Gedanken zum Weihnachtsfest 2016

Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben … Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
(Johannes 3,16.21 – 22)

Wir durchleben eine Zeit voller Paradoxe, in der einerseits eine berechtigte Sehnsucht danach vorhanden ist, was hält und trägt, andererseits aber auch das Selbstverständlichste hinterfragt wird: Z. B. ob es heutzutage noch politisch korrekt ist, sich „Frohe Weihnacht“ zu wünschen vor dem Hintergrund, dass man damit Menschen brüskieren könnte, die – weil sie nicht Christen sind – kein Weihnachten feiern. Die Welt, in der wir leben, ist um keinen Deut besser geworden, im Gegenteil: Gerade im Jahr 2016 ist – vor dem Hintergrund politischer Entwicklungen und gewalttätiger Auseinandersetzungen – der Unsicherheitsfaktor nochmals gestiegen. Ein väterlicher Freund schrieb mir vor ein paar Tagen: „Nach meiner Erinnerung gab es bisher kaum ein Jahr, in dem so viel getäuscht wurde – durch Schönfärben, Kaschieren, Weglassen wichtiger Informationen oder auch durch ‚schlichte‘ Lüge oder ‚direkten‘ Betrug…“ Da kommt für viele Weihnachten gerade recht und wird zu einem Aufhänger für die Flucht in eine Welt des schönen Scheins. Vieles von dem wir meinen, es gehöre zu Weihnachten unbedingt dazu, ist vorchristliches Brauchtum, zur Gewohnheit gewordenes Ritual oder reine Gefühlsduselei. Man bringt sich damit, wie es so schön heißt, „in Stimmung“. In der heutigen Zeit, in der man Dinge auf die Bedürfnisse des Einzelnen zuschneidet („personalisiert“), sind die Möglichkeiten unbegrenzt; so erleben wir es, dass auch das Weihnachtsfest instrumentalisiert wird. Das kann es jedoch nicht sein!

Das Wichtigste am Weihnachtsfest ist, zur Ruhe zu gelangen, um dem, was dieses Fest wirklich ausmacht, nachgehen zu können. Wer die Ruhe findet, kann anhand der Weihnachtssymbole nachbuchstabieren, was dieses Fest uns vermitteln will. Ein Symbol, das versucht, einen Bezug zwischen dem an sich ganz normalen Phänomen einer Geburt in ärmlichen Verhältnissen und den besonderen Implikationen dieser Geburt für die ganze Welt  herzustellen, ist das Licht. In dieser kalten und dunklen Jahreszeit besteht ein besonderes Bedürfnis danach. Doch wo Licht einen Gegenstand anstrahlt, entsteht auf der Gegenseite Schatten. Gerade das Weihnachtslicht rückt auch unerfüllte Wünsche und Sehnsüchte in den Fokus; soziale oder gesellschaftliche Probleme werden in dieser Zeit viel gravierender als sonst empfunden. Für den Evangelisten Johannes ist das Lichtsymbol ein Leitmotiv seines Evangeliums. Und als Gegenpol dazu kommt immer wieder die Finsternis ins Spiel. Mit der Licht-Finsternis-Symbolik bzw. durch den Kontrast zwischen den beiden, arbeitet der Evangelist den Unterschied zwischen Gut und Böse heraus. Das Licht ist stärker als die Finsternis. Durch die Einwirkung des Guten von außen, d. h. dadurch, dass Gott selbst in diese Welt kam, wird das Böse verdrängt. Gott ist nicht mehr fern und unnahbar, sondern zum Greifen nahe. Dadurch sehen wir all das, was uns umgibt, in einem „andern Licht“. Was diese Welt für wichtig und wesentlich erachtet, verliert seine Bedeutung, und scheinbar Banales und Belangloses tritt in den Vordergrund. Daraus erwächst uns die Kraft, die unser Leben zu verändern vermag. Die Allmacht Gottes kommt gerade in der Ohnmacht seiner Menschwerdung zum Tragen.

Die täglichen negativen Erfahrungen – Hass und Neid, verbale und physische Gewalt – führen uns deutlich vor Augen, dass diese Welt sich nicht selber erretten kann. Darum war Gottes Rettungstat der einzige Weg, der aus der Finsternis herausführen konnte: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Nicht nur die Beziehung zwischen Gott und dieser Welt ist eine gestörte und kann von uns aus nicht wiederhergestellt werden; der Mensch hat sich auch von seiner Umwelt und seinem Mitmenschen entfremdet. Durch sein Verschulden ist so viel zerbrochen, dass der Mensch aus eigener Kraft es nicht wiederherstellen kann. Darum tut Gott dies von sich aus: durch die Menschwerdung seines Sohnes bis hin zu dessen Preisgabe am Kreuz. Gott lässt seinen Sohn zu uns Menschen kommen, damit wir diese Welt, bzw. das, was der Evangelist mit Finsternis umschreibt (Leid, Angst, Versagen, Schuld, Schmerz, Ungerechtigkeit und letztendlich auch der Tod), überwinden können. Aus einem einzigen Grund tut Gott dieses: weil er uns Menschen über alles liebt. Gottes große Liebe wird durch das Licht symbolisiert. So wie das Licht die Finsternis durchdringt und verdrängt, so will die Liebe Gottes den Weg in unser Herz finden und uns von innen erleuchten.

Wer dem göttlichen Licht ungehinderten Zugang gewährt, wird keinen Schatten fürchten müssen. Wenn wir diesem Licht in unserem Herzen Raum geben, dann wird die Finsternis, die uns umgibt – auch wenn sie in dieser Welt nie ganz aus unserer Gegenwart verbannt werden kann – entmachtet. So kann auch bei uns Weihnachten Einzug halten; kein Brauchtumsweihnachten und auch kein Gefühlsweihnachten, sondern das Christfest in seiner ureigenen Bedeutung.
Allen Leserinnen und Lesern der ADZ frohe und gesegnete Weihnachten!