„Freikauf“, das war gestern. Die Parole von heute muss „Zukauf“ heißen

Rumänien hinsichtlich der Verbundenheit unterschiedener Ethnien zu einem europäischen Muster machen

Folgenden Text hat Prof. Dr. Dr. h.c. Paul Philippi am 23. November 2013 als Wort des Ehrenvorsitzenden des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien in der Vertreterversammlung des Landesforums in Hermannstadt/Sibiu gehalten.

Am 26. April, bei unserer letzten Zusammenkunft, hatte ich in meinem WORT auf die Tagung Bezug genommen, die sich wenige Tage davor in diesem Saal mit dem Freikauf von Deutschen aus dem kommunistischen Rumänien befasst hatte. Die Tagung war damals in aller Munde und das Thema „Freikauf“ war auch als Buch erschienen. Ich hatte auf jene Tagung Bezug genommen, nicht um die Auswanderung der Jahre vor 1989 „wieder in die Schlagzeilen geraten“ zu lassen (wie das die Münchener „Siebenbürgische Zeitung“ verstanden hat), sondern um uns alle aufzufordern, den Hebel für unser Handeln jetzt endlich umzulegen auf das Jahr 2013: Vom Gespenst des Freikaufs weg, auf Zukauf! „Freikauf“, das war ein Schlagwort, das für die Zeit vor 1989 eine begrenzte Berechtigung hatte. Begrenzt, weil dieser „Freikauf“ von Missverständnissen gefährdet und von Missbrauch umlagert ist. Heute müssen Rumäniendeutsche nicht mehr „frei“-gekauft werden. Sie können seit 1990 Rumänien freiwillig oder freizügig verlassen. Und unsere Leute haben es in Massen getan. Unsere Dörfer sind von Schwaben und Sachsen weitgehend geleert.

Als wir das Forum gründeten, waren wir noch weit über 120.000. Wir haben das Forum gegründet, um den deutschen Gemeinschaften Rumäniens wieder den politischen Halt zu geben, den sie zur Bewahrung ihrer Identität brauchen; wohl-gemerkt: zur Bewahrung ihrer Identität hier, in diesem Lande! Das ist uns, meine ich, gar nicht so schlecht gelungen. Wir haben als Deutsche in Rumänien einen passablen politischen Stand gewonnen. Der Bewahrung unserer Identität wird auch im Vertrag über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien ein besonderer Wert zuerkannt. Aber wir sind jetzt trotzdem auf weniger als 40.000 geschrumpft. Ist es da nicht an der Zeit, die Signale umzustellen, in Richtung Zukauf? Zukunft durch Zukauf!

Wenn wir uns unter uns umsehen, hier in der Vertreterversammlung, dann bemerken wir, dass viele unserer erwachsenen Kinder fehlen. Wo sind sie geblieben? In den ersten Jahren unserer Forumstätigkeit haben wir uns bemüht, für unsere jungen Leute Stipendien zu verschaffen, damit diese im deutschsprachigen Ausland studieren können. Denn dass sie das bis 1989 nicht gekonnt hatten, war einer der Gründe für den Auswanderungswunsch gewesen. Nun: Wir hatten einigen Erfolg. Das Studieren in Deutschland oder Österreich ist heute leichter geworden. Nicht nur durch unsere Bemühungen, aber auch durch sie. Wo aber ist das Resultat? Wo sind unsere Auslandsstipendiaten geblieben? Die einigen, die zurückgekommen sind, sind Hoffnungsträger geworden. Wir grüßen sie herzlich! Aber die vielen, die nicht zurückgekommen sind und sich im Ausland stabilisiert haben?? Sollen wir über sie nur traurig sein oder gar über sie schimpfen? Natürlich werden wir das NICHT tun. Bei Chancen für eine Existenzgründung und Familiengründung muss der junge Mensch zeitgerecht zugreifen und individuell entscheiden. Auch individuell. Aber sollen wir als rumäniendeutsche Gemeinschaften das resignierend einfach zur Kenntnis nehmen, dass wir auf diese Weise aussickern? Was für Rumänien als Ganzes ein Problem ist – die Abwanderung der intellektuellen Jugend – das ist für uns als Minderheit lebensbedrohend.

Dass die Siebenbürger Sachsen 800 Jahre überlebt haben, verdanken sie nicht zuletzt der Kraft ihrer Eliten, die es für wert fanden, ihre Fähigkeiten im Rahmen der sächsischen Gemeinschaft einzusetzen. Aber man kann das auch umgekehrt sagen: Die Siebenbürger Sachsen haben 800 Jahre überlebt, weil die sächsische Gemeinschaft ihren Eliten so lange Aufgaben bot, die es lohnten, auch große Begabungen im Rahmen dieser Gemeinschaft einzusetzen. Gibt es diese Aufgaben nicht mehr? Oder gibt es zwar die Aufgaben, aber es fehlt das Angebot?

Sehen Sie: Dieses Angebot gilt es zu erneuern! Aufgaben sind genug da. Gewiss, sie liegen nicht so auf der Hand, wie ehedem. Sie sind nicht so vorstrukturiert, nicht so quasi vorformuliert, wie sie es in den Jahrhunderten davor waren. Es gilt, sie neu zu konzipieren und zu formulieren. Und es gilt, sie anzubieten: Seht, hier im Rumänien des 21. Jahrhunderts bieten sich Aufgaben an, für deren Lösung es lohnt, sich einzubringen. Es gibt Entdecker-Chancen: Wir können die Wende vom Nationalitätenkampf alten Stils, der uns in den Vorkriegsjahren untereinander sowohl verbunden als auch aufgerieben hat, wir können unter den neuen Bedingungen europäischer Öffnung diese Wende dazu nützen, aus der einengenden Zwangsvorstellung der „unificare“ überzutreten in die Förderung von Zusammenarbeit der Verschiedenen! Hier in diesem unserm Lande.

Und zwar nicht nur in das Zusammenwirken verschiedener Individuen, sondern in das Zusammenspiel der unterschiedenen Kultur- und Lebensgemeinschaften. Wir können dazu beitragen, dass aus dem Zusammenleben unterschiedener Gruppen im gemeinsamen Staat, das unsere Geschichte seit einem Jahrtausend charakterisiert, dass daraus eine von allen bejahte, freie Verbundenheit wird, die Rumänien zu einem europäischen Muster macht – mindestens in dieser Hinsicht zum Muster macht, nämlich hinsichtlich der Verbundenheit unterschiedener Ethnien im einen gemeinsamen Staat. Unsere Vorfahren haben gegen die aufkommenden nationalen Egoismen des 19. Jahrhunderts angesungen: „Und um alle deine Söhne schlinge sich der Eintracht Band“. Jetzt ist eine Zeit angebrochen, in der wir zu dieser Eintracht, in der wir zur „freundschaftlichen Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa“ hier vor Ort, mehr beitragen können als nur Singen.    
                
Dazu bedarf es junger Leute, die europäische Weite erfahren haben, die aber auch die Werte neu aufnehmen, die hierzulande herangewachsen sind: Die Fähigkeit, mit Gruppen, mit Gemeinschaften anderer Sprache und Kultur gerne und konstruktiv zusammenzuleben. Natürlich werden wir beides kritisch verarbeiten müssen: die landeseigenen Werte der Vielfalt und den Umgang mit der Globalisierung. Aber dass den deutschen Gemeinschaften Rumäniens da Aufgaben zuwachsen, die auf sie geradezu zugeschnitten sind, das sollten wir deutlich sagen dürfen. Das sollten wir als Angebot auch denen vermitteln, die sich heute und morgen sinnvoll verwirklichen wollen. Wir sollten heute also bestrebt sein, diese Kräfte „zuzukaufen“, auch wenn sie gestern erst „freigekauft“ worden sind!
Das wird nicht ganz leicht sein. Der Ruf geht weithin noch gegen den Wind. Allerdings gegen den Wind von gestern, der unsere Existenz im Lande Rumänien ausgetrocknet und jahrzehntelang schlecht geredet hat.

Inzwischen hat sich der Wind ein wenig gedreht und es hat sich unter westlichen Trendsettern offenbar schon herumgesprochen, dass es lohnt, unternehmerischen Willen hier in Rumänien einzusetzen. Wenn sich das unter Fremden schon herumgesprochen hat, warum sollen wir das nicht auch unter denen verbreiten, die ihrer Herkunft nach hierher gehören? Und wenn es sich schon für unternehmerische Einzelne lohnt, hier einzusteigen, dann lohnt es erst recht, es im Rahmen einer Gemeinschaft zu tun, die sich als ganze dafür einsetzt, im Rahmen dieses Staates Rumänien Freundschaft und Partnerschaft in Europa zu praktizieren. Wir sollten das, meine ich, unter unseren Landsleuten couragierter als bisher aussprechen. Denn das ist zweitens erfreulich und erstens haben wir es nötig.
Und genau davon war ich am 26. April ausgegangen: „Freikauf“, das war gestern. Ob der, so wie er praktiziert worden ist, richtig war, steht heute nicht zur Debatte. Die Parole von heute muss „Zukauf“ heißen. Im Rahmen freundschaftlicher Zusammenarbeit und Partnerschaft im europäischen Rumänien.