„Erfolgreiche Integration ist immer unauffällig“

Gespräch mit dem deutschen Migrationsforscher Klaus J. Bade

Klaus J. Bade war von Ende 2008 bis Mitte 2012 Gründungsvorsitzender des auf seiner Konzeptidee basierenden Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR).
Foto: privat

Zwei Drittel der Deutschen wünschen sich, einer Umfrage zufolge, strengere Maßnahmen, um die Armutseinwanderung aus Südosteuropa, vor allem aus Rumänien und Bulgarien, zu stoppen und Einwanderungsschranken für EU-Bürger einzuführen. Der Migrationsforscher Klaus J. Bade warnt jedoch vor Hysterie und Panikmache und spricht über eine überwiegende Eliteneinwanderung aus diesen Ländern. Bade ist einer der wichtigsten deutschen Migrationsforscher. Seit den 1980er Jahren forscht er zum Thema Einwanderung und berät die Politik. Über die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien nach Deutschland, das umstrittene Image dieser Zuwanderer und über die Problematik der deutschen Integrationspolitik sprach ADZ-Redakteurin Ana Sălişte-Iordache mit dem anerkannten Migrationsforscher.

Die deutschen Medien haben in den letzten Monaten intensiv über eine Armutszuwanderung aus Rumänien und Bulgarien berichtet und vor Zuwanderern gewarnt, die auf deutsche Sozialleistungen Anspruch erheben. Wie sehen Sie dieses Phänomen?

Es muss berücksichtigt werden, dass es sich vor allem um eine Elitenmigration aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland handelt. Das bedeutet, die deutsche Seite beutet in gewisser Weise den Elitenarbeitsmarkt in Bulgarien und Rumänien aus. Die bulgarischen Krankenhäuser, zum Beispiel, sind kaum mehr imstande ihren Dienst zu verrichten, weil die Ärzte nach Deutschland auswandern, um dort die deutschen Ärzte zu ersetzen, die dann in die Schweiz oder nach England gehen. Das ist ein desaströses Karussell auf Kosten der Herkunftsländer. Es ist ein Skandal, einerseits dort Eliten abzuziehen und sich andererseits darüber zu beklagen, wenn dann auch mal Arme kommen. Was Armut angeht, so sprechen wir hier von maximal zwanzig Prozent der Zuwanderung und innerhalb dieser zwanzig Prozent gibt es nicht nur arme, sondern auch qualifizierte Menschen, deren Ausbildung aber nicht anerkannt wird oder die aus verschiedenen anderen Gründen keinen regulären Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Deshalb erscheinen sie, als ob sie arm wären, obwohl sie keine Armen sind. Und um die Roma zu erwähnen, die bilden einen relativ kleinen Teil der Zuwanderer. Es kommen ja nicht nur Roma, wir wissen ja auch nicht genau, wie viele es sind. Das Ganze aber als Armutseinwanderung aus Rumänien und Bulgarien zu bezeichnen, das ist eigentlich eine Beleidigung für diese Länder.

Was für eine Lösung sehen Sie?

Einerseits müsste man vor diesem Hintergrund vernünftiger, differenzierter und pragmatischer reden und Integration durch Bildung und Anerkennung der Qualifikationen der Zuwanderer anbieten. Andererseits sollte man sich auf europäischer Ebene verstärkt bemühen, Rumänien und Bulgarien dazu zu verhelfen, dass die wanderungstreibenden Faktoren in diesen Ländern geschwächt werden. Sodass nicht unnötig viele Leute das Land verlassen müssen. Es gibt Programme, die für nicht- oder wenig qualifizierte Menschen, auch gerade für Roma, gemacht worden sind, die offensichtlich nicht hinreichend wirken. Es gibt eine Sozialbürokratie in beiden Ländern, die viel Papier produziert und nicht effektiv arbeitet. Viel europäisches Geld, welches dafür gedacht war, ist verschwunden. Man müsste überlegen, nicht nur Integrationskommissare hinschicken zu wollen, sondern auch Haushaltskommissare, damit das Geld auch effektiv ausgegeben wird.

Es gibt eigentlich zwei Auffassungen. Die Integration, die man im alltäglichen Leben erlebt, unterscheidet sich von der, die in den Medien oder in politischen Diskursen und Debatten dargestellt wird. Wie kommt es zu diesem großen Unterschied?

Erfolgreiche Integration ist immer unauffällig. Sie bemerken gar nicht, dass sie funktioniert. Es gäbe da nichts mehr zu berichten. Da gehen Leute aneinander vorbei und es passiert nichts. Nur die Pannen fallen auf und eben darüber wird berichtet. Genau das ist der Punkt, der hier in einzelnen Schritten immer wieder demonstriert wird: in Duisburg, in Düsseldorf, in Neukölln – in einzelnen Vierteln und Bezirken sammeln sich Menschen, die wenig Geld haben. Hier wird die Integration auffällig. Die Zuwanderer werden aber auch von Mietspekulanten ausgebeutet, die 200 Euro für einen Schlafplatz verlangen. Das fällt auf und die Probleme werden mit genau diesen Opfern in Verbindung gebracht. Die Opfer arbeiten nicht, sie sind also die Täter und machen Probleme. Niemand berichtet aber über die Ausbeutung dieser Menschen. Niemand redet darüber, dass zahlreiche bulgarische und rumänische Ärzte in den deutschen Krankenhäusern arbeiten oder darüber, dass weitere hoch qualifizierte Leute aus diesen Ländern in allen möglichen Bereichen in Deutschland tätig sind.

In Berlin-Neukölln leben mehr als 10.000 Menschen aus Rumänien und Bulgarien. Der Bürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), fordert vor allem die Migranten auf, mehr Toleranz aufzubringen. Fakt ist, dass die Roma ihre Kinder nicht in die Schule schicken, auch wenn ihnen dafür spezielle Lerngruppen zur Verfügung gestellt werden, in denen sie ihre Deutschkenntnisse verbessern können. Dafür kassieren sie aber Kindergeld ab.

Meiner Meinung nach gilt dieses Problem nur für eine kleine Minderheit. Wir müssen uns klar machen, dass die Söhne und Töchter der Ärzte aus Rumänien und Bulgarien dieses Problem überhaupt nicht haben. Es ist ein Problem dieser kleinen Unterschicht, die nach Deutschland kommt. Hier muss nach Modellen gesucht werden, wie man Eltern so beeinflusst, dass sie ihre Kinder in die Schule schicken. Es gibt ja Regelungen, man muss sie einsetzen. Wenn einer sein Kind nicht in die Schule schickt, bekommt er kein Kindergeld. Punkt. Wir bieten klare Bedingungen, aber an diese Bedingungen muss man sich auch halten, sonst hat das alles keinen Zweck.

Welche Risiken sehen Sie im Falle der Panikmache, die von den Medien geschürt wird?

Dass in der deutschen Bevölkerung das Bild vom Zigeuner wieder aufsteigt, von der nicht integrierbaren Bevölkerungsgruppe. Es wird die Vorstellung vermittelt, dass anscheinend alle, die da kommen, Roma sind und als würden Roma an sich etwas Schlimmes oder etwas Gefährliches bedeuten. Es gibt zum Teil schwierige Probleme mit den Roma: Es gibt kriminelle Banden, wobei diese aber nicht nur aus Roma bestehen. Überall ist die Rede überwiegend von Roma oder von Zigeunern, was wirklich unerträglich ist. Man muss die Menschen daran erinnern, dass die Roma, nach den Juden, die am stärksten vom Holocaust betroffene Bevölkerungsgruppe war, mit einer halben Million Ermordeter im Nationalsozialismus. Das ist eine ungeheure Leidensgeschichte, die diese Bevölkerung hinter sich gebracht hat und das muss man auch in Betracht ziehen.

Sie fordern mutige Politiker mit klaren positiven Botschaften. Warum braucht man eigentlich Mut?

Mutig in dem Sinne, dass sich die Leute trauen sollten, bestimmte Dinge zu sagen, die sie aber vielleicht Wählerstimmen kosten könnten. Es gibt in Deutschland auch eine negative Haltung zum Islam, ein beträchtlicher Teil der Wähler findet den Islam gefährlich. Wir wissen nicht genau, wie die Deutschen zu den Roma oder zur Zuwanderung stehen, aber es ist davon auszugehen, dass diese als schädlich für Deutschland empfunden werden. Wir sind ein integrationsstarkes Land, und wenn jetzt außer hoch Qualifizierten auch mal gering Qualifizierte zu uns kommen, dann werden wir auch damit fertig. Aber wer das sagt, riskiert, in einem Wahljahr wie 2013, die Wahl zu verlieren. Deshalb ist es mutig, die Wahrheit zu sagen.

Wir bedanken uns für das Gespräch.