Feiner Zwirn und große Stoffauswahl

In Hermannstadt betreibt Rentnerin Elisabeta eine vielgesuchte Änderungsschneiderei

An der Kasse des Tante-Emma-Ladens Emiteo S.R.L. in der Hermannstädter Unterstadt gibt es all die Sorten an Knöpfen, die man woanders bestimmt vergeblich sucht.

„Da müssen Sie nachher beim Annähen des Knopfes mit der Nähmaschine höllisch aufpassen, sich nicht in den Finger zu schneiden!“, berät Verkäuferin Elisabeta Ghiță eine Kundin.

Die randvoll mit Stoffen und Materialien gefüllten Regale der Änderungsschneiderei von Elisabeta Ghiță stehen in einem jahrhundertealten Haus mit mittelalterlich gewölbter Zimmerdecke. Fotos: der Verfasser

Die Tage zünftigen Stoffhandwerks scheinen gezählt. In einer Stadt wie Hermannstadt/Sibiu, wo man seinen Alltag als Fußgänger noch recht gut meistern kann, spürt man es deutlich: Irgendwann ist das zu einem kostengünstigen Erzeugerpreis erworbene Paar Markenschuhe durchgelaufen. Abgewetzte Profilsohlen und offene Nähte können eigentlich ersetzt oder mit handwerklichem Geschick geflickt werden. Doch ist die Auskunft nach einer Schuster-Adresse im Handumdrehen mit einem Nein beantwortet, denn auch letzte Werkstätten wie das Atelier „La pantoful uriaș“ (Zum großen Schuh) in der Quergasse/Str. Tribunei haben die fett gedruckte Information „Nu mai executăm reparații“ an der gläsernen Eingangstüre kleben - Wir nehmen keine Schuhreparaturen mehr vor.


Frische Brandsohlen im alten Schuh oder passgenaue Vibram-Sohlen auf ausgelatschten Bergtretern sind längst passé. Stattdessen ist es denkbar einfach, bequem im Internet einzukaufen. Wer seine Schuhgröße genau kennt, braucht oft gar nicht mit dem Auto zum Großhändler in den Einkaufstempel am Stadtrand zu fahren.

Was aber, wenn man einen zusätzlichen Knopf mit entsprechendem Knopfloch am Hemd haben möchte? Oder das gute Essen ein paar Jahre nach Berufseinstieg zwei oder drei Zentimeter mehr Platz in der Hose braucht? Selbstverständlich kann man daheim mit der eigenen Nähmaschine ans Werk gehen. Aber selbst wenn noch so ein Gerät zuhause steht, ist es einladender, für ein paar Lei in der Unterstadt fündig zu werden. Seit 1994 betreibt die gelernte Produktgestalterin Elisabeta Ghiță in der Schmidtgasse/str. Faurului 9 Hermannstadt eine Kurzwarenhandlung und Änderungsschneiderei.

Wer den halbdunklen und bis an die Zimmerdecke mit Stoffwaren prall gefüllten Innenraum der GmbH „Emiteo S.R.L.“ betritt, wird mit einem leicht nörgelnden „Ich komme sofort“ begrüßt. Sekunden später hechtet die rundliche Geschäftsinhaberin Elisabeta aus dem Hinterzimmer an die Ladentheke, um ihre Kunden in Windeseile zu bedienen. Wer sich an dieser Kasse einen gemütlichen Smalltalk erlauben darf, gehört zur Stammkundschaft.

Schnürsenkel, Haarspangen, Knöpfe in allen Farben und Größen, unterschiedlich breite Bänder, Meterware und vieles mehr kann man hier kaufen. Außerdem liegen große Stoffballen in unterschiedlichen Farbtönen bereit. Eines dieser Highlights ist ein matt strahlendes und abriebfestes Lila, das sich sehr gut für Sitzkissen und Polster eignet. Man braucht nur ganz genau zu wissen, welche Maße man für sein Wohnzimmer oder die Küche benötigt. Aber wehe, man erscheint unvorbereitet an der Ladentheke und druckst während des kurzen Gesprächs mit Elisabeta Ghi]˛ herum. „Sie müssen schon selber Bescheid wissen, was Ihnen ins Konzept passt, ich führe es nur aus“, so die seit dem Jahr 2000 als Rentnerin erwerbstätige Handwerkerin.

Die stets eilige Geschäftsführerin der Emiteo S.R.L. nach ihrem genauen Alter zu fragen, ist natürlich zu voreilig. Dafür aber erzählt Elisabeta Ghiță davon, dass sie sofort nach Abschluss des Hermannstädter Gheorghe-Lazăr-Gymnasiums für die Dauer von drei Jahren eine Abendschule besucht habe, wo sie zur Produktgestalterin ausgebildet wurde. 35 Jahre lang hat sie mit diesem Beruf das Auskommen für sich und ihre Familie bestreiten können. Nach der Wende des Winters 1989/90 streckte auch sie ihre Fühler nach einer Möglichkeit zur beruflichen Verselbstständigung aus. Es folgte eine Anstellung bei der lokalen Kooperative „Timpuri Noi“ (Neue Zeiten), wo sie als Abteilungsleiterin die handwerkliche Tätigkeit von 50 ihr direkt unterstellten Personen koordinierte. Vier Jahre später erfüllte sich ihr Traum vom eigenen Geschäft, wofür sie das zur Straßenseite gerichtete Erdgeschoss in der Schmidtgasse 9 kaufen konnte. Die letzte Neuerung hat ihren Alltag erheblich erleichtert, da Elisabeta Ghiță seit kurzer Zeit auch Eigentümerin des ersten Stocks desselben Hauses in der Unterstadt ist und somit direkt über ihrer Werkstatt wohnt. Anders als während der langen Jahre davor muss sie nicht mehr den täglich langen Weg vom Mihai-Viteazu-Boulevard bis in die Schmidtgasse auf sich nehmen.

Elisabeta Ghiță tut ihre Arbeit nicht alleine. Meist sitzt sie mit einer etwa gleichaltrigen Freundin am Handwerkstisch im Hinterzimmer des Ladens. Selbstverständlich sind beide Damen sehr geschickte Schneiderinnen, die alles sauber hinbekommen, wofür man selbst keine Zeit und Muße aufbringt. Man darf ruhig auch mal mit einem viele Quadratmeter großen Fenstervorhang daherkommen, der einen neuen Saum braucht, aber auch eine Abend-robe oder einen schwarzen Anzug für Änderungen oder Ausbesserungen mitbringen. Nicht zuletzt hält Elisabeta Ghiță ständig Materialien und Meterware bereit, die es nirgendwo sonst in der Stadt gibt: eine Art weißen, groben und feinmaschigen Verbandsstoff, der unter anderem auch als Filter für die Herstellung von Molkenkäse verwendet wird. Selbstredend, dass im kleinen Lagerraum nebenan auch Wollknäuel in zahlreichen Farben das Herz jedes strickenden Menschen höher schlagen lassen. Zwar sind es nur bescheidene Acrylfasern, aber doch ansprechend bunt zum Anfassen und Mitnehmen.

Von außen erweckt der Laden der Emiteo S.R.L nicht vordergründig den Anschein eines besonderen Geschäftes, wo man vieles erstehen und bestellen kann, was an anderen Orten nicht mehr zu haben ist. Noch sind die Straßenzüge der Unterstadt in Nähe zum Hermannstädter Zibinsmarkt eine zweischneidige Visitenkarte der Europäischen Kulturhauptstadt des Jahres 2007. Im Mittelalter war es üblich, Wohnhäuser direkt und ohne kräftige Fundamente in den lockeren Boden hineinzubauen. Die Folgen davon sind bis heute erkennbar, denn an den Außenwänden jedes dritten oder sogar zweiten Hauses der Unterstadt sind große Feuchtigkeitsflecken zu bemerken. Flanierenden Touristen fällt dies wahrscheinlich nicht auf. Stadtbewohner jedoch, die hier täglich unterwegs sind, freuen sich darüber, dass jährlich ein paar weitere Häuser gründlich saniert werden. Die steilen Dächer werden nach und nach mit neuem Ziegelmaterial gedeckt, und auch dem oft begegneten Feuchtigkeitsproblem wird mit fachmännisch angelegten Drainagen vermehrt abgeholfen.

Vielleicht erlebt Hermannstadt durch die Aufbesserung der Infrastruktur in der Unterstadt sogar das unverhoffte Glück, dass die in diesem Viertel nach wie vor gültigen Straßenbezeichnungen - Maurergasse/str. Zidului, Bindergasse/str. Dogarilor, Webergasse/str. Pânzarilor, Lederergasse/str. Pielarilor, Schneidergasse/str. Croitorilor - ihre namentliche Zuordnung erneut beweisen. Eine Vorstellung, die sich zwar wie aus den Sternen gegriffene Zukunftsmusik anhört, aber den Blick auf die Wichtigkeit öffentlicher Unterstützung für Klein- und Privatunternehmen lenken kann.

Das linke Nachbarhaus des Kurzwarenladens „Emiteo S.R.L.“ scheint nur noch der gute Wille zusammenzuhalten. Elisabeta Ghiță hingegen ist glückliche Bewohnerin einer Immobilie, die von einem funkelnagelneu gedeckten Dachstuhl geschützt wird.

An einem gewöhnlichen Wochentag scheint sich der Publikumszulauf in ihrem Laden in Grenzen zu halten. Just aber am Nachmittag des Foto- und Gesprächstermins für die Zeitungszwecke der ADZ wird die Eingangstüre zur Änderungsschneiderei fast minütlich von zahlreichen Kundinnen und Kunden geöffnet. Ungünstig für den neugierigen Verfasser dieses Berichtes, aber eine willkommene Nachfrage bei Elisabeta Ghiță, die sich nachmittags um 17 Uhr vor lauter Arbeit und Kundschaft den Feier-abend mehr als verdient hat. Auf die letzte Frage nach einer eventuellen Geschäftsübernahme durch jüngere Berufstätige antwortet Projektgestalterin Elisabeta flugs und optimistisch, dass Tochter und Sohn bereit wären, sich der 1994 gegründeten GmbH anzunehmen. Die Frage nach den Namen der erwarteten Geschäftsführer verkneife ich mir, doch liest sich der Name „Emiteo“ wie ein Indiz für eine eventuelle Hermannstädter Familiengeschichte im Berufszweig des Handels mit feinem Zwirn und Handwerksgeschick.