Fernarbeit: Isolation für Menschen mit Behinderung?

Arbeitsgesetz und Eilverordnung 60 sorgen für Unzufriedenheit in Rumänien

Anfang August wurde die Gesetzesvorlage für Fernarbeit in Rumänien verabschiedet. Angestellte dürfen somit zu Hause oder an einem anderen Ort außerhalb des Gebäudes des Arbeitgebers arbeiten. Die Fernarbeit oder Teleheimarbeit, zu Englisch auch „Teleworking“ oder „Homeoffice“ genannt, kann infolge einer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber mindestens einmal im Monat oder gar permanent erfolgen. Die Arbeitsergebnisse werden dabei über digitale Kanäle übermittelt. Dazu werden häufig Kommunikationsgeräte, wie Computer und Smartphones, genutzt. Internetanschluss und elektronische Geräte müssen laut Gesetzentwurf vom Arbeitgeber gesichert werden. Dieses Konzept gibt es schon in den meisten europäischen Ländern und wird in Rumänien bei multinationalen Konzernen bereits seit einigen Jahren angewandt.

Die Telearbeit kann nur freiwillig ausgeübt werden und wird durch einen individuellen Arbeitsvertrag geregelt. Der Arbeitnehmer kann aber nicht an jedwedem Ort arbeiten – die Arbeitsstelle muss vom Arbeitgeber genehmigt werden. Die Gesetzesvorlage soll dem Parlament zur Beratung und anschließenden Verabschiedung übermittelt werden.
„Ein solches Gesetz ist sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer willkommen. Die Miet- und Nebenkosten eines Arbeitsplatzes werden so vermindert, auch am Treibstoff wird gespart. Was die Arbeitnehmer angeht, werden sie Geld und Zeit für den Weg zur Arbeit sparen und sie haben dabei die Freiheit, sich einen angenehmen Platz für ihren Dienst auszuwählen“, war seitens der rumänischen Arbeitsministerin Lia Olguţa Vasilescu (PSD, früher Großrumänienpartei PRM) zu hören. Dabei betonte die Arbeitsministerin auch, dass dieses neue Gesetz vor allem zugunsten der Personen mit Behinderung entstanden sei. „Diese Menschen sollen dadurch leichter angestellt werden können als bisher“, sagte Ministerin Vasilescu.

Die Menschen mit Behinderung sind aber anderer Meinung. Die Fernarbeit würde allein für mehr Isolation unter diesen Personen sorgen, ist Raluca Popescu, Stadträtin in Temeswar seitens der Partei der Volksbewegung (PMP), überzeugt. Die junge Frau sitzt selber seit ihrer Kindheit in einem Rollstuhl und vertritt im Temeswarer Kommunalrat die Rechte der Personen mit Behinderung. „Für Arbeitgeber ist dies bloß eine Erleichterung: Sie müssen ihre Arbeitsstellen nicht mehr für diese Mitarbeitergruppe zugänglich machen, also behindertengerecht gestalten. Die neue Gesetzesvorlage bedeutet keine Inklusion und gleichzeitig auch keine Teilnahme am Gesellschaftsleben für uns“, sagt die Temeswarer Stadträtin Raluca Popescu.

Dies ist aber nicht die einzige Unzufriedenheit der Menschen mit Behinderung in Rumänien. Auch die Eilverordnung 60, die eine Änderung der Gesetzgebung zum Schutz und zur Förderung der Rechte der Menschen mit Behinderung bewirkt, sorgt für steifen Gegenwind. Die Gesetzesnovellierung sieht vor, dass öffentliche und private Institutionen mit über 50 Mitarbeitern, die keine vier Prozent Personen mit Behinderung beschäftigen wollen, was laut Gesetz verpflichtend ist, dem Staat eine doppelte Gebühr bezahlen müssen. Diese Gebühr wird dem Brutto-Mindestlohn gleich sein und muss für jede Person, die nicht beschäftigt wird, beglichen werden. Das bisher gültige Gesetz sieht vor, dass der Arbeitgeber im Falle, dass er keine Menschen mit Behinderung anstellen will, dem Staat 50 Prozent des rumänischen Mindestlohns für jede nicht angestellte behinderte Person begleichen muss. Er hat noch, als Alternative, die Möglichkeit, die geschuldete Summe für Produkte und Dienstleistungen, die von Menschen mit Behinderung geleistet werden, auszugeben. Nun soll diese Möglichkeit durch die neue Eilverordnung abgeschafft werden. Unternehmen sollen allein den Brutto-Mindestlohn dem Staat begleichen müssen. Vertreter verschiedener autorisierter Produktionseinheiten, die Behinderte und Personen mit besonderen Bedürfnissen beschäftigen, befürchten nun, dass rund 2000 Menschen, die in solchen speziellen Produktionseinheiten beschäftigt waren, ihren Arbeitsplatz verlieren werden.

„Der Staat hat die leichtere Variante in Betracht gezogen: Sich mit Geld loskaufen, wobei niemand weiß, wohin das Geld dann gelenkt wird. Aufgrund einer oberflächlichen Nachrechnung bedeutet das an die 500 Millionen Euro – Mittel, die theoretisch jährlich in den rumänischen Haushalt fließen werden“, heißt es in der Pressemitteilung des Verbands für regierungsunabhängige Sozialdienste in Rumänien. Durch diese Eilverordnung werden vor allem Leute mit schwerer Geistesbehinderung keine Chance auf dem Arbeitsmarkt mehr haben, unterstreicht auch die Direktorin der „Pentru Voi“-Hilfsorganisation für geistig behinderte Erwachsene in Temeswar. Das rumänische Arbeitsministerium widerspricht aber allen Vorwürfen und ist der Meinung, dass Eilverordnung und Gesetzesänderungen die Arbeitsmöglichkeiten dieser Menschen fördern werden. Argumente zu dieser Behauptung bringt das Ministerium nicht vor.