Fokus auf den Banater Klapperstorch

Webcams ermöglichen Einblick in das Vogelleben / Der Deutsche Peter Trendler hat eine Statistik der Billeder Störche aufgestellt

Cristian Ilea ist Wildlife-Kameramann. Es war seine Initiative, das Leben der Banater Weißstörche per Webcam live im Internet zu übertragen.
Foto: privat

Peter Trendler verfügt nicht nur über eine genaue Statistik der Billeder Weißstörche, sondern hat auch zahlreiche Artikel über Störche im Allgemeinen aufbewahrt.

Der Banater Klapperstorch auf einem Feld bei Billed

Der Forumsvorsitzende Adam Csonti hat in diesem Jahr selbst die Storchennester aus seiner Heimatgemeinde gezählt.
Fotos (3): Zoltán Pázmány

Ein leichter Wind streift Lili über die Federn. Sie sitzt ruhig in ihrem Nest, kratzt sich ab und zu mit ihrem Schnabel die Brust. Lautes Vogelgezwitscher, Hundegebell und der Lärm der vorbeifahrenden Autos scheinen Lili überhaupt nicht zu stören. Plötzlich steht sie auf, reckt ihre Glieder, biegt mit dem langen, roten Schnabel ihre Flügelfedern zurecht und wartet. Auf wen wohl? Mit lautem Geklapper kommt er an: Es ist Dodo, der männliche Storch, der von der Futtersuche heimgekehrt ist. Nach einem kurzen Ritual, in dem die Störche klappernd ihre Köpfe weit zurückwerfen, herrscht wieder Ruhe im Nest. Lili und Dodo, die beiden Weißstörche, setzen sich.

Das Storchennest in Mercydorf/Carani, etwa 20 Kilometer von Temeswar/Timişoara entfernt, ist eines der fünf Storchennester im Kreis Temesch, die noch auf einem Schornstein thronen. Die Bekanntheit des Nestes reicht jedoch weit über die Grenzen des Banats und sogar über die Grenzen Rumäniens hinaus. In unmittelbarer Nähe des Nestes wurde vor vier Jahren eine Webcam installiert – auf www.wildliferomania.com können Internetnutzer einen Einblick in den Alltag der beiden Mercydorfer Störche Lili und Dodo bekommen. Die Idee des ersten „virtuellen zoologischen Gartens“ in Rumänien hatte der Temeswarer Dokumentarfilmemacher und Kameramann Cristian Ilea, dessen Interesse für die Natur und die Tierwelt bereits in seinen Jugendjahren, nach dem Besuch eines Speläologie-Kurses, geweckt wurde. „Ich wollte unbedingt das Filmen erlernen, um meinen Mitmenschen mit Hilfe der Aufnahmen zeigen zu können, was ich erlebt habe“, sagt Cristian Ilea.

Dasselbe Recht auf eine saubere Umwelt

2008, nach Abschluss der Filmakademie in Bukarest, besuchte er einen Fortbildungskurs zum Filmen von wilden Tieren in Südafrika. Eigentlich wollte er weiterhin dort tätig bleiben. „Doch wer hätte das hier, in Rumänien, gemacht, wenn ich dort geblieben wäre?“ fragt sich, rhetorisch, der Wildlife-Filmer. 2013 wurde die Webkamera am Mercydorfer Storchennest montiert. Es kam eine zweite Kamera an einem Storchennest in Gertjanosch/Cărpiniş hinzu. Bis im vergangenen Jahr finanzierte Cristian Ilea das Projekt „Wildlife Romania“ selbst – nun ist er auf die Unterstützung der Fans angewiesen, um das Projekt fortführen zu können. „Meine Frau und meine Kinder haben verstanden, dass sie nicht in den Urlaub fahren können, weil der Papa ein Vogel-Projekt am Laufen hat“, erzählt er. Die Familie habe ihn in seinen Unterfangen stets unterstützt. „Die Menschen haben vergessen, dass sie nicht allein auf dieser Welt sind, dass sie dieses Habitat, das sich ´Erde´ nennt, mit Millionen von anderen Lebewesen teilen, die dasselbe Recht auf eine saubere Umwelt haben“, sagt Cristian Ilea. Genau deswegen wollte er den Menschen die Natur, so wie sie ist, näher bringen. „Solange die Vögel hier sind, wird nicht an der Kamera interveniert. Es ist schon mal passiert, dass sich der Storch auf die Kamera gesetzt hat und der Filmwinkel schlechter wurde. Wir haben uns trotzdem nicht eingemischt, auch wenn sich die Internet-Gemeinschaft eine bessere Sicht gewünscht hätte“, sagt Cristian Ilea.

Der Natur ihren freien Lauf lassen

Im vergangenen Jahr passierte in Mercydorf etwas Unerwartetes. Die Storchenjungen erkrankten und lagen im Sterben. „Wir hatten die Wahl: Wir konnten entweder die Jungvögel aus dem Nest entfernen oder der Natur ihren freien Lauf lassen. Wir entschlossen uns für die zweite Variante“, erzählt Cristian Ilea. Das Filmen wurde unterbrochen und ging wieder los, nachdem die Jungen gestorben waren. „Mehrere Nutzer zeigten sich darüber empört, dass wir die toten Storchenbabys weiterhin im Nest ließen“, erzählt Cristian Ilea. „Doch sie verstanden schließlich, warum wir uns nicht einmischen wollten. Als nämlich die Störche die toten Jungen vorfanden, gab es eine Art Begräbnisritual. Die beiden Eltern bedeckten die Leichen mit Ästen, um sie anschließend aus dem Nest zu werfen“, fügt der Wildlife-Kameramann hinzu. Ihre Namen erhielten Lili und Dodo von den Schülerinnen und Schülern, die an einer offenen Lektion des Ornithologen Dr. Andrei Kiss vom Banater Museum teilgenommen hatten. „Dieses Nest gibt es hier, seitdem ich im Kindergarten war“, sagt auch Viorel Ulici, Mathematiklehrer an der Allgemeinbildenden Schule in Mercydorf. „Wir sind sehr stolz darauf und freuen uns immer sehr, wenn die Störche in unser Dorf zurückkehren.“ 150 Schülerinnen und Schüler besuchen die neben der römisch-katholischen Kirche gelegene Bildungseinrichtung. Für die Kinder ist das Storchennest Teil des Alltags. „Ein einziges Mal gab es ein Problem. Als ein Kind mit der Schleuder auf das Nest zielte, gingen sofort Meldungen bei der Umweltpolizei und bei der Dorfpolizei ein. Den Behörden war anfänglich nicht klar, wie Leute aus ganz anderen Ecken Rumäniens über den Vorfall erfahren und diesen melden konnten“, erzählt Viorel Ulici.

Die Banater  Hauptstadt der Störche

Die meisten Storchennester im Banat gibt es in der Ortschaft Billed, etwa 25 Kilometer von Mercydorf entfernt. „Ich habe in diesem Jahr 17 Nester gezählt“, sagt Adam Csonti, der Forumsvorsitzende in Billed, und breitet die Kopie eines Gemeindeplans aus dem Jahr 1931 auf dem Tisch aus. Mit seinem Fahrrad ist er durch die Gemeinde gefahren, hat Ausschau nach den Storchennestern gehalten und sie auf seinem Plan eingetragen. „Es gibt auch ein paar Nester, die nicht besetzt sind“, sagt der Forumschef und Gemeinderat.  Alle Storchennester in dem in Schachbrettform angelegten, ehemals deutschen Dorf befinden sich heute auf Strommasten. Die Energiegesellschaft Enel hat in den letzten Jahren Metallrahmen auf den Masten montiert, damit die Störche  geeignete Brutplätze haben. „Der erste Storch kam in diesem Jahr in der Nacht vom 16. auf den 17. April. Meist sind sie um den 22. März herum gekommen, aber in den letzten Jahren kamen sie schon etwas früher. Bis zum 20. August fliegen die Störche fort“, erklärt Adam Csonti. Die meisten Nester befinden sich in der Billeder Hauptstraße.

Die „Banater Hauptstadt der Störche“: So nennt Natur-Doku-Filmer Cristian Ilea die Gemeinde Billed. Hier hat es früher sogar einen sogenannten „Storchenzähler“ gegeben. Heute ist es ein Storchenzähler a.D.: Peter Trendler (89) kann zwar nicht mehr die Störche in der Ortschaft zählen, doch über seine Statistiken erzählt er unheimlich gern. Der Deutsche aus Billed, der fünf Jahre lang in der ehemaligen Sowjetunion verbracht hatte und für weitere fünf Jahre in die B²r²gan-Steppe deportiert worden war, bekommt jeden Tag eine warme Mahlzeit von der Sozialstation der Adam-Müller-Guttenbrunn-Stiftung. Seine Frau ist vor mehreren Jahren gestorben, die Kinder sind weggezogen, sodass er nun alleine in Billed wohnt. Zwei Hunde und zwei Katzen leisten ihm Gesellschaft.

Trendlers Liste

Khakifarbene Stoffhose, rotes T-Shirt, braune Strickweste, auf dem Kopf eine weiße Sportkappe: Peter Trendler blättert mit zitternden Händen in seinem Dossier herum. Darin hat er allerlei Artikel über Störche und über sich selbst aufbewahrt. „Trendlers Liste“ heißt der Titel eines Zeitungsbeitrags, der vor über zehn Jahren im „B²n²]eanul“ erschienen ist. Das Wertvollste ist ein Heft. „Die Störche Billed“ steht auf dem Deckel geschrieben, in diesem Heft hat Peter Trendler die Zahl aller Störche, die zwischen 1993 und 2009 ihre Nester in Billed gebaut hatten, eingetragen, die Namen der Hauseigentümer sind ebenfalls nachzulesen, aber auch, wie viele Jungen jedes Jahr aus den Eiern geschlüpft sind. Ein Rekordjahr war 2005, als insgesamt 73 Jungen schlüpften – 2010 waren es lediglich 27.  „Wenn die Störche ankommen, sind sie hungrig und müde vom Weg. Sie besetzen ihre Nester und fliegen sofort zum See“, erzählt Peter Trendler. „Sie legen bis zu vier Eier“, sagt er.

Peter Trendler ist einer der etwa 70 Deutschen, die heute noch in Billed leben. Schon als Kind hat er die Störche in seiner Heimatgemeinde gezählt. „Einmal habe ich einen Storch gerettet. Das war der Hansi. Ein paar Kinder hatten mir den jungen Storch, der gerade fliegen lernte, gebracht“, erinnert sich der Greis. Die Kinder fingen Fische, Frösche und Eidechsen für den Vogel, der bei Peter Trendler 28 Tage lang ein neues Zuhause fand. „Da, auf diesem Stuhl, hat der Hansi gesessen“, sagt der Mann und zeigt auf einen dunkelgrünen, zerbrochenen Plastikstuhl, der im Hof herumliegt. Hansi wurde neben einem Bach zwischen Billed und Knees/Satchinez freigelassen. „Bevor die Störche wegfliegen, versammeln sie sich auf einem Feld zwischen Betschkerek und Billed“, weiß Peter Trendler, der die Vögel Jahr für Jahr bis zu ihrem Abflugort begleitet hat. „Im Jahr 2007 habe ich in einer Hütte auf dem Feld übernachtet, um sie zu beobachten. Am Sonntag, dem 26. August, sind sie um Punkt 4.40 Uhr nach Afrika aufgebrochen“, erzählt er. „Wir Menschen glauben, dass wir höhere Wesen sind. Doch im Vergleich zu diesen Tieren, die von Instinkten getrieben werden, sind wir nur so klein“, sagt Peter Trendler und macht ein Zeichen mit seiner Hand. Eine symbolische Geste: Denn wäre der Mensch tatsächlich ein höheres Wesen, würde er dem Planeten, den er als sein Zuhause bezeichnet, bestimmt nicht soviel Unheil antun.