Glaubensfreiheit

Fast drei Jahrzehnte ist es her. Der Patensohn gerade fünfzehn und es bot sich die Gelegenheit, ihn auf eine Nahostreise mitzunehmen: Israel, Jordanien, Syrien. Die jordanische Hauptstadt Amman, schon damals von Flüchtlingen überfüllt, laut und turbulent. In der großartigen Umayyadenmoschee von Damaskus standen wir vor dem Schrein Johannes des Täufers aus christlicher Zeit, bekamen die ‘Säulen des Islam’ erklärt und fuhren in das angeblich schönste Dorf Syriens, Maaloula. Von melkitisch-griechischen Christen bewohnt. Ein konfessionsübergreifender Wallfahrtsort. Nonnen betrieben ein Waisenhaus und kümmerten sich um die Thekla-Kirche mit ihren weit über eintausend Jahre alten Ikonen, von der man sagt, sie sei die älteste Kirche der Welt: Erstes nachchristliches Jahrhundert. Und dann natürlich Israel: Die herrliche Gegend am See Genezareth. Mit dem Bus nach Süden, Jerusalem, und schließlich im Westjordanland Bethlehem. Auffällig schon damals der Siedlungsbau. Pilger im Bus tuschelten miteinander. Der Reiseführer merkte an, dass nicht jeder im Land mit diesen Bauprojekten auf Palästinenserboden einverstanden sei. Halt vor der Geburtskirche. Wir stiegen hinunter in die Grotte, wo einmal die Krippe Jesu gewesen sein soll, dann Liturgie in der Kirche.

Fast dreißig Jahre später. Als alter Mann noch einmal Gelegenheit, das Heilige Land zu besuchen: Gast im Patriarchat der Melkitisch-Griechischen Kirche. Wir treffen auf syrische Christen, Flüchtlinge. Ob auch Christen aus Maaloula unter ihnen sind? Nach der Messe erzählt ein Diakon: „Von dem kleinen christlichen Maaloula finden Sie kaum noch etwas. Obwohl strategisch von keinerlei Bedeutung, wurde es zweimal vom IS, der militanten Organisation ‘ Islamischer Staat’, überfallen. Die Einwohner flohen Hals über Kopf. Viele wurden erschlagen, Männer und Frauen, viele Kinder. Das Dorf dem Erdboden gleich gemacht. Von der alten Thekla-Kirche, dem Kloster mit seinem Waisenhaus, blieb nicht viel übrig. Die uralten Ikonen verbrannt oder auf illegalen Kunstmärkten verkauft.

Fahrt nach Bethlehem. Unübersehbar: Neu errichtete Siedlungsgebiete. Die Pilger im Bus tuscheln: Hat es nicht die UNO... und selbst die Vereinigten Staaten....? Der Blick in die Landschaft wird stellenweise durch hohe Betonwände verbaut: Grenzsicherung. Der Platz vor der Geburtskirche. Freundliche Händler, Palästinenser, die den Touristen Souvenirs anbieten. Olivenholzkrippen sind der Renner. Gar nicht so teuer. Einige Krippen in stattlichen Übergrößen und gut für Kirchen geeignet. Nicht kitschig und keine schlechte Investition. Nur bezahlen und Anschrift hinterlassen. Die Ware wird nachgeschickt. Man darf vertrauen.

Die Busse rüsten für die Rückfahrt. Der Betrieb lässt nach. Nur noch wenige Besucher sind in der Kirche: Der ältesten Kirche im Heiligen Land, in der über die Zeiten hinweg ununterbrochen Gottesdienste gefeiert wurden. Der Kirchenvater Hieronymus (um 386 n.Chr.) schuf hier seine ‘Vulgata’, die Bibelübersetzung in der lateinischen Sprache. Der römische Kaiser Konstantin, der 313 n. Chr. im ganzen römischen Weltreich die Religionsfreiheit gewährte, sei mit seiner Mutter Helena hier gewesen, habe eine erste Kirche erbauen lassen und Kaiser Justinian (524 n. Chr.) ihr das heutige Gesicht gegeben.

Ich lasse Revue passieren, was ich in den letzten Tagen gesehen und erlebt habe. Manches gefällt mir gar nicht. Und doch: In diesem klitzekleinen Land innerhalb dieser friedlosen Region unserer Erde sitze ich sicher in einer Kirche. Hier können Juden und Christen, können Moslems ihre Gottesdienste feiern, singen, beten, ihren Glauben leben. Wie sähe es wohl aus, wenn...? Glaubensfreiheit! Ein hohes Gut! In der Welt des einundzwanzigsten Jahrhunderts keine Selbstverständlichkeit.