Fachtagung mit Lesungen und Vorträgen in Bad Kissingen

Franz Hodjak

Dr. Peter Motzan

Dieter Schlesack

Frieder Schuller
Fotos: Elke Sabiel

Vom 16. bis zum  18. November fand in der seit 60 Jahren in Bad Kissingen bestehenden Bildungsstätte „Der Heiligenhof“  eine vielbeachtete Fachtagung über „Die Rumäniendeutsche Literatur in der Bundesrepublik Deutschland“  statt. Organisiert vom „PEN-Zentrum e.V.  - Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder“ , waren zahlreiche Siebenbürgische und Banater Schriftsteller aus den verschiedenen Bundesländern und aus dem Banat angereist, um mit Lesungen und Vorträgen die gut 30 Teilnehmer mit der Rumäniendeutschen Literatur heute, und ihrer Rezeption in der Bundesrepublik Deutschland und in Rumänien, vertraut zu machen.

 Der Vortrag „Vom erzwungenen Abschied zur schwierigen Ankunft. Wegstrecken, Stationen und Diskursformen der Rumäniendeutschen Literatur  – 1950-2000“ von Prof. h.c. Dr. Peter Motzan, Jg.1946, Augsburg, bot den Rahmen, um die Entwicklung dieser ‚Insel Literatur, die sich einer großen Sprache bedient’ nachzuvollziehen. Laut Motzan  war sie in den 20er Jahren eine ‚Literatur der Regionen’, die sich nach dem 2. Weltkrieg zu einer ‚Literatur des doppelten Randes’ entwickelte, da fremdbestimmt und sie sich darüber hinaus mit Selbstzensur und Verlagszensur auseinandersetzen musste.

Insbesondere in der Zeitspanne 1949-1989 alternierten „Eiszeit“ mit „Tauwetter“, wobei sich die Rumäniendeutsche Literatur durch ein Versäumnis der kommunistischen Diktatur am Leben hielt, da diese, gemäß des 48er Gesetzes, den Rumäniendeutschen nicht nur gleiche Rechte und Pflichten einräumte, sondern ihnen auch ihre Sprache beließ.
Ist der Begriff „Rumäniendeutsche Literatur“ über 1989 hinaus noch zutreffend?

Der Begriff signalisiert den Zwang, sich nicht nur mit ihr auseinander zusetzen, sondern auch  mit einem ‚Komplex der Minderheit, dem Komplex einer minderen Bedeutung’. Die Schriftsteller jener Jahre sind z.T. miteinander verbunden, haben Gemeinsamkeiten, aber zeitigen auch ideologische, moralische und ästhetische Gegensätze. Denn es darf nicht vergessen werden, dass es bis 1918 zwischen dem Banat, Siebenbürgen, der Bukowina, dem Altreich, kaum kulturelle Verbindungen gab.

Der Obertitel unserer Tagung „Heimat – gerettete Zunge“  war für den Banater Schriftsteller und Journalisten Franz Heinz, Jg.1929, Düsseldorf, in seinem Vortrag „Die Wiederentdeckung der Innerlichkeit in ‚Die deutsche Seele’ und ihre Rezeption in der bundesdeutschen Öffentlichkeit“,  Anlass, einige der Beiträge des Autorenduos: Thea Dorn/Richard Wagner näher zu erläutern.

Richard Wagner schreibt über „Heimat“, und stellt einen konkreten Bezug zu dem Dorf her, wo er lebte; es sind kleine Streiflichter: zur Schule, zum Lattenzaun, zum Hohner-Akkordeon. Wagners Beitrag endet mit dem Satz: Heimat ist eines der schönsten Wörter der deutschen Sprache. Thea Dorn schreibt über „Vater Rhein“,  – eine Verbindung von Legende und Banalität? Das Buch ist eine hervorragende Dokumentation, ein unterhaltsames Buch, welches monatelang auf den Bestsellerlisten stand! Es will nicht belehren, aber die Autoren führen den Leser doch dahin, wohin sie wollen: Sie haben sich an die große Kulturgeschichte angelehnt, und beschreiben für uns die Alltagskultur   –   wo auch der Sport seinen Platz hat.

„Mein Name ist ein einsamer Koffer auf dem Literaturbahnhof“ : Der Schriftsteller und Filmemacher Frieder Schuller, Jg.1942 überraschte den Teilnehmerkreis mit Auszügen aus seinem Theaterstück „Ossis Stein oder Der werfe das erste Buch“, welches am 7. November in Hermannstadt/Sibiu uraufgeführt wurde. Schuller, ein langjähriger Freund von Oskar Pastior, versteht sein Theaterstück zum einen als eine Verteidigung des Dichters, zum anderen als einen Beitrag zur Diskussion um die ‚Securitate-Mitarbeit’  Pastiors.

Dessen Decknamen‚ IM Stein Otto’  nimmt er als Titel seines Stücks. Leider wurde das Stück nicht  – wie sonst üblich –  von der deutschen TV-Sendung aufgezeichnet, was wohl kaum mit den eingeführten Sparmaßnahmen beim Rumänischen Fernsehen erklärt werden kann, sondern wohl eher mit den Enthüllungen der Tageszeitung ‚Evenimentul Zilei’. Es bleibt daher zu hoffen, dass  diese Inszenierung auch auf anderen Theaterbühnen Rumäniens zur Aufführung kommen wird.

Eine Bereicherung stellten die zahlreichen Lesungen der anwesenden Autoren dar: Hans Bergel, Jg. 1925, vorgestellt von Frau Dr. Renate Windisch als  ‚Grandseigneur der Rumäniendeutschen Literatur’, las aus seinem Prosawerk, gefolgt von Horst Samson, Jg. 1954, der aus seinem reichhaltigen Lyrikschatz vortrug.

Franz Hodjak, Jg. 1944, einer der sprachgewaltigen Schriftsteller Siebenbürgens, der erst 1992 in die Bundesrepublik übersiedelte, ergänzte den Begriff Heimat mit einigen Gedichten. Auf Nachfrage wies er darauf hin, dass zu  Weihnachten ein neuer Gedichtband von ihm vorliegen wird.
 „Sprich nicht durch die Blume: sie könnte dich verraten“: Wir hörten Lyrik von Hellmut Seiler, Jg. 1953, und Ilse Hehn. Während Johann Lippet, Jg. 1951, aus seinem neuen Roman ‚Bruchstücke aus erster und zweiter Hand’ vortrug. Balthasar Waitz Jg. 1950, las einige seiner humorvollen Geschichten aus dem 2011 erschienenen Band ‚Krähensommer und andere Geschichten aus dem Hinterland’, sehr zur Freude unserer Lachmuskeln!

Der Präsident des Exil-P.E.N, Prof. Wolfgang Schlott, moderierte die Lesung von Dieter Schlesak, Jg. 1934, dessen Buch ‚Capesius, der Auschwitzapotheker,’ seit dem Erscheinen 2006, in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde, zuletzt ins Hebräische. Schlesak ist nicht nur ein exzellenter Erzähler, sondern er übersetzte auch 29 Titel aus dem Rumänischen ins Deutsche. Dann überraschte er die Runde mit Reflexionen und der Erkenntnis, dass ‚das Alter nicht nur weise mache’, sondern auch ‚den Blick auf Religion und Esoterik öffne’.

Leider konnte Ingmar Brantsch, Jg.1940, Köln, aus gesundheitlichen Gründen an der Tagung nicht teilnehmen, sodass statt seiner, Peter Motzan auf einen Beitrag zu dem Thema ‚Rumäniendeutsche Literatur – eine Erfolgs-, eine Endzeitgeschichte?’ zurückgriff. Die ‚Erfolgsgeschichte der 70er Jahre’, wandelte sich in den 80ern zu einer Abschiedsgeschichte. Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass das GOETHE - Institut ein Mosaikstein der Kommunikation in den 80er Jahren war!

Zur gleichen Zeit erleben wir in der BRD einen Höhepunkt der Rezeption dieser Rumäniendeutschen Literatur. Als Auslöser kann sowohl die Rumänienreise des Schriftstellers F.C. Delius genannt werden, der in einem SPIEGEL - Artikel auf die Rumäniendeutsche Literatur und den modernen Ton der jungen Schriftsteller aufmerksam machte, als auch das Erscheinen des Prosabands ‚Niederungen’ von Herta Müller.

Die Rumäniendeutschen Autoren haben in ihrem Reisegepäck in das Land ihrer Muttersprache nicht nur ihre Erfahrungsgeschichte mitgebracht, sondern auch den ‚fremden Blick’ (Herta Müller) auf das neue Lebensumfeld. Ebenso eine gewisse Erwartungshaltung, so nachzulesen im ‚Ausreiseantrag’ und ‚Begrüßungsgeld’ von Richard Wagner. Aber die Rumäniendeutsche Literatur lebt nicht nur durch die Sesshaftigkeit der älteren Schriftsteller in Rumänien weiter, sondern auch durch zahlreiche Versuche jüngerer Autoren des Literaturkreises ‚Stafette’. Da werden uns Einzelerscheinungen mit Sicherheit noch überraschen!

Gerhard Ortinau, Jg. 1953, der ebenso wie Horst Samson im Bărăgan geboren wurde und Gründungsmitglied der Aktionsgruppe Banat war, deckte in seinem Prosatext ‚Wehner auf Öland’ die Janusköpfigkeit und spätere Bewusstseinsspaltung an der Persönlichkeit Herbert Wehners (1906 – 1990) auf. Der von der Alzheimer Krankheit betroffene Wehner horcht auf seinen ‚Geschichts - Tinnitus’ und versucht, in immer neuen An- und Leerläufen den Zusammenbruch seiner Persönlichkeit hinauszuschieben.

Vorgeblich Politisches verwandelt sich in Menschlich-Katastrophales. Unerträglich klare Fratzen: – Genscher, Brandt, Dimitroff, Thälmann, Stalin. Wehner jagt sich durch die Zeit, aber nichts wird gut. ‚Ich, der jämmerliche Rest der Konspiration klaffe sozusagen aus dem Kopf’  – noch im Zerbrechen gerät ihm die Sprache zur Kunst. Dieser Monolog, die Phasen des Sprachzerfalls im Zuge der Alzheimer Krankheit, steht im Henschel Verlag als sogenanntes Rollenbuch für die Bühne zur Verfügung. Es war keine leichte Kost, die uns Ortinau bot.

Der Exil-P.E.N. scheute keine Mühen, um dem Teilnehmerkreis einen Ausblick auf die Rumäniendeutsche Literatur „heute und morgen“ zu bieten. Allerdings zeigte sich auch bei dieser Tagung, dass die Diskussionen wieder einmal viel zu kurz kamen. Merke: Manchmal ist weniger mehr!