Faksimile-Ausgabe von „Deliberatio“ des heiligen Gerhard erschienen

ADZ-Gespräch mit dem emeritierten Bischof von Temeswar, Dr. h.c. Martin Roos

Dem emeritierten Bischof der Römisch-Katholischen Diözese Temeswar, Dr. h.c. Martin Roos, ist es zu verdanken, dass ein Faksimile des Werks des heiligen Gerhard „Deliberatio“ in diesem Jahr erscheinen konnte.
Foto: Zoltán Pázmány

Der heilige Gerhard auf einer Abbildung aus dem 14. Jahrhundert Quelle: Diözesanarchiv Temeswar

Die erste Seite des Werks „Deliberatio“, das in der Baye-rischen Staatsbibliothek aufbewahrt wird. Quelle: Bayerische Staatsbibliothek München

Das bekannteste und zugleich das einzige Werk des heiligen Gerhard, das sich vollständig bis heutzutage erhalten hat, betitelt sich „Deliberatio Gerardi Moresenae aecclesiae episcopi supra Hymnum trium puerorum ad Isingrimum liberalem“. Seit seiner Entdeckung im Jahr 1724 wurde das Manuskript mehrmals vervielfältigt und von zahlreichen Forschern untersucht. Die erste Auflage war jene, die von dem siebenbürgischen Bischof Ignatius Batthyány in Karlsburg/Alba Iulia 1790 veröffentlicht wurde. Das 990-jährige Jubiläum seit der Gründung der Tschanader Diözese steht im Jahr 2020 an. Anlässlich des Jubiläums gelangte das Werk des heiligen Gerhard erneut in den Fokus und wurde als Faksimile unter der Ägide der drei Schwesterdiözesen, Temeswar, Segedin-Tschanad/Szeged-Csanád in Ungarn und Großbetschkerek/Zrenjanin in Serbien auf Initiative des emeritierten Bischofs von Temeswar, Dr. h.c. Martin Roos, herausgegeben. In einem Gespräch mit Enikö Sípos und Dr. Claudiu Călin erzählt Altbischof Roos, wie es zur Veröffentlichung der Reproduktion gekommen ist und welche Bedeutung das Werk des heiligen Gerhard heutzutage hat.

Auf Ihrem Schreibtisch befindet sich heute, in Leder gebunden, das Werk des heiligen Gerhard. Der Band soll am 27. November in Temeswar vorgestellt werden. Wurde bisher schon mal ein derartiges Faksimile gedruckt?
Dies ist das erste Faksimile dieser Art des Werks des heiligen Gerhard. Diese Reproduktion kam mit Hilfe der modernen digitalen Technik zustande und ist die getreue Wiedergabe des Originalwerks. Ein ähnliches Faksimile ist bisher nicht erschienen. Herausgegeben wurde der Band von den drei Nachfolgediözesen der alten Tschanader Diözese, mit dem Ziel, die Tätigkeit, Persönlichkeit und Epoche unseres allerersten Bischofs allen inte-ressierten Menschen und den Forschern näherzubringen. Das Faksimile wurde in der Pytheas-Manufaktur in Budapest, Ungarn, gedruckt. Es umfasst u. a. auch die Randnotierungen, die im Laufe der Zeit auf dem Manuskript vorgenommen wurden, und es trägt auch die Stempel und Aufkleber der Bibliotheken, die es im Laufe der Jahrhunderte beherbergten.

Wie ist es zu diesem Band gekommen?
Seit den Jahren, als ich Kaplan war, also in den 1970er Jahren, besuchte ich renommierte Bibliotheken und mein Interesse galt dabei insbesondere den Kodex-Sammlungen aus dem Mittelalter. In jenen Jahren habe ich mehrere Studien hinsichtlich dieser Manuskripte unternommen. Gleichzeitig begann ich, das Leben und Werk des heiligen Gerhard zu studieren. Ich finde,  jetzt, da wir uns dem 990-jährigen Gründungsjubiläum unserer Diözese nähern, ist es nicht nur unsere Pflicht, unserem ersten Bischof eine Hommage zu widmen, sondern diese Initiative gilt auch als persönlicher Dank an den heiligen Gerhard für sein Werk. Ich begann also, in diesem Sinne nach Möglichkeiten zu suchen. In erster Linie habe ich deutsche und Schweizer Verlage besucht, doch diese konnten unser Vorhaben leider nicht umsetzen. Ich stieß dann auf die Manufaktur und den Verlag Pytheas in Budapest, und meines Erachtens haben sie eine anspruchsvolle und schöne Arbeit geleistet. Für die Herausgabe benötigten wir das Einverständnis der Bayerischen Staatsbibliothek München, wo der Kodex aufbewahrt wird. Hier wurde das Projekt mit viel Freude und Offenheit aufgenommen. Mehr noch – etwas, worauf ich gar nicht gehofft hatte: Die Bibliotheksleitung hat mir versprochen, dass zur geplanten Jubiläumsausstellung im Jahr 2020 in Temeswar sie uns das einzige Exemplar des Werks des heiligen Gerhard, das sich als Kodex erhalten hat, ins Banat schicken werden. Dieses Exemplar wurde bereits in Wien und Budapest ausgestellt, aber bisher noch nie in Temeswar.

Wie lebendig ist heutzutage noch das Interesse für das „Deliberatio“ und das Faksimile, das in diesem Jahr herausgebracht wurde?
Der Vertrag mit der Baye-rischen Staatsbibliothek ermöglicht uns, 500 Exemplare zu drucken, aber wir haben uns momentan auf 135 beschränkt, wovon ungefähr 35 in Leder gebunden sind, und die anderen mit einem Pappdeckel versehen sind. Meine bisherige Erfahrung zeigt, dass wir das Interesse mehrerer Institutionen wecken konnten, wie etwa Universitäten, Theologie-Fakultäten, Bibliotheken und interessierte Einzelpersonen. In erster Linie haben die Bischöfe aus Ungarn, Serbien und Rumänien diese Auflage mit Freude begrüßt. Es gibt ein großes Interesse auch seitens Personen aus anderen Bereichen, wie z. B. Geschichte, Theologie und Philologie. Das Werk „Deliberatio“ des heiligen Gerhard bringt uns durch sein Erscheinungsjahr (zirka 1040) und den Erscheinungsort (Morisena/ Moresena) die Bedeutung des Bischofssitzes Tschanad als religiöses, kulturelles und Bildungszentrum näher. Wir dürfen nicht vergessen, dass hier eine Bibliothek in Betrieb war, vom heiligen Gerhard selbst gegründet, der, nachdem er zusammen mit seinen zehn-zwölf Benediktinern in diesem Landesteil angekommen war, selbst Predigten (im Jahr 1910 wurden in Frankreich Fragmente von Mariannenpredigten, die der heilige Gerhard verfasste, entdeckt) und verschiedene andere Werke schrieb, um seinen Klerus, der sich gerade herausbildete, zu unterstützen. Er verschaffte aber auch Bücher aus dem Westen des europäischen Kontinents. All das sind Beweise dafür, dass der Bischof Gerhard eine Leitfigur seiner Zeit gewesen ist. Das Werk sagt vieles über die Tätigkeit des Autors aus, einen Kleriker mit bemerkenswerter Bildung, über seine Denkweise bzw. über die politische und soziale Situation jener Zeiten. Bekannt sind Bücher mehrerer Bischöfe aus dem Mittelalter, aber ein ähnliches Werk wie jenes des heiligen Gerhard kann in dieser Ecke Europas nicht gefunden werden.

Was steht bei der Buchvorstellung auf dem Programm?
Das Ereignis findet am 27. November, um 11 Uhr, im Karl-Singer-Saal des Adam-Müller-Guttenbrunn-Hauses statt. In der Begrüßung spricht Bischof József Csaba Pál. Anschließend werden mehrere Referate zum Werk des heiligen Gerhard gehalten, wobei zu den Gästen u. a. Dr. Doina Hendre-Biro, die ehemalige Leierin der Batthyaneum-Bibliothek aus Karlsburg, und Dr. Claudiu Teodor Arieșan von der West-Universität zählen. Gleichzeitig wird im Foyer des AMG-Hauses eine thematische Ausstellung mit drei Sektionen eröffnet. In den drei Vitrinen werden Werke zum Leben und Wirken des heiligen Gerhard, zu seinem Werk „Deliberatio“ und zur Geschichte unserer Diözese ausgestellt.

(Das Gespräch wurde von ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu ins Deutsche übertragen.)