Erschütternde Selbstzeugnisse aus den Lagern der Deportation

„Lagerlyrik“ aus dem Schiller Verlag: Russlanddeportation 1945 in Texten und Bildern der Betroffenen

Das Lager Hazepetofka

Mutter und Tochter am Grab von Resi Frambach

Gut 70 Jahre nach Beginn dieser Rachemaßnahme ist die Deportation der Deutschen aus Rumänien zur Zwangsarbeit in der Sowjetunion nach wie vor unvergessen, auch wenn immer weniger Betroffene überhaupt noch am Leben sind. Der neue Band „Lagerlyrik“ aus dem Schiller Verlag in Hermannstadt widmet sich Leben, Leiden und Überlebenswillen der deutschen Lagerinsassen in Russland, die vor allem im Donezbecken („Donbass“) unter unmenschlichen Bedingungen untergebracht waren und in den Kohleminen arbeiten mussten. Er versammelt bewegende und erschütternde Selbstzeugnisse der Deportation und des Lagerlebens und zeigt, wie die nach Russland verschleppten Volksdeutschen aus Rumänien ihr Schicksal in höchst persönlicher Form verarbeiteten. Im Januar 1945 wurden alle „arbeitsfähigen Deutschen“ – Männer im Alter von 17 bis 45 Jahren, Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren –, die sich auf den von der Roten Armee eroberten Territorien Rumäniens, Jugoslawiens, Ungarns, Bulgariens und der Tschechoslowakei befanden, „mobilisiert“ und zum Wiederaufbau der Bergbauindustrie im Donezbecken eingesetzt. Dieser von Josef Stalin unterzeichnete Beschluss des sowjetischen Verteidigungskomitees vom 16. Dezember 1944 führte auch zur Deportation von rund 70.000 Volksdeutschen aus allen Teilen Rumäniens in die Sowjetunion.

Sowjetsoldaten und rumänische Polizisten gingen von Haus zu Haus und beorderten alle Deutschen im entsprechenden Alter in die vorgesehenen Sammelstellen. Viele Kinder blieben ohne Eltern zurück. Aus entlegenen Dörfern ging es zu Fuß zur nächsten Bahnstation. Das Einpferchen in spärlichst ausgestattete, beleuchtete und beheizte Güterwaggons überwachten sowjetische Offiziere. Die Fahrt ging in den Osten der Ukraine, das Gebiet um Donezk und Lugansk, und in den Ural.
Die Deportierten wurden in Lagern untergebracht, die von Stacheldraht umzäunt und streng bewacht waren. Sie selbst mussten die Lager erst einmal herrichten bis hin zum Graben der Latrinengruben. Die meisten mussten dann in den Kohleminen arbeiten, eine knochenharte Arbeit, bei der auch die Frauen nicht geschont wurden. Brutale Wärter, chronische Unter- und Mangelernährung, Lausbefall, Krankheiten und unzureichende medizinische Versorgung sowie massive Erschöpfungszustände und völlige Unsicherheit hinsichtlich Dauer und Überleben der Deportation bestimmten die Arbeit in den Bergwerken und das Leben in den Lagern fern der Heimat.

Für das vorliegende Buch, das diesen Leidensweg von der Verschleppung bis zur Rückkehr (im Idealfall) in vielen Selbstzeugnissen dokumentiert, sammelten die Herausgeber Günter Czernetzky, Renate Weber-Schlenther, Luzian Geier, Hans-Werner Schuster und Erwin-Josef Ţigla insgesamt 339 Gedichte, 132 Fotos und 113 Bilder aus vorliegendem Material und Zusendungen von Familien der Deportierten und Internierten. Die Angehörigen stellten Texte, Fotos, Karten und Skizzen aus Familienbesitz zur Verfügung, die meist unter abenteuerlichen Umständen oder manchmal auch unter den gnädigen Augen von Wärtern und Grenzern aus der Sowjetunion in die Heimat geschmuggelt wurden. Daraus haben die Herausgeber 70 Fotos, 70 Zeichnungen, Skizzen und Kunstwerke sowie 70 Gedichte ausgewählt, die als besonders aussagekräftig und typisch in die vorliegende „Anthologie des Erinnerns“ aufgenommen wurden und hier nun chronologisch präsentiert werden. Von der Aushebung zur Deportation und Verschleppung 1944/45 und der Ankunft in den Lagern bis zur Rückkehr der meisten Deportierten 1949 spannen sich die dokumentarischen Jahresringe dieses Gedenkbuchs, das für Historiker wie für interessierte Laien gleichermaßen eine ausgezeichnet aufbereitete und bestens dokumentierte Quellensammlung zum Thema zur Verfügung stellt. Das abschließende Kapitel bietet Äußerungen aus den Jahren 1955 bis 2015 zur Bewältigung dieser Erfahrungen.

Es sind gezeichnete Menschen, die hier auf zahlreichen Fotos zu sehen sind, Gruppenfotos, Einzelfotos und auch Fotos Trauernder an Gräbern fern der Heimat. Die Zeichnungen zeigen die bedrückenden Geschehnisse aus der Sicht der Deportierten, von der Sammlung und der Trennung von Kindern und Familie über den Abtransport und die Güterwaggons bis hin zur Ankunft im Lager. Skizzen und Bilder illustrieren die Lager und den Alltagstrott des Lagerlebens zwischen Stacheldraht und Wachtürmen von Entwanzungsaktionen (S. 91) bis zum Marschieren zwischen Lager und Minen (S. 212). Viele kamen zu Tode – auch dies festgehalten in traurigen Bildern (z. B. „Tod im Bergwerk“, S. 116).
   
Hoffnungslosigkeit und Leid werden hier immer wieder sehr eindrucksvoll deutlich – ob auf den Farbbildern oder den Schwarzweißskizzen. Auch die Minen selbst und die beschwerliche Arbeit unter mühevollsten Bedingungen werden in Bildern festgehalten. Bei all dem wirken die Schwarzweißskizzen noch düsterer und bedrohlicher als die Farbbilder. Die Zeichnung „Es  ruhet in Frieden in Russland Peter Maurer“ (S. 41) bringt Lager und Tod in direkte Verbindung, wird doch das frische Grab direkt neben dem Lager dargestellt. Am schmerzlichsten war wohl die Sehnsucht nach der Heimat zur Oster- und Weihnachtszeit. Auch hier sind eindrucksvolle Bilder zu sehen, etwa von Weihnachten 1945 in Almasnaja (S. 57)
Dieser Einblick in Deportation, Lageralltag und Leid macht den Leser so sprachlos wie die Verschleppten, die das Erlebte in Bildern verarbeiten. Aber auch die hier versammelten sensibel und klug ausgewählten Gedichte und Texte berühren zutiefst, kleiden sie doch das Grauen von Zwangsarbeit und Sklaverei in Sprache und Versform. Hunger und Hygienemangel, Heimweh und Hoffnungslosigkeit, Kälte und Krankheiten, Tod und Trauer, Erschöpfung und Rechtlosigkeit, ja selbst die „Wanzenplage“ (S. 90) werden hier auch literarisch verarbeitet. Der vorliegende Band bietet eine mehr als beeindruckende Dokumentation der Deportation der Deutschen aus Rumänien. Der Leser wird einmal mehr frösteln bei dem Gedanken, was Menschen anderen Menschen antun können, und kann sich umso mehr wundern, wie wenig die Menschheit aus der Geschichte gelernt hat.

„Lagerlyrik – Gedenkbuch: 70 Jahre seit der Deportation der Deutschen aus Südosteuropa in die Sowjetunion“. Gedichte, Fotografien, Zeichnungen, Lieder, Verse, Reime, Sprüche, hg. Günter Czernetzky, Renate Weber-Schlenther, Luzian Geier, Hans-Werner Schuster und Erwin-Josef }igla, Schiller Verlag 2015 Bonn/Hermannstadt, 250 S., zahlreiche Fotos und Abbildungen, ISBN 978-3-944529-73-8, 19,90 Euro/75 LEI