Zeit, zu philosophieren!“, lacht Carmen Schuster. „Wissen Sie, wenn die ersten Ergebnisse da sind, dann lassen sich die Menschen besser überzeugen!“

Worin besteht für die moderne Frau, die mitten im Berufsleben steht, der Reiz an der alten Heimat? „Es ist nur zum kleineren Teil Sehnsucht nach dem sächsischen Siebenbürgen. Es ist vor allem die Überzeugung, dass hier etwas entstehen kann! “, verrät sie ein wenig nachdenklich. „Hier leben Sachsen, Rumänen, Ungarn und Zigeuner zusammen. Es gibt Protestanten, Katholiken, Orthodoxe, 7-Tage-Adventisten. Für mich war dieser Flecken Erde schon immer ein funktionierendes Europa. Als Bankerin sollte man dazu beitragen, dass es diesem Teil Europas auch wirtschaftlich besser geht... Ein moderner Gedanke, nicht?“ fügt sie an, und ihr perlendes Lachen erhellt den Raum.