Es war der Kauf von Freiheit

Gespräch mit Dr. Heinz Günther Hüsch, dem deutschen Verhandlungsführer beim Freikauf der Rumäniendeutschen (I)

Foto: sxc.hu

Foto: sxc.hu

Dr. Heinz Günther Hüsch Foto: Bernhard Moll

Im Sommer dieses Jahres erschien „Acţiunea ‚Recuperarea’. Securitatea şi emigrarea germanilor din România (1962-1989)“ im „Enciclopedica“-Verlag in Bukarest. Der vom Nationalrat für das Studium der Securitate-Archive (CNSAS) und dessen Mitarbeitern Florica Dobre, Florian und Luminiţa Banu sowie Laura Stancu herausgegebene über 900 Seiten  starke Wälzer umfasst Urkunden aus rumänischen Archiven über die Art und Weise, in der die Securitate im Auftrag der höchsten Staats- und Parteiführung Rumäniens die Deutschen aus Rumänien für immer mehr Devisen in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen ließ.

Als das Buch bereits in Druck war, erhielt die Verfasserin dieser Zeilen im Archiv des CNSAS, ohne sie beantragt zu haben, die sechs Bände der Akte „Eduard“ (Fonds des ehemaligen Außenspionagedienstes SIE, Dossier 3.673). Ich hätte doch mal nach Unterlagen zum Freikauf der Deutschen gefragt, lautete die Erklärung. Stimmt, das war 2006. Inzwischen waren mehrere Rechercheergebnisse zum Thema sowie Interviews des aus dem Banat stammenden Deutsche-Welle-Journalisten Ernst Meinhardt mit Dr. Heinz Günther Hüsch (auch in der ADZ) erschienen. Darin war bekannt gegeben worden, dass Dr. Hüsch, seit 1968 der deutsche Verhandlungsführer in diesen Gesprächen, von den rumänischen Sicherheitsdiensten als „Eduard“ geführt wurde, in Anlehnung an den Vornamen von Dr. Ewald Garlepp, der sich zuvor mit dem Freikauf befasst hatte, allerdings in anderem Auftrag und mit anderen Methoden. Im Verlauf der seit dem Frühjahr mit Dr. Hüsch geführten E-Mail-Korrespondenz zum Thema Familienzusammenführung und Freikauf, erfolgte die Einladung nach Neuss, wo Dr. Hüsch lebt.

Am 6. Oktober habe ich den Konferenzraum in der Anwaltskanzlei betreten, wo ein Teil der Verhandlungen mit den rumänischen Vertretern stattgefunden hat. Die Kanzlei befindet sich am Ort, wo vor seiner Zerstörung das Geburtshaus des berühmten Kölner Kardinals Joseph Frings stand. Unser Gespräch erfolgte in der Bibliothek, wohin Dr. Hüsch mehrere Leitz-Ordner von den in einem Panzerschrank aufbewahrten Gesprächsnotizen und -protokollen, Vereinbarungen, Abrechnungen und sonstigen Unterlagen zum Freikauf der Rumäniendeutschen gebracht hatte. Der Begriff „Freikauf“ missfällt Dr. Hüsch. Es habe sich um Kauf von Freiheit und Entlassung in die Freiheit bei seinen Bemühen gehandelt. „Es war eine große humanitäre Aktion, nicht um Personen zu kaufen – zu wessen Eigentum auch? – sondern um solchen, die in Unfreiheit lebten, die Freiheit zu ermöglichen, angesichts der damaligen Bedingungen im Ostblocks und besonders in Rumänien“, lautete die Antwort auf die Frage, wie er den Freikauf der Rumäniendeutschen bezeichnen würde.

In mehreren Folgen werden nun die bedeutendsten Antworten abgedruckt aus dem über dreistündigen Gespräch mit Dr. Heinz Günther Hüsch. Dabei kommt es auch zu unvermeidbaren Wiederholungen des in den Interviews mit Ernst Meinhardt Gesagten oder dem in Heft 1/2010 der Zeitschrift des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde veröffentlichten Vorworts, das Dr. Hüsch 1992 zu dem rund 2000 (zweitausend!) Seiten umfassenden Bericht über die Abläufe verfasst hat. Von rumänischer Seite war er nicht informiert worden, dass ein Teil der Dokumente zum Vorgang und dabei auch aus der auf seinen Namen geführten Akte veröffentlicht werden. Die Herausgeber von „Recuperarea“ motivieren das Publizieren der Unterlagen mit dem Wunsch, Licht in die Gerüchteküche und Spekulationen um den „Verkauf der Deutschen“ und der geheimen Konten zu bringen.

„Ich bin von Wolfgang Schäuble, als er noch Innenminister war, auf meine Anfrage hin ermächtigt worden, über die Sache zu sprechen, insbesondere auch, um ihre wissenschaftliche Bearbeitung zu unterstützen“, sagte Dr. Hüsch. „Ich hatte Schäuble dargestellt, dass es so wuchernde Erklärungen gibt – man konnte sie ja im Internet lesen –und die waren alle falsch.“ Auch in Deutschland gilt die 30 Jahre-Geheimhaltungsfrist, die ist für die ersten Unterlagen abgelaufen, nicht aber für die späteren. Dennoch wolle man versuchen, zusammenfassend die Tatsachen in die Öffentlichkeit zu bringen. In seinem Schreiben hatte Innenminister Wolfgang Schäuble ihm mitgeteilt, man überlege, gemeinsam mit der rumänischen Seite eine Publikation herauszugeben. Es gebe einen deutsch-rumänischen ministeriellen Arbeitskreis in Berlin und man habe Kontakte zum Sachbearbeiter der rumänischen Botschaft aufgenommen. „Ich habe davon nicht wieder gehört, seit zwei Jahren und drei Monaten“, so Dr. Hüsch.

Enttäuscht ist er, dass bislang niemand Interesse an der wissenschaftlichen Auswertung der oftmals bereits im Flugzeug und sofort nach der Rückkehr von den Gesprächen gemachten Notizen zeigt, am Vergleichen der Protokolle mit späteren Vorgängen, den Umsetzungen und Fortgängen – wobei er selbstverständlich mit seinem immensen Wissen mithelfen würde. Enttäuscht ist er, dass alle, denen er bisher Einblick in die Gesprächsprotokolle und Aufzeichnungen bot, sehr bald erschöpft aufgaben. Die Verfasserin dieser Zeilen miteingeschlossen. Die Notizen sind so umfangreich und die Einzelheiten so faszinierend, dass man beeindruckt die Waffen streckt! Weil klar wird, dass für deren Lesen und Vertiefen immens viel Zeit benötigt wird.

Wieso Dr. Heinz Günther Hüsch?

Meine erste Frage an Dr. Hüsch lautete: Wieso fiel die Wahl der Bundesregierung von Kanzler Kurt Georg Kiesinger 1967/1968 auf Sie, um Sie mit den Verhandlungen und der Abwicklung des Freikaufs von Rumäniendeutschen zu beauftragen? Salopp gefragt: Wie kamen Sie zu diesem Job?

Die Antwort: „Unter Kanzler Kiesinger gab es das Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge, Kriegshinterbliebene und Kriegsgeschädigte, wo 1967/68 Gerd Lemmer Staatssekretär war, zuvor Minister für Bundesratsangelegenheiten in der CDU/FDP-Regierung Nordrhein-Westfalens. Diese Koalition scheiterte im Dezember 1966 und Lemmer ging nach Bonn. Dort muss er sich an mich aus den politischen Auseinandersetzungen aus der Zeit erinnert haben, als die CDU/FDP-Regierung durch eine SPD/FDP-Regierung abgelöst worden war. Ich war ein scharfer Hund. Auch hatte er offensichtlich von meinen anwaltlichen Tätigkeiten Kenntnis bekommen, meine Kanzlei war ziemlich angesehen. Das war sozusagen das politische Motiv. Für Lemmer war die Angelegenheit von Anfang an höchst politisch.

Der zweite Punkt: für Lemmer war es ein risikoreiches Unternehmen. Man wusste ja nicht, fällt man hier nicht Betrügern zum Opfer. Lemmer schmiedete an einer größeren politischen Karriere, wollte mit nichts kompromittiert werden, konnte aber der Anfrage auch nicht ausweichen, weil sie ja in seinem Ministerium lief. Also suchte er einen Anwalt, den er für stark und nachdrücklich genug hielt und der über politischen Verstand verfügte.
Der dritte Punkt: Lemmer suchte jemanden, der verschwiegen war und das hat er mir zugetraut.

Der vierte Punkt: er suchte jemanden, der rumänische Erfahrung hatte. Ich hatte sie aus anwaltlicher Tätigkeit, für deutsche Auftraggeber, die in Rumänien gekauft hatten. Da gab es immer wieder Differenzen auf Grund der Beschaffenheit der Waren.

Fünftens war Lemmer sich nicht im Klaren, wie man die Abwicklung organisieren solle, wenn hinter den Nachrichten von Garlepp (der mitgeteilt hatte, die rumänische Seite ist bereit, Rumäniendeutsche ausreisen zu lassen, wenn dafür Devisen gezahlt werden – Anm. HB) tatsächlich etwas dahintersteckt. Ihm schwebte ursprünglich als eine Alternative vor, die Angelegenheit über das Deutsche Rote Kreuz zu organisieren. Das aber lehnte ab. Später erfuhr ich von rumänischer Seite, das Rumänische Rote Kreuz habe nichts zu sagen. Dann gab es die Überlegung, ob man irgend einen freien Träger – den man möglicherweise selbst gründete – damit befassen sollte.

Und dann kam die dritte, wohl stärkste Überlegung, die Kirchen einzuschalten. Dafür suchte er jemanden – er war selbst in der evangelischen Kirche stark verankert –,  der Zugang zur katholischen Kirche hat. Ich komme aus Neuss, wie Kardinal Frings, der Riesenansehen in der Welt hatte. Lemmer wusste, dass ich mal Messdiener bei Frings gewesen war. Ich selbst war schon Ordensträger der Katholischen Kirche, im Diözesankomitee und hatte über Frings auch mäßige Bezüge in den Vatikan. Lemmer stellte sich vor – sollte man die Operation über die Kirchen machen müssen – , dass er den evangelischen Teil übernimmt und ich damit befasst werden sollte, die Verbindung zur katholischen Kirche herzustellen. Dazu ist es aber nicht gekommen, die Kirchen haben in der Abwicklung der Familienzusammenführung keine Rolle gespielt. Diese Überlegungen von Staatssekretär Lemmer habe ich später herausgefunden und es mag auch andere Erwägungen gegeben haben, die in den Akten stehen.

Der risikoreiche Auftrag

Dazu kam, dass man nicht mehr mit Dr. Garlepp zusammenarbeiten und sein System (von ausgehandelten Pauschalen, die ohne Quittung quasi über den Tisch geschoben wurden – Anm. HB) nicht übernehmen wollte. Man brauchte aber seine Hilfe und so kam es, dass Lemmer mich im Herbst 1967 im Landtag aus einer Fraktionssitzung holte und mir das eröffnete, was Garlepp kurz zuvor aus Bukarest als Nachricht mitgebracht hatte. Er zeigte sich ziemlich ablehnend dem von Garlepp Besprochenen gegenüber und ließ erkennen, dass die Methode ihm nicht zusagte. Lemmer hatte auch von anderen Kanzleien Angebote bekommen, darunter auch von einer Kanzlei Jakober in London, die die Abmachung für die Israelis vorbereitet hatte (Anm. HB: dargestellt in Radu Ioanid, „R²scump²rarea evreilor“, Polirom 2005). Jakober verlangte 400 DM je Auszusiedelndem für seine Kanzlei und das war eine enorm hohe Summe. Lemmer wollte aber auch auf keinen Fall eine Verknüpfung mit der israelischen Aktion. Er fragte mich also, ob ich bereit wäre einen solchen Auftrag zu übernehmen.

Zunächst ging es nur darum zu recherchieren, ob die Nachrichten von Garlepp zutreffend seien, wer auf der anderen Seite stehe und natürlich die Bedingungen. Er müsse sich auf absolute Verschwiegenheit verlassen für den Fall, dass deswegen politische Schwierigkeiten entstünden. Sollte es Probleme geben, würde er alles abstreiten. Ob ich das mitmache? Jawohl, das mache ich mit, hab ich gesagt. Drei Monate später kam die Einladung nach Bonn und meine Beauftragung wurde konkretisiert. Ich war Landtagsabgeordneter, also politisch tätig, erklärte aber, ich nehme einen solchen Auftrag nur unter der Bedingung des deutschen Anwaltsrechtes an, d. h., ich bin in der Ausführung des Auftrages methodisch frei. Ich erfüllte natürlich die mir erteilten Aufträge meiner Mandanten, zu denen ich jederzeit direkten und unangemeldet Zugang verlangte. Zunächst war das der Staatssekretär, später wurden es Minister. Andere Bedingungen kamen erst später dazu, als Geld transportiert werden musste.“

Warum er einwilligte, den risikoreichen Job – zunächst ohne schriftlichen Vertrag und unter strengster Geheimhaltung – anzunehmen?
„Es war ein interessanter Auftrag. Während des Studiums hatte ich die Absicht, mich dem internationalen Recht zu widmen. Damals entwickelte sich das europäische Recht und ich war ein paar Mal in Brüssel, in Paris, in Straßburg gewesen, da fortzusetzen war meine Berufsabsicht. Mir schien der Auftrag als ein Fingerzeig. Dass die Umsetzung risikoreich sein könnte, entnahm ich den Erklärungen Lemmers, dass sie so risikoreich werden wird, habe ich nicht abgesehen und auch nicht richtig eingeschätzt. Zumal ich davon ausging, gut, ich fahre ein-, zweimal hin zu Besprechungen und dann macht das irgendeine Behörde, aber nicht der Anwalt. Es hat sich aber völlig anders entwickelt.“

Warum er nicht ausstieg, als es so risikoreich geworden war?
Dr. Hüsch: „Ich hatte nicht die geringste Vorstellung über die Länge des Auftrages. Ein Risiko war zu Beginn des Jahres 1968 erkennbar, aber nicht in dem Maße, in dem es sich dann später entwickelt hat.“ Und: „Es gibt drei Möglichkeiten auf besondere Ereignisse zu reagieren: erstarren, fliehen, kämpfen. Ich bin für das Kämpfen, nach wie vor.“


TEIL II

TEIL III

TEIL IV