Erinnern, verstehen, verarbeiten, versöhnen

Zur Konferenz „Die Deportation im kollektiven und individuellen Gedächtnis“ in Hermannstadt

Dr. Konrad Gündisch, Ignaz Bernhard Fischer, Robert Schwartz, Hannelore Baier und Dr. Rudolf Gräf am Podium. Beeindruckend schilderte Ignaz Bernhard Fischer das während der Deportation Erlebte.
Fotos: Cynthia Pinter

„Aber die Ziesel, die wir dort im Wald gejagt haben, die haben uns fast noch besser geschmeckt.“ Stadtpfarrer Kilian Dörr gab in seinem Schlusswort die Aussage seines Vaters wieder, die dieser, ehemals jenseits des Ural zur Zwangsarbeit verschleppt, bei Festessen in der Familie machte. Viele persönliche Erinnerungen und Geschichten waren während der zweitägigen Konferenz unter dem Titel „Die Deportation im kollektiven und individuellen Gedächtnis“ am 10. und 11. März im Spiegelsaal des Deutschen Forums zu hören gewesen.

Im Anschluss an die Gedenkfeier in Temeswar/Timişoara, mit Gedenkgottesdienst und Einweihung eines Denkmales, wurde hier „... die Ereignisgeschichte durch Fachleute aber auch Kunst und Literatur“ dargestellt, wie es Hartmut Koschyk, MdB, als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten sowie als stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft e.V. Berlin in seiner Begrüßung sagte.

Die Deutsche Gesellschaft hatte die Initiative zu dieser Tagung gehabt und diese in Zusammenarbeit mit dem Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien und der Evangelischen Kirchengemeinde A.B. Hermannstadt/Sibiu ausgetragen. Erfreut hat sie sich eines konstant zahlreichen Publikums. Auch anhand dieser Konferenz wurde deutlich, dass das Thema „Russlanddeportation“ nicht aufhört zu interessieren und von der Generation der Betroffenen auf die Kinder und Enkel weitergegeben wurde.

„Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung“, zitierte MdB Koschyk ein jüdisches Sprichwort, und sagte: „Nur wenn wir uns erinnern, geben wir den Opfern ein Stück der Würde zurück.“ Die seit dem August vergangenen Jahres stattfindende Reihe an Gedenkveranstaltungen, in denen an das vor 70 Jahren Geschehene erinnert wird, erwähnte Bischof Reinhart Guib in seinem Grußwort. Dass die im letzten Kriegsjahr gegen Deutsche getroffene Maßnahme im Vergleich zu der Vertreibung weitaus weniger bekannt ist, sagte der DFDR-Vorsitzende Dr. Paul-Jürgen Porr.

Erinnerung und Dokumente

Bevor der Historiker Dr. Konrad Gündisch das Verschleppen von arbeitsfähigen Menschen deutscher Herkunft aus Ost- und Südosteuropa zur Zwangsarbeit anhand von Dokumenten darstellte, hatten die Konferenzteilnehmer das Privileg, die eindrucksvolle Lebensgeschichte des 89-jährigen Ignaz Bernhard Fischer zu hören. Auch diesmal schilderte der im christlichen Glauben fest verankerte Vorsitzende des Vereins der ehemaligen Russlanddeportierten lebendig und anschaulich, ohne Ressentiments oder Klagen, was er und die anderen Ausgehobenen auf dem Weg in die Arbeitslager und dort erlebt und erlitten haben.

Kein Brot zu bekommen, wenn man die Arbeitsnorm nicht erfüllt hatte, war grausamer als Peitschenhiebe, sagte er. Eine Woche nach der Ankunft im Arbeitslager gab es den ersten Toten, beim Bemühen, ihm in die gefrorene Erde ein Grab zu schaufeln, sahen sie mit an, wie nebenan von Schlitten 20 – 25 verstorbene Kriegsgefangene in ein Grab geschüttet wurden. Sie bekamen eine Vorstellung davon, was sie erwartet.

Er erzählte aber auch von einem russischen Mädchen, das mitten im Krieg mit ihm sein Stück Brot geteilt hat, den Gottesdiensten, die er halten konnte, der ewigen Hoffnung auf Heimkehr, die so oft zerschlagen wurde, dem Hungerjahr 1946, das sie dank des Stückchens Holz oder Kohle überlebten, die sie für ein Stück Brot tauschen konnten, der Verbesserung der Versorgung ab 1948, als auch die Holzpritschen durch Eisenbetten ersetzt wurden und damit die Wanzenplage aufhörte, seinem Fluchtversuch 1948 – der in der Strafbrigade endete – und dass er von der Liste eines Krankentransportes gestrichen wurde. Berichtet hat Fischer über sein Wirken als katholischer Priester und seine Entscheidung zugunsten der Liebe, sein Bemühen zum Organisieren des Vereins der Russlanddeportierten und der Hilfeleistungen an dessen Mitglieder und nicht nur an diese. Der Verein, der anfangs über 8000 Mitglieder zählte, hat heute im ganzen Land keine 700 Mitglieder mehr.

In der von Robert Schwartz moderierten Podiumsdiskussion unter dem Titel „Erinnerungskultur: Die Bedeutung von Zeitzeugnissen“ wurde am ersten Tag ein breiter Fächer an Themen angesprochen. Dazu gehörte die Problematik der Erinnerungskultur versus historische Darstellung, der gesellschaftspolitischen Relevanz des Themas im Verlauf der Jahrzehnte, der Verantwortung und Verantwortlichkeit der Person, der Gemeinschaft und der Staaten und also der Kollektivschuld versus individueller Schuld, der Aufarbeitung der Geschichte und deren Darstellung in der Öffentlichkeit. Neben Dr. Gündisch und Ignaz Bernhard Fischer saßen der Historiker Dr. Rudolf Gräf und die Verfasserin dieses Beitrages im Podium.

Über die Deportation in den Identitäts- und Gedächtnisdiskursen in der Zeitspanne 1950 – 1989 sowie nach der politischen Wende sowohl in Rumänien als auch in der Bundesrepublik Deutschland referierte am zweiten Tagungstag der Historiker Dr. Cristian Cercel. Er saß sodann zusammen mit Dr. Paul Philippi, Dr. Elfriede Dörr, Elke Sabiel und Claudiu Sergiu C²lin im Podium der zweiten Podiumsdiskussion, in der über die Aufarbeitung der Vergangenheit und das Gestalten der Zukunft gesprochen wurde, über was bisher getan wurde und noch notwendig zu gestalten ist.

Deportation und Kunst

Einzigartig fächerübergreifend aufgearbeitet worden ist die Deportation von Siebenbürger Sachsen in die Sowjetunion durch ein Forscherteam der Universität Münster, das der vor zwei Jahren verstorbene Prof. Dr. Georg Weber geleitet hatte. „Verarbeitet“ wurden in dem in drei Bänden erschienenen Werk Urkunden aus 17 verschiedenen Archiven, 200 Briefe, 15 Tagebücher, 100 Berichte von Deportierten, 20 narrative Interviews, Erhebungen über die HOGs zwischen 1988 und 1989, Zeichnungen, Gedichte und anderes mehr. Mitgearbeitet am Projekt hatte Ehefrau Dr. Renate Weber-Schlenther, die in ihrem Beitrag anhand von Aufzeichnungen und Berichten ehemals Verschleppter den von diesen erlittenen Hunger und das Heimweh darstellte.

Dass und wie die Problematik in die Literatur eingegangen ist, konnte am Nachmittag des ersten Konferenztages gehört werden: Michael Markel bot einen Überblick über die – ihm bekannten – zehn Romane, zwei Theaterstücke und einen Gedichtband, in denen die Deportation literarisch verarbeitet worden ist. In der Moderation von Georg Aescht lasen sodann die Schriftsteller Joachim Wittstock aus seinem Roman „Bestätigt und besiegelt“ und Eginald Schlattner aus einer unveröffentlichten Erzählung. Am Abend zeigte Günter Czernetzky seine beiden Dokumentarfilme „Arbeitssklaven unter Hitler und Stalin“ sowie „Wunden“.

Ist die „Russlanddeportation“ der Rumäniendeutschen aufgearbeitet oder nicht? „Es ist eine echte Herausforderung, das tragische Leiden der Verschleppten anzuerkennen und gleichzeitig die vorherigen vielfältigen Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus kritisch zu analysieren“, hatte Dr. Cercel zum Schluss seines Vortrages festgestellt. Dass das weit verbreitete Opfernarrativ nicht ausreiche, um die Geschichte der Rumäniendeutschen aufzuarbeiten und sie in den Kontext der Geschichte in Rumänien und in Mittel- und Südosteuropa zu stellen, wurde mehrfach gesagt. Klischee- und ideologiefrei zu diskutieren wäre sicher wünschenswert, dazu bedarf es jedoch noch weiterer Aufarbeitung. Und das Geschehen ist noch zu nah und im Bewusstsein der Gemeinschaft zu emotional besetzt.