Erstmals den Winter erlebt

ADZ-Interview mit Wengel,Teilnehmerin aus Äthiopien am Deutsch-Intensivsprachkurs

Gemeinsames Familienfoto zum Abschied: Wengel (Mitte) mit ihrer Familie vor der Abreise nach Rumänien. Foto: privat

Seit nunmehr bald 18 Jahren hilft der Intensivsprachkurs „Deutsch als Fremdsprache“ am Departement für Protestantische Theologie der Lucian-Blaga-Universität in Hermannstadt/Sibiu jungen Menschen, der Sprache von Goethe, Schiller, Kafka und Kant näher zu kommen, diese besser kennen und vielleicht sogar lieben zu lernen. Jedenfalls ermöglicht dieser Sprachkurs den Teilnehmern aus Rumänien, aber auch Ost- und Zentraleuropa sowie den GUS-Staaten, danach eine Fort- oder Ausbildungsstätte in Deutschland zu besuchen. Zugegeben, von besonderem Vorteil ist dieser Sprachkurs für Teilnehmer aus einem anderen als dem Gastgeberstaat: Die meisten sprechen kein Rumänisch und müssen sich mit den Sprachkurskollegen auf Deutsch unterhalten. Dadurch lernen sie dies schneller. Jedoch sind sowohl ein gewisses Sprachtalent als auch die Liebe für Deutsch nötig, um die Schulung nicht nur mit einer guten Note zu absolvieren, sondern auch der Sprache mächtig zu sein.

Den seit 1995 bestehenden Sprachkurs haben unzählige Studierende aus Rumänien, Bulgarien, Serbien, der Ukraine, Russland, Georgien, Polen, der Türkei oder der Republik Moldau besucht. Im Oktober 2012 kam aber eine ungewöhnliche Sprachkursteilnehmerin nach Hermannstadt: Ihr Name ist Wengel und sie stammt aus Äthiopien. Im Folgenden drucken wir das Interview ab, das sie kurz vor der Abschlussprüfung unserem Redakteur Andrey Kolobov gewährte. Das Gespräch fand selbstverständlich auf Deutsch statt.

Bitte stell dich kurz vor.

Mein Name ist Wengel Tessema Ayalew. Aber eigentlich heiße ich nur Wengel. In Äthiopien haben wir nur Vornamen. Um eine Person mit der anderen nicht zu verwechseln, fügt man den Vater- und den Großvaternamen hinzu. Ich stamme aus Addis Abeba, der Hauptstadt von Äthiopien, und habe noch drei Geschwistern. Mein Vater ist lutherischer Pfarrer und meine Mutter ist Schneiderin. In Äthiopien hatte ich Fremdsprachen und Literatur studiert und zwei Jahre Englisch an der Universität Haromaya unterrichtet.

Würdest du uns bitte etwas über Äthiopien erzählen? Das ist wahrscheinlich eine ganz andere Welt...

Ja und nein. Äthiopien liegt in Ostafrika. Es ist ein großes Land, viel größer als Rumänien. Zu den Besonderheiten meines Landes gehört die Tatsache, dass wir keinen Winter haben. Eine weitere Eigenheit ist die religiöse Zusammensetzung der Bevölkerung. Äthiopien ist überwiegend ein christliches Land, aber es gibt auch etwa 45 Prozent Muslime. Man kann also nicht sagen, dass ausschließlich das Christsein zur Normalität gehört. Ich war aber überrascht, dass Rumänien sich nicht besonders von Äthiopien unterscheidet. Abgesehen vom Winter und dem Schnee ist mir nichts besonders aufgefallen (lacht).

Du hast also in Hermannstadt zum ersten Mal einen Winter erlebt? Wie war es für dich?

Es war sehr schön. Kalt aber schön. Ich musste viel warme Kleidung tragen, aber es hat mir sehr gut gefallen. Der Winter stellte eine angenehme Abwechslung dar und ich habe mich richtig erholen können.

Ich vermute die Antwort auf diese Frage, dennoch: Worin unterscheidet sich die äthiopische Küche von der rumänischen?

Das ist wirklich eine ganz andere Welt! Wir kochen meistens sehr scharfe Speisen und essen sie mit der Hand, mit Hilfe von Injera, das heißt Fladenbrot aus Teffmehl. Beim Kochen verwenden wir verschiedene und zahlreiche Gewürze, leider gibt es in Rumänien nicht so viele davon. Und das, was die Rumänen für scharfes Essen halten, ist für mich absolut nicht scharf (lacht). Wenn ich etwas für meine Sprachkurskollegen gekocht habe, musste ich aufpassen und das Essen halb so scharf zubereiten. Trotzdem war es für viele sehr „hot“. Speisen, die Rumänen als scharf bezeichnen, sind für mich eher fad.

Wie bist du zum Sprachkurs in Hermannstadt gekommen?

Ich habe ein Stipendium für ein Masterstudium in Deutschland erhalten. Dafür musste ich aber Deutsch können. Den einzigen Deutschsprachkurs in Äthiopien gibt es in Addis Abeba. Die Hauptstadt liegt aber rund 500 Kilometer entfernt von meinem derzeitigen Arbeitsort. Das Diakonische Werk hat mir also den Sprachkurs in Hermannstadt empfohlen. Also kam ich hierher.

Hattest du die Möglichkeit, von Rumänien einiges zu erkunden?

Ein wenig. Ich war in Klausenburg/Cuj, Kronstadt/Braşov und in Deva. Natürlich habe ich viel von Hermannstadt und der Umgebung gesehen. Da ich an das Leben in Addis Abeba gewohnt bin, scheint mir Hermannstadt sehr ruhig zu sein. In Addis nahm ich an vielen Aktivitäten teil und hier habe ich nur eine Aufgabe – Deutsch zu lernen (lacht).

Wengel, du unterscheidest dich von den meisten Bewohnern von Hermannstadt auch durch deine Hautfarbe. Welche Erfahrungen hast du hier gemacht?

Sehr lustige Erfahrungen. Zugegeben, Menschen starren mich immer an. Damit habe ich kein Problem: Ich sehe anders aus und die Menschen sind neugierig. Einmal trug ich meine Haare in einer typisch afrikanischen Frisur und war in einem Geschäft. Die Verkäuferin war so von meiner Frisur eingenommen. Sie hat sie ganz genau untersucht und auch den Kolleginnen gezeigt und fragte mich, wer die Frisur gemacht hätte. Ein anderes Mal stand ich mit einer Freundin an der Ampel und ein Mann wartete auch auf Grün. Er hat am Handy telefoniert und ich konnte nur verstehen „eine schwarze Frau, eine schwarze Frau“. Manche Menschen sehen in dergleichen ein Problem, ich finde es aber eher lustig. Ich sehe halt anders aus als die meisten Bewohner hier.

Was hast du vor, in Deutschland zu studieren, und wie sehen deine weiteren Pläne aus?

Ich möchte Medienethik und Religion in Nürnberg lernen, um danach nach Äthiopien zurückzukehren und dort für die Kirche zu arbeiten. Insbesondere würde mich die Arbeit mit den Jugendlichen interessieren.

Was denkst du, handeln viele junge Menschen in Äthiopien wie du? Kehren sie gerne nach dem Studium zurück in ihr Heimatland?

Die meisten würden gerne in Europa oder anderswo bleiben. Da, wo sie höhere Lebensqualität finden. Ich will aber zurückkehren, weil jemand auch in Äthiopien etwas machen muss, um dort den Lebensstandard anzuheben.

Wird dir etwas aus Rumänien fehlen, wenn du zurück in Äthiopien bist?

Ja, meine Freunde. Ich habe viele Freundschaften geschlossen. Die Rumänen sind sehr freundliche Menschen. Vielleicht wird mir auch Hermannstadt ein bisschen fehlen, aber das weiß ich erst, wenn ich nicht mehr da bin.