„Es war das Naheliegendste, weiterzumachen“

Ein Siebenbürger Sachse, der geblieben ist: Martin Teutsch, Landwirt in Deutsch-Weißkirch

„Weitermachen“ wollte Martin nur in Deutsch-Weißkirch.

Martin Teutsch im Stall neben einigen seiner Kühe

Die Kirchenburg überdauert die sächsische Geschichte von Deutsch-Weißkirch.

Blick in die Weißkircher Hauptgasse, wo auch Martin Teutsch wohnt
Fotos: der Verfasser

Im November wird es in Deutsch-Weißkirch/Viscri ruhiger. Vereinzelte Touristengruppen besuchen zwar noch die Kirchenburg. Manche in- und ausländische Besucher kaufen von den Ständen am Straßenrand die inzwischen gut bekannten Wollsocken, die von Roma-Frauen gestrickt werden; andere nehmen die großen, noch warmen Hausbrote mit, die praktisch vor ihren Augen in einem riesigen Backofen hergestellt werden. Und auch im Spätherbst fällt unweigerlich die Frage: „Wo ist das Haus von Prinz Charles?“

Martin Teutsch wundert sich heute noch, dass sein Heimatdorf zu einem so beliebten Reiseziel geworden ist. Denn früher, wenn er in Kronstadt seinen Ausweis vorzeigte oder seinen Wohnort angab, wurde er immer wieder gefragt: „Wo liegt denn dieser Ort?“ Selbstverständlich freut den 43-jährigen Siebenbürger Sachsen diese Wandlung. „Jetzt sieht es gut aus. Ich finde es in Ordnung“, sagt er.

Das war nicht immer so. „In den 1990er Jahren sah es traurig aus. Die Leute waren fort, die zurückgebliebenen Alten starben weg. Die Aussichten waren sehr trüb“, erinnert er sich. Die Leute - das waren seine Leute: die Siebenbürger Sachsen, die eigenen Verwandten und Freunde. 1988 lebten in dem kleinen, zur Gemeinde Bodendorf/Buneşti gehörenden Dorf noch rund 300 Sachsen, berichtet Martin. Heute sind es weniger als ein Zehntel davon. „Wir sind nur wenige Leute – aber sehr aktiv“, freut er sich. Jeder Einzelne zählt. „Da muss man mitmachen“, meint Martin Teutsch, der auch Mitglied der evangelischen Kirchengemeinde ist. Besonders gerne erinnert er sich an das große Sachsentreffen im Sommer 2017 in Hermannstadt/Sibiu, wo auch er in seiner schönen Tracht am Aufmarsch teilgenommen hatte. Jedes zweite Jahr am ersten Samstag im August findet das Heimattreffen der Deutsch-Weißkircher Sachsen in der alten Heimat statt.

Bei dieser Gelegenheit trifft auch er wieder alte Bekannte und Freunde. Die meisten haben ihre Häuser behalten und beginnen, sie zu renovieren. Vor allem jene aus seiner Generation seien nun öfter im Dorf anzutreffen. Vor einigen Jahren hatten sie wohl keine Zeit für Heimatbesuche, mutmaßt Martin. Sie hatten andere Prioritäten, waren mit ihren noch kleinen Kindern beschäftigt, und damit, sich in Deutschland einzurichten.

„Auswandern war keine Variante“

Er selber hätte auch zu den Aussiedlern gehören können. „Doch Auswandern war für mich nie eine Variante“, bekennt Martin Teutsch. „Nach der Wende, 1989, war es das Naheliegendste, weiterzumachen.“ In seinem Fall kann das „Naheliegendste“ auch buchstäblich verstanden werden: im eigenen Elternhaus weiterzuführen, was seine inzwischen verstorbenen Eltern ihr Leben lang getan hatten. „Meine Eltern waren LPG-Landwirte, wie das damals war.“ LPG steht für „Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft“, die Form, in der im kommunistischen Regime kollektive Landwirtschaft auf den enteigneten Grundstücken betrieben werden musste. Auch damals konnte man jedoch eigene Haustiere im Hof halten. Martin Teutsch ist damit aufgewachsen und wollte nicht einfach alles über Nacht aufgeben. „Meine Verwandten haben die Koffer gepackt und sind ausgewandert. Und stellen Sie sich vor, in so einem Hof, so einer Wirtschaft , was da alles übrig geblieben ist: die Tiere im Stall, das Holz im Schuppen, das Getreide am Dachboden. Die haben alles stehen gelassen.“
Für ihn bedeutete das Naheliegendste, eben nicht alles stehen- und liegenzulassen. Zudem konnte sich Martin nicht vorstellen, in einer Fabrik zu arbeiten. Selbstständig zu sein, bedeutet ihm sehr viel. Und dann, das gibt er offen zu, wurde ihm vieles, was man noch nutzen konnte, überlassen. „So eine Gelegenheit hat nicht jeder. So habe ich das gesehen.“
Der Anfang war trotzdem nicht einfach. 1991, als das Bodenrückgabegesetz (Gesetz Nr. 18) angewendet werden sollte, war Martin zu unerfahren, um die erforderlichen Schritte einzuleiten. Seine Mutter war damit auch überfordert – ein schwer kranker Bruder kam hinzu. Doch als 2005 erneut Anträge auf Landrückgabe gestellt werden konnten, nutzte der junge Landwirt die Gelegenheit. „Da war ich wieder im Vorteil“, erinnert sich Martin, denn er konnte auch die Grundstücke seiner Verwandten beantragen, die er schließlich erhielt.

„Ich liefere Milch und verkaufe Kälber“

Das Naheliegendste ist oft auch das Einfachste. Nicht so im Falle von Martin Teutsch, weil eine Menge an Arbeit damit verbunden war. Heute besitzt er 30 Rinder. „Ich liefere Milch und verkaufe Kälber“, fasst er seine Tätigkeit in einem Satz zusammen. Im Dorf gibt es eine Milchsammelstelle des Vereins „Agro-Eco Viscri-Weisskirch“, zu dessen Vorstand auch Martin gehört. Die Milch wird an die Kronstädter Firma „Prodlacta“ verkauft. Sicher, der Preis lässt etwas zu wünschen übrig, bemerkt Martin, aber zumindest wird pünktlich gezahlt. So kommt er über die Runden. Allein kann Martin selbstverständlich nicht alles meistern, so dass er auf die Mitarbeit dreier Tagelöhner aus dem Dorf angewiesen ist.

„Es ist nicht alles tadellos, aber irgendwie kommen wir zurecht“, meint Martin über diese Zusammenarbeit. Von großer Hilfe war, dass ihm ein erster Traktor über eine Hilfsorganisation aus Deutschland vermittelt wurde. Weitere notwendige Geräte, die der damalige Landwirtschaftsverein über die Saxonia-Stiftung erhalten hatte, kamen hinzu. Heute sind es vier Traktoren, die im Hof oder vor seiner Wohnung in der Hauptgasse stehen. Inzwischen hat Martin auch den Nachbarhof erworben, wo an jenem Novembertag Arbeiter im Badezimmer Ausbesserungen vornahmen. So manches gibt es immer noch zu renovieren an den beiden alten Häusern, Schritt für Schritt.

Die Viehzucht ist Martins oberste Priorität. So kommt es auch, dass er gar nicht an die Einrichtung eines Gästezimmers denkt. Auch Urlaubspläne für sich, seine Freundin und deren Sohn kann er nicht groß schmieden. „Ich bin an die Tiere gebunden“, motiviert er. In all den Jahren war Martin übrigens nur einmal in Deutschland – 2001, im Rahmen eines einmonatigen Erfahrungsaustausches zusammen mit weiteren sechs jungen Leuten aus verschiedenen Tätigkeitsbereichen, eine Aktion, die dank des Rotary-Clubs zustande kommen konnte. Es sei sehr interessant gewesen, er habe manches gelernt, aber eigentlich wenig davon praktisch anwenden können. Zu groß sei der Unterschied zwischen einer deutschen Farm und seinem Weißkircher Hof.

Seine Grundstücke - insgesamt 37 Hektar, wofür er auch über die landwirtschaftliche Zahlungsbehörde APIA EU-Subventionen bezieht - sind für die Heu-Produktion bestimmt. Sie liegen an verschiedenen Orten, nicht gerade nahe am Dorf, und sind leider auch nicht für den Anbau von Luzerne geeignet - eine Folge der spät eingereichten Rückgabe-Anträge, als die besser eingestuften Grundstücke bereits vergeben waren. Die Heu-Eigenproduktion reicht in der Regel in den Wintermonaten aus, wenn Kühe und Kälber in den Ställen stehen und nicht, wie sonst im Jahr, mit der Herde der Gemeinde auf die Weide getrieben werden. Zum Heu hinzu kommt noch Korn, das gemahlen und verfüttert wird, und das von Händlern aufgekauft wird, die, wenn größere Mengen bestellt werden, es dem Kunden auch direkt nach Hause liefern.

In seinem Hof hält Martin Teutsch auch vier Ziegen und zwei Schweine. „Für den Eigenbedarf“, erklärt er. Früher hatte er auch Schafe gehalten, aber schnell feststellen müssen, dass sich das heutzutage, wie auch der Ackerbau, in Weißkirch nicht mehr lohnt.

„Man soll sich nicht zu viel vornehmen, sonst schafft man es nicht“, schlussfolgert der Weißkircher Landwirt. Er sei an seinen Grenzen angelangt und wolle auch kein Darlehen mehr bei der Bank beantragen. Ein einziges Mal hatte er einen Kredit benötigt, das war 2007. In vier Jahren hat er die 18.000 Lei abgezahlt und weiteres Geld braucht er nun nicht mehr zu borgen. Selbstständigkeit bedeutet ihm nach wie vor sehr viel. Die kann Martin nur bei sich zu Hause genießen. Als einer der sehr wenigen Siebenbürger Sachsen, die in ihrer Heimat geblieben sind und heute, wie ihre Vorfahren, in der Landwirtschaft tätig sind, bereut er sein Hierbleiben nicht. Es scheint, er sei darauf sogar stolz.