Erbe: Last oder Chance?

Debatten über die Zukunft des architektonischen Erbes in Bukarest

In diesem Haus, in welchem die Kurzfilme gezeigt wurden, können auch verschiedene Ausstellungen besichtigt werden.

Vera Marin, Vorsitzende des ATU-Vereins, bereitet sich für die Debatte in dem Haus auf dem Carol-Boulevard 53 vor.
Fotos: Aida Ivan

Mitte September beherbergte die Bukarester Cărtureşti-Teestube die Ausstellung „Erbe: Last oder Chance?”, deren Bilder schöne alte Bauten der Hauptstadt dokumentieren, die in den Wirtschaftskreislauf der Stadt integriert wurden. Die Fotos, die von der Architektin Dorothée Hasnaş geschossen wurden, zeigen, wie ein paar Altbauten in gewinnbringende Geschäfte umgewandelt wurden.

Der „Coco”- Lebensmittelladen in der Dionisie-Lupu-Straße, das Haus auf dem Aviatorilor-Boulevard Nr 9, „The ARK” im Rahova-Stadtviertel und die vielen Gebäude in der Altstadt Bukarests dienten als Bildmaterial der öffentlichen Diskussion, welche nach der Eröffnung der Ausstellung erfolgte. Die Debatte wurde von Vera Marin, Vorsitzende des Vereins „Asociaţia pentru Tranziţie Urbană” (ATU, Verein für urbane Transition), moderiert und machte auf sanierte Altbauten aufmerksam. Teilgenommen haben Stadtplaner, Geschäftsleute und zum Teil auch die Besitzer der Immobilien, die kreativ und gewinnbringend umgestaltet und zeitgenössischen Bedürfnissen angepasst wurden.

Schwerpunkt war die herrschende Denkweise hierzulande: Die Sanierung der Häuser, die zum architektonischen Erbe gehören, wird eher als ein teures Verfahren betrachtet, das dem „natürlichen” Modernisierungsprozess der Stadt entgegensteht, ja ihn gar behindert.

Erbe-Debatten, Ausstellungen und Projektionen

Die Ausstellung und die Gespräche sind Teil eines einjährigen Projekts, das in Zusammenarbeit mit der Französischen Botschaft durchgeführt wird. Im Rahmen dessen wurden seit Mitte September schon zwei Debatten in aufeinanderfolgenden Wochen organisiert. Unter den zahlreichen erfahrenen Spezialisten waren neben den Vertretern der Französischen Botschaft auch Vertreter von Colliers International, einer Firma, die sich mit Immobilienberatung beschäftigt, anwesend.

Die Aufgabe, die ATU übernommen hat, ist, die Kommunikation zwischen allen interessierten Kreisen zu ermöglichen, da Architekten bekanntlich nicht allein arbeiten. An den Thinktanks beteiligen sich Stadtplaner, Ingenieure, Geschäftsleute sowie interessierte Bauherren, Baufirmen und Institutionen, um optimale Lösungen für die Zukunft der Altbauten zu durchdenken.

Sehr geschickt und ohne Umschweife hat Vera Marin den Vertreter von Colliers International, Andrei Voica, gefragt, warum Geschäftsleute ein altes Gebäude statt eines neuen für ihre Firmen auswählen würden. Nur ein Prozent aller Transaktionen von Colliers repräsentieren die Altbauten, da die meisten Investoren Angst vor steigenden Summen Geld bekämen, die sie investieren müssten. Als Beispiel nannte Voica die Altstadt Bukarests, eine Gegend, die sich in den vergangenen fünf Jahren sehr stark entwickelt hat.

Obwohl manche Altbauten jeden Moment einstürzen könnten, werde hier besonders oft über Gebäude verhandelt, an denen Investoren sehr viel Interesse haben. Die meisten Unternehmer, die ihre Büros in einem alten Gebäude haben wollen, sind diejenigen, die ein bestimmtes „Image” für ihre Kunden schaffen möchten, beispiels-weise in den Bereichen Werbung oder Wirtschaftsberatung. Kauft man ein älteres Gebäude, dann können höhere Nebenkosten auftauchen als bei einem neuen, präzisierte Voica.
Des Weiteren kam das wohl Wichtigste zur Sprache: Die Gebäude, die architektonisch wertvoll sind, sollten auf keinen Fall als ein Museum betrachtet werden. Und die Eigentümer sollten beraten werden, um in der Lage zu sein, die bestmögliche Vorgehensweise zu wählen.

Laut den Äußerungen des Leiters vom Französischen Institut, Stanislas Pierret, hat das Erbe eine Zukunft – als Basis für die Entwicklung der Städte. Das Bewirtschaften des Erbes beeinflusst die Wirtschaft, aber auch die Kultur auf eine positive Weise. Die Französische Botschaft hat schon verschiedene Projekte anlaufen lassen, die sowohl die städtische, als auch die dörfliche Landschaft betreffen.

Die Moderatorin unterstrich, dass die Stadtplanung in enger Verbindung zur Politik steht. Langfristig betrachtet, sollten die Gesetze verändert werden. Offen blieb die Frage, wie man die Politiker dazu bringt, diesem Problem Aufmerksamkeit zu schenken. Die öffentliche Verwaltung sollte klare Ziele festlegen und diesbezüglich für alle verbindliche Regeln erstellen. Andererseits sollten die Investoren ihre Kapitalanlage so gestalten, dass es vorteilhaft sowohl für sie als auch für die Gemeinschaft ist.

Bei der zweiten Debatte wurden vier Filme gezeigt (über das verlassene Haus auf dem Boulevard Carol 53, die bekannte Herberge „Hanul lui Manuc”, das Gebäude der Buchhandlung „Cărtureşti” und das Haus auf dem Aviatorilor-Boulevard 9).

Das Projekt

Diese Debatten fanden in repräsentativen Altbauten statt (in der Cărtureşti-Buchhandlung und in dem Haus Carol-Boulevard 53) und gehören zu einem komplexeren, längerfristigen Projekt, das noch andere ähnliche Veranstaltungen umfassen wird. Die Kampagne ist darauf ausgelegt, die Aufmerksamkeit auf das Schicksal der Gebäude zu richten, die zum historischen Bild der Hauptstadt gehören.

Außerdem geht es um den lokalen Stolz und die lokale Identität: ATU hat die Funktion einer Denkfabrik und organisiert diese öffentlichen Debatten, um Strategien zu entwickeln, durch die alte Gebäude wieder ans Licht gebracht werden. Menschen, besonders die städtischen Entscheidungsträger, sollen sich bestimmter Prinzipien bewusst werden.

Die Plattform für Bukarest

Außerdem ist ATU Teil der Plattform für Bukarest, einem Netzwerk von mehr als 40 Nichtregierungsorganisationen, die ein gemeinsames Ziel hat: Sie wollen an der nachhaltigen Entwicklung Bukarests mitwirken. Einen „Pakt für Bukarest” haben Experten verfasst, die daran beteiligt sind. „Als europäische Hauptstadt soll Bukarest seine historischen Aspekte behalten.

Der Verzicht auf den architektonischen Wert im Namen der wirtschaftlichen Entwicklung, die nicht nachhaltig ist, ist einer europäischen Hauptstadt unwürdig”, steht in der „Vereinbarung mit den Bürgermeistern”, dem strategischen Dokument, das 2008 vor den Lokalwahlen von den meisten Bukarester Bürgermeisterkandidaten unterschrieben wurde.

In der „Vereinbarung für Bukarest”, die wiederum vor den diesjährigen Lokalwahlen von sämtlichen Bukarester Bürgermeisterkandidaten unterschrieben wurde, wird erklärt, dass es in Bukarest insgesamt 2700 Denkmäler und 98 Plätze von architektonischem Wert gebe, die schützenswert sind. Der Niedergang des architektonischen Erbes der Hauptstadt kann jedoch keiner bestreiten. Die Vertreter der Organisationen fragen sich, wie das historische Bukarest überleben kann, wenn es keine Strategie betreffend der Bewahrung der historischen Plätze und der Immobilien mit architektonischem Wert gibt.

In ihrem Manifest beklagen sich die Organisationen darüber, dass das Bürgermeisteramt keine Abteilung hat, die dafür zuständig ist, Altbauten erfolgreich zu bewirtschaften. Es herrsche mangelnde Kommunikation zwischen Institutionen und Experten, zwischen der Gemeinschaft und den Behörden. Die Zivilgesellschaft sollte diese Lücke füllen.

Der Verein

Die Kuratorin des ATU-Projekts, Vera Marin, betätigt sich in verschiedenen Bereichen: sowohl im akademischen – als Assistentin an der Bukarester Architekturuniversität „Ion Mincu” –, als auch im Bereich der Urbanistik und Stadtplanung und seit mehr als zehn Jahren als Projektleiterin von ATU.
2001 wurde der Verein gegründet, Schwerpunkte der Aktivitäten sind Forschung, Beratung und Kultur. Das Team von ATU arbeitete bis jetzt zusammen mit der Botschaft Frankreichs, der Botschaft der Niederlande und verschiedenen Ministerien.

Vera Marin ist überzeugt, dass es auch hier, wie in anderen europäischen Ländern, ein System von Regeln geben muss – so wird zum Beispiel in Frankreich das Erbe als Ausgangspunkt für nachhaltige Entwicklung und nicht als Hindernis betrachtet.

Das Erbe ist ein Schatz. Ideal wäre es, wenn einerseits die Bürger informiert wären und anderer-seits die Lokalbehörden verantwortungsvoll und bewusst mit dem wirtschaftlichen Potenzial des Erbes umgingen. Es ist aber ein langer Weg, der noch beschritten werden muss, bevor man von Veränderungen sprechen kann. Ein erster Schritt wurde schon gemacht: Für den langwierigen Prozess setzen sich kompetente Menschen ein.