„Für Serbien ist es wichtig, das Land wieder in die europäische Kultur zu integrieren“.

Interview mit Nemanja Milenkovic, dem Vorsitzenden der Stiftung „Neusatz 2021 – europäische Kulturhauptstadt“

Nemanja Milenkovic leitet die Stiftung „Neusatz 2021 – europäische Kulturhauptstadt“. Foto: die Verfasserin

So viele Leute waren vergangenes Jahr beim „Korzo“ dabei. Foto: Stiftung „Neusatz 2021 – europäische Kulturhauptstadt“

Drei europäische Kulturhauptstädte wird es im Jahr 2021 geben: Neben Temeswar ist es das griechische Eleusis (Elefsina) sowie Neusatz/Novi Sad, in nächster Nähe, in Serbien. Zum ersten Mal ist dabei auch eine Stadt aus einem Kandidaten-Land dabei. Temeswar und Neusatz verbindet aber viel Kulturelles und Geschichtliches. Wie die Neusatzer sich auf das Jahr 2021 vorbereiten und wie sie mit Temeswar zusammenarbeiten, hat Nemanja Milenkovic, der Vorsitzende der Stiftung „Neusatz 2021“ in einem Interview mit der Redakteurin Ștefana Ciortea-Neamțiu erläutert. Den ersten Teil dieses Interviews bringen wir heute.

 

Welches war ihr Gefühl, als Sie hörten, dass Neusatz gewonnen hat?

Eigentlich war Belgrad der Kandidat für das Jahr 2020. Es war das erste Mal, als die Kommission sich entschlossen hat, Nicht-EU-Staaten, die aber für den Mitgliedsstatus kandidieren, mit einzubeziehen. Zuerst haben sie sich für 2020 entschieden, dann aber für 2021. Dann hat sich Belgrad entschlossen, doch nicht zu kandidieren. Also haben wir dann in der letzten Runde kandidiert sowie die Stadt Herceg Novi aus Montenegro. Der Wettbewerb fand nicht auf Landesebene statt. Ich weiß, dass es in anderen Ländern starke Wettbewerbe unter den Städten gegeben hat.

In Neusatz können wir uns glücklich heißen, weil die Stadt in der serbischen Tradition eine Art Athen darstellt, ein Ideal im 19. Jahrhundert, so dass jeder sehr, sehr stolz darauf gewesen ist, als der Gewinner bekannt gegeben wurde. Sie ist nicht nur die zweitgrößte Stadt Serbiens, sondern ist auch in der Zeit österreichisch-ungarischen Monarchie eine blühende Kulturstadt gewesen.

Und Temeswar war bereits ausgewählt worden, die Städte sind historisch verbunden…

Ich betone es oft, dass es diesmal nicht so viel um europäische Kulturhauptstädte, sondern um europäische Kulturregionen geht; die 145 Kilometer zwischen den Städten sind eine sehr kurze Strecke.

Welche großen Veranstaltungen bereiten Sie für das Jahr 2021 vor?

Unser Slogan ist „Brücken bauen“ und unsere Vision ist auf vier Pfeilern aufgebaut: Menschen, Prozesse, Räume und Programme. Der ungesehene Teil der Brücken steht unter Wasser, es sind die Stützpfeiler. Ungesehen sind die Menschen und die Prozesse in dieser Brückenfunktion. Aber alles Ungesehene erzeugt etwas, was man sehen kann und die Räume und die Programme werden gesehen. Wir haben neun Programmplattformen für das Jahr 2021 vorgeschlagen.

Die Brücken sind mit den Werten der Stadt und seiner Leute verbunden, mit unserer dynamischen Geschichte. Wir sind eine kleine Stadt mit vielen Brücken, elf insgesamt, davon sind aber acht unter der Donau. Trotz der vielen Kriege haben wir unsere Werte von Liebe, Hoffnung und Freiheit behalten, auch ein religiöser Teil ist dabei.

Wir werden eine große Eröffnungszeremonie haben, die mit der serbischen Tradition des Neujahrs zu tun hat: Wir feiern zwei Mal Neujahr. Wir wollen über diese Tradition sprechen, die mit unserer Gesellschaft verbunden ist.

Ein zweiter großer Event wird den Heldinnen der Stadt gewidmet sein, vor allem Milena Maric Einstein, weil Einstein hier mit ihr gelebt hat. Ihr Sohn wurde hier getauft. Auch wenn Milena im Schatten seines sehr großen Namens gestanden hat, war sie nichtsdestotrotz eine sehr große Mathematikerin und hat Einstein vielleicht auch geholfen. 2021 werden auch 100 Jahre gefeiert, seitdem Einstein den Nobelpreis gewonnen hat.

Drittens geht es um die Festung des Friedens: Wir haben eine der größten Festungen Europas. Nach einem Friedensvertrag wurde in der Österreich-Monarchie mit dem Bau der Festung begonnen. Glücklicherweise wurde sie nie im Krieg verwendet. Auch das Musikfestival „Exit“ findet dort statt, einer der bedeutendsten Events in Serbien und auch europaweit. Die Festung wird eine Art Kulisse für einige der besten Kultur- und Subkulturveranstaltungen in Europa. Der Grund warum sie die Festung errichtet haben, war der Frieden. Dieses Reframing wollen wir präsentieren. Sehr wichtig ist für uns das Brückenschlagen vom 20. ins 21. Jahrhundert.

Welches werden die wichtigsten Kulturakteure im Jahr 2021 sein? Und die wichtigsten europäischen Partnerinstitutionen?

Wir wollen alle mit ins Boot nehmen. Als Stiftung sind wir wichtig für die Organisation und Koordination des Prozesses, aber, im Endeffekt, wenn die Besucher nach Neusatz kommen, werden sie nicht sagen: „Die Stiftung hat das veranstaltet!“ Sie werden sagen: „Diese Stadt oder diese Bürger haben das gemacht“. Also werden wir den Menschen erklären, wie wichtig dieses Konzept des Mitwirkens im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt für die Bürger wie auch für die Künstler ist. Es gibt Bürger und Künstler, die fühlen, dass es wirklich ihr Projekt ist und das ist freilich der erste Schritt. Der nächste Schritt ist die europäische Dimension, die ist ebenso wichtig wie das Mitwirken. Die Kulturinstitutionen und die nichtstaatlichen Organisationen sollen mit europäischen Partnern kommuniziert. Vor allem für Serbien ist es sehr wichtig, das Land in die europäische Kultur wieder zu integrieren. Es geht nicht um Grenzen, sondern darum, unsere Erfahrung, unser Wissen, unsere Kreativität zu ändern.

Wie sieht es tatsächlich heute aus? Wie viele Verbindungen zu europäischen Künstlern oder Institutionen haben sie heute?

Jeden Tag mehr. So hat es zum Beispiel das Programm „Artists in residence“ (N. Red. Residenzkünstler, die ihre kreativen Tätigkeiten, ohne den Einsatz eigener finanzieller Mittel außerhalb des eigenen Wohnortes ausüben) nie zuvor in Neusatz gegeben. Jetzt kommen jährlich über 20 Künstler nach Neusatz und umgekehrt, unsere Künstler und die Leute, die im Bereich des Managements arbeiten, gehen ins Ausland. Diese direkten Kontakte sind wichtig, weil die Beteiligten an Ähnlichkeiten und an Unterschiede denken, und wie man das Problem anpacken kann, für das europäische Publikum sichtbarer zu werden. Als wir angefangen haben, dachten die Leute noch lokal.

Ich mag es, wie Rumänien ein neues Branding durchgemacht hat, durch Werbung, durch Film, das zeugt von viel Kreativität in dieser Region. Wir müssen aber ein System aufbauen. Manchmal haben wir die Ressourcen, aber wir arbeiten nicht zusammen. Ich glaube, das ist oft der Fall in Neusatz, und ich glaube, das wird es auch in Temeswar sein. Wir haben angefangen, diese Menschen zu verbinden und haben ihnen gezeigt, welches die Ergebnisse ihrer Zusammenarbeit sind, sowohl mit lokalen Partnern als auch mit europäischen Partnern.

Zum Beispiel haben wir vergangenes Jahr eine große Veranstaltung gehabt: Wir haben die größte Verkehrsader geschlossen und das Projekt „Korzo“ genannt, um über das mehr als 100jährige Konzept des Spazierengehens nachzudenken. Die ersten Reaktionen von den Bürgern waren negativ. Dann hat das Symphonische Orchester aus Neusatz auf der Straße gespielt und10.000 Leute haben dem Konzert beigewohnt. Auch wenn nicht nur beliebte, bekannte klassische Musik gespielt wurde. Wir werden diese Veranstaltung weiterführen, denn wir wollen ein Vermächtnis aufbauen. Dieses Jahr wollen wir ein philharmonisches Orchester aus dem Ausland einladen oder eine gemischte Besetzung haben.

Haben Sie schon strategische europäische Partner für Ihre Projekte? In Temeswar spricht man zum Beispiel über die Zusammenarbeit mit dem Festival in Ravenna.

Es gibt schon Kontakte, aber alles ist noch in Arbeit. Die Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Kulturhauptstädten ist uns ebenfalls sehr wichtig.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit Temeswar aus?

Bereits in der Bewerbungsdokumentation haben wir eine Zusammenarbeit mit Temeswar angekündigt. Manchmal ist es schwierig. Zum Beispiel wollen unsere Kollegen aus Temeswar, dass eine Buslinie die Städte verbindet. Das ist auf der rumänischen Seite gelungen; wir haben hierzulande noch administrative Hürden, aber die werden wir auch nehmen. Es soll einen Kulturbus geben. Es ist lächerlich, dass wir in nur 145 Kilometer Entfernung keine direkte Buslinie haben. Ich denke, es ist insgesamt eine gute Zusammenarbeit.

(Fortsetzung folgt)