Frau im Mond mit Hermann Oberth in der Traumfabrik

„Deutsches Hollywood“ 100 Jahre jung

„Bettszene“ aus dem Film „Die Legende von Paul und Paula“, mit Angelica Domröse aus Pappe.

Eine gigantische Metallstele kündigt die Ausstellung „Traumfabrik: 100 Jahre Film in Babelsberg“ im Potsdamer Filmmuseum an.
Fotos: der Verfasser

Der Siebenbürger Raketenpionier Hermann Oberth, aber auch Filmlegenden wie Asta Nielsen, Marlene Dietrich, Zarah Leander, Marika Rökk, Hans Albers oder der amerikanische Kultregisseur Quentin Tarantino, spielen in der Ausstellung „Traumfabrik: 100 Jahre Film in Babelsberg“ eine Rolle. In Zusammenhang mit dem ersten Raumfahrtfilm der Welt, „Die Frau im Mond“, an dem Hermann Oberth als wissenschaftlicher Berater für Mondflüge mitwirkte, prognostizierte dieser damals in einem Interview die nahe Zukunft der Raumfahrt. Nur einen Steinwurf entfernt von der Stadtschloss-Baustelle in der Preußenmetropole zieht die Ausstellung im Filmmuseum Potsdam zahlreiche Besucher an. 

Filme und damit verbundene Träume von Liebe, Glück und Berühmtheit zogen Menschen seit jeher in ihren Bann. „Eine Manufaktur der Träume von Künstlern und Mächtigen war die langlebigste Filmfabrik der Welt zu allen Zeiten. Sie produzierte in fünf politischen Systemen, von der Kaiserzeit bis zur Globalisierung, war geprägt durch Weimarer Republik, Nazizeit und DDR“, beschreibt das Einladungsschreiben zur Ausstellung das Phänomen des Massenmediums Film. 

Filmatelier Babelsberg: Asta Nielsens Sprungbrett

In der Tat ist das Filmstudio in Babelsberg das älteste Großatelier-Filmstudio der Welt. Seit November 1912 wurden mehr als 3000 Kino- und Fernsehfilme in diesem Ortsteil von Potsdam gedreht. Gleich der erste Babelsberg-Film, „Der Totentanz“, dessen Dreharbeit die Bioscope GmbH am 12. Februar 1912 startete, machte Furore und legte den Grundstein zu Asta Nielsens steiler Schauspielerkarriere als erster Superstar in den deutschen Kinos. Der Schmollmund der Dänin und ihr unnachahmlicher Wespentaillen-Hüftschwung brachten vor allem Männerherzen in Wallungen. Bei Filmpremieren musste Polizeischutz angefordert werden, „damit berittene Truppen das Publikum in Schach halten konnten“, wie sie sich in ihren Memoiren erinnert. 

Ufa fasst 1921 in Babelsberg Fuß

Im Jahr 1921 übernahm die Ufa (Universum Film AG) die Babelsberger Studios. Zu den ersten berühmten Ufa-Filmen zählen „Die Nibelungen“ (1924) und der Science-Fiction-Film „Metropolis“ (1926), unter der Regie von Fritz Lang, gedreht in der heutigen Marlene-Dietrich-Halle. Als einer der letzten deutschen Stummfilme wurde 1928/29 der erste weltraumutopische Film „Die Frau im Mond“ gleichfalls unter der Regie von Fritz Lang produziert, wissenschaftlich beraten von dem sich als Raketenexperte profilierenden Hermann Oberth aus Siebenbürgen. Der erste deutsche Tonfilm, „Melodie des Herzens“, erblickte 1929 das Licht der Welt. Das Tonfilmatelier, das sogenannte Tonkreuz, galt als modernstes Tonstudio seiner Zeit, mit vier kreuzförmig angeordneten Ateliers.

Zwischen 1929/30 produzierte die Ufa die Tragikomödie „Der blaue Engel“ unter der Regie von Joseph von Sternberg mit dem künftigen Weltstar Marlene Dietrich als fesche Lola und Emil Jannings als Professor Unrat, wie der verschrobene Gelehrte von seinen Schülern spöttisch betitelt wird. Zudem erobern Schauspieler wie Ernst Lubitsch („Das Weib des Pharao“), Lilian Harvey („Der Kongress tanzt“), Heinz Rühmann („Die Drei von der Tankstelle“), Hans Albers („Bomben auf Monte Carlo“) und Heinrich George („Berlin-Alexanderplatz“) mit Ufa-Filmen als direkte Konkurrenz für Hollywood die Gunst des Publikums.

Johannes „Jopie“ Heesters, 104-jähriger Stargast 

Nach 1933 entstanden in Babelsberg Produktionen wie der erste deutsche Spielfilm in Farbe, „Frauen sind doch die besseren Diplomaten“, mit Marika Rökk, sowie „Münchhausen“ mit Hans Albers, die „Feuerzangenbowle“ mit Heinz Rühmann, oder der Propagandafilm „Kolberg“. Unvergessen auch der legendäre Johannes „Jopie“ Heesters in „Der Bettelstudent“ (1936), mit seinen Markenzeichen Zylinder und Seidenschal. Noch mit stolzen 104 Jahren trat der Grandseigneur als ältester lebender Ufa-Schauspieler zur Eröffnung der neuen Metropolis-Halle 2008 in Babelsberg auf. 

Die DEFA der DDR und Babelsberg der Gegenwart

Die bei Kriegsende aufgelöste Ufa wurde durch die DEFA (Deutsche Film AG) ersetzt. Nach der Gründung der DEFA am 17. Mai 1946 entstanden bis zur Abwicklung dieses Filmunternehmens im Jahre 1990 über 700 Spiel- und mehr als 150 Kinderfilme, zudem über 600 Filme für den Deutschen Fernsehfunk. Zu den herausragenden DEFA-Filmen zählen „Jakob der Lügner“ unter Regie von Frank Beyer, die einzige für den Oscar nominierte Filmproduktion „Die Legende von Paul und Paula“ von Heiner Carow, „Solo Sunny“ von Konrad Wolf, sowie systemkritische Filme wie „Die Spur der Steine“, den die SED sofort nach der Premiere auf die Verbotsliste setzte. Erst nach der Wende 1989 konnten dieser und weitere verbotene Filme aufgeführt werden.

In der Gegenwart haben Weltstars wie Kate Winslet, Matt Damon, Natalie Portman, Tom Cruise und Brad Pitt längst Babelsberg entdeckt und sind begeistert. Filme wie „Der Pianist“, „Die Bourne Verschwörung“, „Der Vorleser“ und „Der Ghostwriter“ wurden im „deutschen Hollywood“, wie das Studio auch genannt wird, produziert. 

100 Jahre Filmgeschichte als Dauerausstellung 

In der Ausstellung sind auf 460 Quadratmetern mehr als 500 Exponate und über 1000 Fotos berühmter Filmstars und rund 350 Filmausschnitte aus 100 Jahren Babelsberger Filmgeschichte komprimiert, ergänzt durch 2000 Szenenfotos und Porträts, insgesamt strukturiert in sieben Themenbereiche. Die Ausstellung vermittelt eine Vorstellung, wie aus einer Idee ein Drehbuch und schließlich ein Film wird, dokumentiert an ausgewählten Werken der Babelsberger Filmgeschichte seit 1912.

Darüberhinaus werden die Besucher zu eigener filmkünstlerischer Gestaltung animiert, zum Beispiel, sich virtuell als Schauspieler auszuprobieren. Sogar das Casting von Marlene Dietrich zum „Blauen Engel“ kann auf diese Weise nachvollzogen werden. Zu den schönsten Exponaten zählen die filigranen Entwurfszeichnungen des riesigen Drachens aus dem Filmklassiker „Die Nibelungen“. Geöffnete Koffer – wie die von Zarah Leander mit Originalbriefen, oder von Hans Albers mit persönlichen Utensilien, der Schnapsflasche mit Alberskopf und drei Zigarettenspitzeln – verströmen Nostalgie. Verblüffend wirkt ein richtiges Bett mit der lebensgroßen Pappdarstellung der Schauspielerin Angelica Domröse im neckischen Negligé aus dem DEFA-Film-Hit „Die Legende von Paul und Paula“. Auch Sets und Regiestühle mit Namen wie Quentin Tarantino und Roman Polanski wirken so, als seien die Künstler nur mal kurz weg, um einen Kaffee zu trinken. 

40 Waggons Ostseesand für Mondlandschaft

Gleich im Eingangsbereich links ist die Filmbox mit markanten Filmen aus der 100-jährigen Geschichte des „deutschen Hollywood“ angebracht, an zweiter Stelle von oben der erste weltraumutopische Film „Die Frau im Mond“, der 1930 Premiere in Berlin hatte. Auf Knopfdruck werden Ausschnitte aus diesem ersten Raumfilm der Welt gezeigt, als Höhepunkt die Landung der Rakete auf dem Mond. Für die Gestaltung der Mondlandschaft mussten damals extra 40 Waggons Ostseesand in das Studio Babelsberg transportiert werden. 

Hermann Oberth sagte Mondlandung voraus

Das Besondere an diesem Film ist aber auch das Interview mit dem damaligen wissenschaftlichen Berater Hermann Oberth, das etwa 40 Jahre später stattfand. Er resümiert über die Richtigkeit seiner in den 20er-Jahren aufgestellten Prognose, in absehbarer Zeit würden Menschen zum Mond fliegen. Nur wenige Jahre später, 1969, bewies der amerikanische Astronaut Neil Armstrong mit der Mondlandung von „Apollo 11“ Oberths These. Maßgeblich am Apollo-Programm beteiligt war auch Wernher von Braun, einstiger Student an der TU Berlin und „Meisterschüler“ bei Oberths erfolgreichen Experimenten am Raketenmotor mit der Kegeldüse für Flüssigtreibstoffe als bahnbrechende Erfindung. Oberths Frühwerk „Die Rakete zu den Planetenräumen“ (1923) avancierte zur Bibel für Raumfahrtwissenschaftler und Raketentechniker. 

Oberths Vermächtnis: Begeisterung für die Wissenschaft

Das am 25. Juni 1894 in Hermannstadt geborene und in Schässburg aufgewachsene Genie Hermann Oberth wurde 1961 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Am 28. Dezember 1989 verstarb der Vater der Raumfahrt in Nürnberg. Als Auftrag bleibt sein Vermächtnis, die Raumfahrt für friedliche Zwecke zu nutzen und gerade die Jugend für die Wissenschaft zu begeistern. Dafür leistet nun auch die Potsdamer Ausstellung einen Beitrag.