Evangelische Kirche schaut Luther wieder aufs Maul

Der frühere bayerische Landesbischof Dr. Johannes Friedrich über die Revision der Luther-Bibel 2017

Begegnung in der Evangelischen Akademie Siebenbürgen: Pfarrer Ralf Haska, EAS-Vorsitzender Dietrich Galter, Bischof Reinhart Guib, Landesbischof em. Johannes Friedrich, Dorothea Friedrich, Altbischof Christoph Klein, Pfarrerin Daniela Schmid

Martin Luther hat bei seiner Bibelübersetzung ins Deutsche dem Volk aufs Maul geschaut. Er hat damit die deutsche Sprache geprägt wie kein Zweiter. Die Evangelische Kirche hat bei der Neufassung der „Luther-Bibel“ 2017 wiederum Luther aufs Maul geschaut und manche „Verschlimmbesserungen“ oder auch unschöne Sprachanpassungen bei bekannten Texten rückgängig gemacht. Auf diesen Nenner kann man das Projekt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zur Neuausgabe der Luther-Bibel für das Jahr des Reformationsjubiläums 2017 bringen.

Im Rahmen eines mehrtägigen Besuches in Rumänien referierte dazu der frühere evangelische Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Dr. Johannes Friedrich, bei einer Veranstaltung in der Evangelischen Akademie Siebenbürgen (EAS) zu der EKD-Revision der Luther-Bibel, die rechtzeitig zum Reformationsjubiläum 2017 fertiggestellt wurde. Friedrich wurde bei seinem Aufenthalt von einer kleinen Delegation der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern begleitet. So waren auch Pfarrerin Daniela Schmid, Pfarrer Ralf Haska und der frühere Leiter der EAS, Pfarrer Dr. Jürgen Henkel, sowie die Gattin des Bischofs, Dorothea Friedrich, mit von der Partie.

Johannes Friedrich war bis vor Kurzem Vorsitzender der Deutschen Bibelgesellschaft und der Bayeri-schen Bibelgesellschaft. Er hat in den letzten Jahren die Lenkungsgruppe zur Revision der Luther-Bibel auf Ebene der Evangelischen Kirche in Deutschland geleitet. EAS-Vorstandsvorsitzender Dietrich Galter moderierte den Abend. Er betonte: „Wir setzen mit dieser Veranstaltung heute einen wichtigen Höhepunkt in unseren Aktivitäten zum Reformationsjubiläum. Wir unterstreichen damit, wie wichtig die Bibel als Wort Gottes für die Christen ist.“

Der frühere Akademieleiter Jürgen Henkel, der in das Thema und die Vita von Dr. Friedrich einführte, wies darauf hin, dass die Luther-Bibelübersetzung auch weitere Kirchen und Völker inspiriert habe. „Es ist bemerkenswert, dass die rumänische Orthodoxie zeitlich nahe an Luther auch den Bibeltext in der Volkssprache herausgegeben hat. Die orthodoxen Rumänen waren damit nach den Deutschen mit das erste Volk, das die Bibel auch in der Muttersprache lesen konnte. Das hat sehr stark zur tiefen Verwurzelung des Glaubens bei den Menschen beigetragen.“

Bischof Reinhart Guib freute sich über den Besuch des emeritierten Landesbischofs Friedrich und der bayerischen Delegation. Er hielt in seinem Grußwort fest: „Die Bibelübersetzung Luthers hat vieles verändert, im Leben der Kirche, aber auch bis hin zur Sprache.“ Im gut besuchten Festsaal der Evangelischen Akademie berichtete Friedrich anschließend hintergründig und auch humorvoll von diesem Projekt, dessen Anliegen und Ablauf er, mit Fallbeispielen und Anekdoten gespickt, dem Publikum des Abends nahebrachte, darunter auch Altbischof Christoph Klein.

„Luther übersetzte das Neue Testament im September 1522 auf der Wartburg in nur elf Wochen. Das ist für uns, die wir jetzt die Bibel revidiert haben, eine unvorstellbar kurze Zeit. Wir haben fünf Jahre für die Revision gebraucht“, machte Friedrich in der von EAS-Vorsitzendem Dechant Dietrich Galter moderierten Veranstaltung deutlich. Revisionen gehörten nach seinen Worten von Anfang an dazu. Bereits im Dezember 1522 erschien die zweite Auflage mit 200 Änderungen gegenüber der ersten Auflage. 1534 schließlich erschien die erste Gesamtausgabe mit Altem und Neuem Testament. Bis zum Tode Luthers 1546 gab es mehrere Ausgaben seiner deutschen Bibel.

„Der Reformator aus Wittenberg war nicht der erste, der die Bibel ins Deutsche übersetzte. Aber er schuf die erste brauchbare Übersetzung, die genauso bahnbrechend wie sprachprägend wurde“, unterstrich Friedrich. Von „im Schweiße seines Angesichtes arbeiten“ über „seine Perlen nicht vor die Säue werfen“ bis zum „Sondern der Spreu vom Weizen“ reichen die deutschen Redensarten, die aus Luthers Bibelübersetzungen stammen. „Das sind alles Aussagen, die sich in der Bibelübersetzung von Martin Luther finden. Im deutschen Zitatenschatz sind 650 Bibelzitate, alle aus der Lutherbibel“, veranschaulichte der frühere Landesbischof, der selbst promovierter Bibelwissenschaftler ist.

Luther wollte das Evangelium nach eigenen Worten „verdeutschen“ und hat dabei auch Begriffe erfunden: „Luther hat in seiner Bibelübersetzung Worte wie Blutgeld, Bluthund, Menschenfischer, gastfrei, plappern, wetterwendisch, Schafskleid, Freigeist, Lückenbüßer oder Feuertaufe geschaffen“, so Friedrich, der nach seinem Ausscheiden aus dem Bischofsamt noch zwei Jahre in Mittelfranken als Dorfpfarrer wirkte. Nach seinen Worten ist die Luther-Bibel seit Jahrhunderten „die kirchlich anerkannte Übersetzung der Bibel in den evangelischen Kirchen“. Die Autorenrechte an der Luther-Bibel liegen übrigens bei der EKD selbst. Sie gibt die Luther-Bibel auch heraus.

Friedrich ging in seinem kurzweiligen Vortrag auch auf die Notwendigkeit einer einheitlichen Luther-Bibel überhaupt ein. Nachdem bis ins 19. Jahrhundert mehr als zehn völlig verschiedene „Luther-Bibeln“ im Umlauf waren, wurde 1855 von dem Hamburger Pastor Carl Mönckeberg die Forderung nach einem „Einheitstext der Luther-Bibel“ erhoben. 1892 wurde die erste kirchenamtliche Revision abgeschlossen. Eine weitere folgte 1912, Teilrevisionen dann 1956 (Neues Testament) und 1964 (Altes Testament). 1975 gab es eine weitere Revision. „Dabei ging es vor allem um eine Annäherung der Luther-übersetzung an den modernen Sprachgebrauch“, so der Theologe.

Diese Variante von 1975 wurde aber stark kritisiert und zurückgezogen. Der renommierte Sprachexperte und Rhetorik-Professor Walter Jens meinte damals: „Wo Luther die Zitzen raushängen ließ, ist 1975 Flaschenmilch daraus geworden.“ Der Text habe auch zu stark in vertraute Texte wie die Weihnachtsgeschichte eingegriffen. So kam es zu einer Neuausgabe 1984, die bis 2016 gültig war.
Von 2010 bis 2015 hat dann auf Beschluss des Rates der EKD die Lenkungsgruppe an der Revision gearbeitet, nachdem 2006 die Deutsche Bibelgesellschaft eine Revision angeregt hatte. „Als Ergebnis eines entsprechenden Gutachtens rechneten wir mit zwei Änderungen pro Kapitel eines biblischen Buches. Allein beim Römerbrief sind es 560 Änderungen geworden, also nicht nur 32 für die 16 Kapitel des Buches.“ Die Arbeit in der Kommission war ein echter Kraftakt für alle beteiligten 70 Bibelwissenschaftler. „Es gab 44 Sitzungen von jeweils vier bis fünf Tagen. Wir haben über 200 Tage nur an der Revision gearbeitet.“

Die Bilanz kann sich sehen lassen. Von den rund 31.000 Versen des Alten und Neuen Testaments haben rund 12.000 Verse eine Änderung erfahren, also knapp 40 Prozent. Doch Friedrich gibt auch „Entwarnung“: „Die Intensität der Veränderungen ist sehr unterschiedlich, von geringfügigen Anpassungen in der Zeichensetzung über den Austausch einzelner Wörter bis hin zur vollständigen Neuübersetzung einzelner Verse. Die Eingriffe in den Text erfolgten behutsam und in den meisten Fällen nur punktuell“, betonte Friedrich. In manchen Fällen habe man auch festgestellt, dass die originalen Luther-Übersetzungen korrekter gewesen seien als spätere Anpassungen.

Laut dem Bibelwissenschaftler Friedrich sei es auch ausdrückliches Ziel gewesen, entgegen mancher Sprachverflachung in den bisherigen Revisionen dem „original Luther-Sound“ wieder näher zu kommen. So ist die Weihnachtsgeschichte beispielsweise nun wieder in der Form zu lesen, wie sie Johann Sebastian Bach in den Stücken seines Weihnachtsoratoriums rezitiert hat. Die Kriterien, nach denen die Revision erfolgte, fasste der frühere Landesbischof mit den Worten zusammen: „Es geht um Treue zum Urtext, Treue gegenüber Luthers Übersetzung im vertrauten Klang sowie liturgische Brauchbarkeit. Der Text muss lesbar, memorierbar und hörbar bleiben. Ausdrücklich nicht vorgesehen war die Anpassung an modernes Deutsch.“