Fünfsprachiges Theater

Die Vorpremiere zu „Sprechen Sie Schweigen?“

Aufgebrachter Arbeitsgeber (Valentin Späth) als die Arbeiter am „Mall of Berlin“ ihre Bezahlung mit einem Protest einfordern (Marius Turdeanu). Der Arbeitsvermittler und Dolmetscher (Emöke Boldizsár) übersetzt nur Bruchstücke im Gespräch mit dem Vertreter der Protestierenden.
Foto: Adi Bulboacă

Hermannstadt – Mit „Vorbiţi tăcere? / Sprechen Sie Schweigen?“ bringt Gianina Cărbunariu eine einzigartige Zusammenarbeit zwischen der Deutschen und der Rumänischen Abteilung des Radu-Stanca-Theaters auf die Bühne. Thema sind die oft prekären Arbeitsverhältnisse rumänischer Gastarbeiter in Deutschland. Im Stück wird Deutsch, Rumänisch, Ungarisch, Englisch und, so die Darsteller, die „Sprache des Schweigens“ gesprochen. Untertitel auf Deutsch und/oder Rumänisch werden auf einem riesigen roten Teppich gezeigt, der zur Decke hinausläuft und der, sarkastisch anmutend, wie ein Modesteg wirkt. Die Schattenseiten der Arbeitsmigration, unter denen hauptsächlich die Arbeiter leiden, werden durch Mihai Păcurars karges jedoch einprägsames Bühnenbild mit unzähligen Gurtpfosten betont.
Der Aufführung wird von vornherein gekonnt Realität beigemischt. Die Schauspieler stellen sich zu Beginn der Aufführung gegenseitig vor und bringen ihre jeweils sehr unterschiedliche Herkunft in den Vordergrund. Die Schauspieler der Rumänischen Abteilung stellen ihre Kollegen der Deutschen Abteilung vor und umgekehrt. Allein schon dadurch wird, wenn auch mit Humor und Ironie, die Entfremdung hervorgehoben, die entsteht, wenn Menschen aus verschiedenen Sprachräumen zusammenarbeiten: Daniel Bucher und Valentin Späth, die aus Deutschland stammen, sollen angeblich kein Wort aus der Vorstellung auf Rumänisch verstehen und so auch Marius Turdeanu und Ofelia Popii kaum etwas von dem, was auf Deutsch über sie gesagt wird. Emöke Boldizsár, die einzige, die sowohl Deutsch als auch Rumänisch einwandfrei beherrscht und auch in beiden Abteilungen mitwirkt ist selber ungarischer Abstammung.

Wie rumänische Arbeiter, die die deutsche Sprache nicht beherrschen, vor die kaum zu verweigernde Entscheidung gestellt werden, bei ihrer Ankunft in Deutschland für sie unlesbare Verträge zu unterzeichnen, oder was für Klauseln sie in Kauf nehmen müssen, um zu ihrem oft geringen Verdienst zu kommen, hat die Regisseurin auf einer Forschungsreise in Deutschland erkundet und unverblümt in die Produktion eingebaut. Arbeiter sind oft mit teuren und schlechten Mietverhältnissen konfrontiert, arbeiten unbezahlte Überstunden oder werden auch schon mal gar nicht bezahlt. In einer grotesken Szene werden Arbeitern in einem Schlachthof von Seiten der Firma Einmachgläser für ihre während eines Unfalls abgesägten Hände überreicht, um letztere unversehrt mitzunehmen. Versichert wird ihnen, dass sie wieder angestellt werden, falls es ihnen gelingt in Rumänien, wohin man ihnen die Reise bezahlt, dieselben wieder anzunähen. Als wäre das alles nicht schlimm genug, herrscht für die Arbeiter meist Schweigepflicht über ihr Arbeitsverhältnis und über firmeninterne Angelegenheiten. In zehn dargestellten Lektionen erlernen die Gastarbeiter das passende Verhalten, zum Beispiel Unwissenheit vorzutäuschen, wenn der Zoll Befragungen zu Überstunden durchführt. Auch die „Sprache des Schweigens“ wird erlernt.

Das im Titel genannte Schweigen betrifft allerdings nicht nur dasjenige der Arbeiter, das zuweilen im Protest der Arbeiter an der Berliner Mall (Mall of Berlin) gebrochen wurde. Es betrifft, wie Cărbunariu betont, insbesondere die Öffentlichkeit, Behörden, die zu den nicht unbekannten und verbreiteten Situationen der Arbeiter kaum Stellung nehmen. Wie sehr die gelungene Produktion das Schweigen bricht und zu brechen gedenkt, spiegelt sich im Ausbruch Valentin Späths am Ende der Aufführung, als er die Arbeitsbedingungen für diese Aufführung beklagt und darüber klagt, nicht von Anfang an ein Skript erhalten zu haben – wie Cărbunariu bei der vorangehenden Pressekonferenz verraten hatte: „Ich beginne die Proben nicht mit einem Text, sondern mit Gesprächen, mit der Besichtigung einiger Materialien“.
Während der Aufführung werden die Zuschauer immer wieder herausgefordert, sich selbst in die Lage der Gastarbeiter zu versetzen, so etwa indem die Vertreterinnen einer rumänischen Arbeitsvermittlungsagentur das Publikum als mögliche Kunden anspricht, oder indem Zollbeamte die zu befragenden Gastarbeiter im Publikum suchen. Eindeutig: Das Thema ist nicht nur jedem bekannt, sondern betrifft jeden. Der von Alex Halka zusammengestellte musikalische Hintergrund vermittelt fast zu einfühlsam die unbehagliche Stimmung der Arbeiter – als Zuschauer erinnert man sich wohl gerne, dass man im Theater sitzt. Die Frage, wie es sein kann, dass all das nicht nur im Theater vor unseren Augen abläuft, sondern in Wirklichkeit, und doch scheint kaum einer etwas dagegen zu unternehmen, nimmt man allerdings mit.
Die Aufführung ist Teil der in Deutschland angesiedelten experimentellen Plattform „Human Trade Work“, an der nebst Teilnehmern aus Europa auch Indien und Burkina Faso beteiligt sind.