„Gospel mit halbem Herzen geht nicht“

Gespräch mit dem Initiator des Timişoara Gospel Project, Dominic Samuel Fritz

Dominic Samuel Fritz (29) hat die Gospel-Musik nach Temeswar gebracht.
Foto: Zoltán Pázmány

Seit 2005 geht in Temeswar/Timişoara Jahr für Jahr das Timişoara Gospel Project (TGP) über die Bühne. Initiiert wurde es von dem deutschen Dirigenten Dominic Samuel Fritz, der 2004 als Jesuit Volunteer in einem Kinderheim in Temeswar tätig war. Das Timişoara Gospel Project lässt einen Gospel-Chor entstehen, bei dem jeder, der Gefallen an der Musik findet, mitmachen kann. Eine Woche dauern die Proben, zum Abschluss bestreitet der Chor ein oder zwei Konzerte, bei denen Spenden für das Hospiz der Caritas Temeswar gesammelt werden. Dominic Samuel Fritz macht Musik nicht hauptberuflich. Der gelernte Entwicklungspolitikberater arbeitet in einem staatlichen deutschen Unternehmen für internationale Zusammenarbeit.

Im vergangenen Jahr wurde auch der TGP-Verein gegründet, über den leichter Sponsoren herangezogen werden können. Inzwischen wurde auch das „Grenzenlos Gospel“-Projekt ins Leben gerufen, das den Chor an eher ungewöhnlichen Orten wie dem Nachtasyl für Obdachlose oder der Haftanstalt auftreten lässt. Raluca Nelepcu traf den Dirigenten Dominic Samuel Fritz in Temeswar und führte mit ihm folgendes Gespräch. 

Seit neun Jahren findet in Temeswar das Timişoara Gospel Project statt, wobei die Zahl der Teilnehmer von Jahr zu Jahr wächst. Wie schaffst du es, so viele Leute für dieses Projekt zu begeistern?

Ich glaube, dass die Musik selbst die Leute motiviert. Je mehr Leute von dem Projekt erfahren, desto mehr wollen auch mitsingen, denn es ist eine tolle Chance, eine Woche lang raus aus dem Alltag zu kommen und gemeinsam mit anderen Menschen tolle Musik zu machen. Da ist die Idee schon so gut, dass ich selbst nicht mehr viel machen muss. Wir sind jedoch auch in der Organisation immer professioneller geworden und schaffen es einfach immer besser, hier in Temeswar Werbung für unser Projekt zu machen – dadurch hören natürlich auch immer mehr Menschen von uns. Mundpropaganda ist aber auch sehr wichtig. Wer schon einmal mitgesungen hat und wem es gefallen hat, der bringt erstmal fünf Freunde mit und dadurch wachsen wir auch immer weiter.

Was hat sich noch im Laufe der Jahre verändert, neben der Tatsache, dass die Teilnehmerzahl von Jahr zu Jahr gewachsen ist?

Wir sind logistisch deutlich besser geworden. Das sieht man nicht, wenn man im Konzertsaal sitzt, aber um mehr als hundert Leute zusammenzubringen, zu proben, Instrumente zu verschaffen, ist ein enormer logistischer Aufwand notwendig. Je weniger ich selbst als Dirigent mit der Logistik betraut bin und mich auf andere Leute verlassen kann, desto mehr Energie kann ich in die Musik stecken. Meine Wünsche werden irgendwie erfüllt. Wenn ich sage, ich brauche dann und dann Raum zum proben, ich brauche zwei Klaviere oder ich brauche dies oder jenes, dann kriege ich es irgendwo her, denn irgend jemand kümmert sich darum. Von daher habe ich auch die Grundlage, auf der ich musikalisch arbeiten kann.

Eine andere Sache ist sicher, dass durch unsern Erfolg Leute, die sehr gut singen, angezogen werden und wir dieses Jahr, zum Beispiel, Solisten haben, die einen einfach umhauen. Das sind großartige Stimmen, die eigentlich auf die Weltbühne gehören und vielleicht fängt der eine oder andere seine Karriere mit dem Timişoara Gospel Project an. Das freut mich natürlich ganz besonders, dass es ein Projekt ist, das für Laien und Amateure genauso spannend ist wie für sehr erfahrene Bühnenleute oder junge Talente.

Wie ist die Band zusammengekommen, die euch seit einigen Jahren begleitet?

Dieses Jahr gab es eine andere Konstellation. Petre Ionuţescu und Michi Moldoveanu, die die letzten Jahre schon dabei waren, waren diesmal auch dabei. Da die anderen keine Zeit hatten, versuchten wir, andere Musiker zu überzeugen, was nicht sehr einfach war, weil doch ein großer Aufwand für die Proben zustande kommt und wir auch nichts bezahlen – es ist pro bono. Gerade denen, die von der Musik leben, fällt es nicht so leicht. Ich bin aber sehr froh, dass wir mit Sergiu Catana einen sehr talentierten Profi-Schlagzeuger gefunden haben, mit Arpad Kajtar an der Gitarre einen der Veteranen der Blues-Gitarre in Temeswar und mit Marcelle Poaty-Souami einen jungen Absolventen des Ion-Vidu-Kollegs, der einfach unglaubliches Talent hat. Von daher ist diese Band eine tolle Mischung aus Jung und Alt, aus jungen, aufstrebenden Talenten und schon alten, gesetzten Veteranen und das ist wirklich ein Glücksfall, denn ohne eine gute Band würde das Ganze nur halb soviel Spaß machen.

Die Chorsängerinnen und –sänger nennen dich „poliţistul respiraţiei“ – „der Atempolizist“. Was hast du ihnen außer Singen und richtigem Atmen beigebracht?

Nur einige nennen mich so. (lacht) Bei dem Stück „Abide with me“, ein Choral aus dem 19. Jahrhundert, der sehr empfindlich ist und gut gesungen werden muss, haben wir sehr viel mit dem Atmen gearbeitet: An welcher Stelle atmet man, an welcher Stelle atmet man nicht, und daher kommt diese Bezeichnung. Ansonsten arbeite ich weniger an Technik mit den Leuten, sondern sehr viel an Ausdrucksformen. Ich versuche, ihnen beizubringen, dass man in verschiedenen Farben singen kann, ich versuche, ihnen beizubringen, mit ihrer Stimme kreativ umzugehen, ruhig auch mal einen Ton zu probieren, wo man denkt, ups! Kommt der gerade aus mir heraus oder hat das gerade jemand anderes gemacht? Natürlich versuche ich, mit ihnen an ihrem Auftritt zu arbeiten. Ein Gospel-Chor steht und fällt damit, wie er auf der Bühne erscheint, wie sich die Leute bewegen, ob sie wirklich mit dem ganzen Körper singen oder nur mit dem Mund. Ich will natürlich, dass sie mit dem Körper singen, dass sie mit dem Gesicht singen, dass sie strahlen bei dem, was sie machen. Auf solche Aspekte setze ich den Akzent.

Du hast gerade erzählt, was du ihnen beibringst. Aber was hast du von den Teilnehmern am Timişoara Gospel Project gelernt?

Vor allem lerne ich, in allen möglichen Situationen ruhig zu bleiben: „Hai că se rezolvă“, „lasă, că o să reuşim“ (lacht). Ein Stückweit Gelassenheit und Improvisationsgabe, wenn die Dinge nicht so laufen, wie man es vorher minutiös geplant hatte, lerne ich auf jeden Fall. Da ich kein hauptberuflicher Dirigent bin, lerne ich für mich selbst natürlich, was funktioniert und was nicht funktioniert, Dinge, die ich dem Chor sage – wann verstehen sie es und wann verstehen sie es nicht. So kann ich natürlich meine Sprache, meinen Umgang, meine Didaktik anpassen, weil ich quasi ein pädagogisches Live-Experiment vor mir habe. Eigentlich habe ich eine tolle Voraussetzung, um schöne Musik zu machen.

Du hast die Musik sicherlich im Blut. Inwiefern hast du dieses Talent geerbt?

Ich glaube schon, dass ich es geerbt habe, hauptsächlich von meiner Mutter, die sehr viel singt und mehrere Instrumente - Klavier, Flöte, Gitarre - spielt, auch wenn auf einem recht niedrigen Niveau. Wir haben in der Familie viel gesungen, aber es war nie eine Musiker-Familie und es war auch nie etwas, wo ich dazu gedrängt wurde. Ich habe einfach sehr früh das Klavier für mich entdeckt und habe dann viel Klavier gespielt, viel Cello, in Orchestern, und ich habe entdeckt, wie toll es ist, wenn man mit anderen Leuten Musik macht und dann habe ich selbst viel gesungen. Ich würde schon sagen, dass ich der musikalische Pionier in meiner Familie bin, aber es ist auch etwas, was mir in die Wiege gelegt worden ist und wo ich einfach auch viel unterstützt wurde. Ich bin mir sicher, dass es viele Leute gibt, die ähnliche Talente haben, aber von zu Hause aus keine Unterstützung bekommen.

Wann und wie hast du die Gospel-Musik entdeckt?

Es war relativ spät. Ich habe überhaupt das Singen relativ spät für mich entdeckt. Als ich vor zehn Jahren als junger Freiwilliger in Temeswar war, habe ich ein bisschen gesungen und gemerkt, dass die Kinder aus dem Kinderheim am besten dabei waren, als ich ihnen Gospel-Lieder mit der Gitarre gesungen habe. Alles andere hat sich jedoch von selbst ergeben. Ich habe gemerkt, dass es eine Musikart ist, bei der jeder sofort mitmachen kann, denn es ist eine sehr leichte und zugängliche Musik. Von daher hat sich das eher zufällig ergeben. Ich bin nicht damit aufgewachsen. In der Kirchengemeinde habe ich zwar als Jugendlicher viel Musik gemacht, aber kein Gospel, sondern neues geistliches Lied. Ich bin selber überrascht, wenn ich heute als Gospel-Experte wahrgenommen werde, weil ich selber jenseits von Timişoara Gospel Project nie Gospel-Musik gemacht habe.

Welche Qualitäten muss man denn haben, um Gospel singen zu können?

Grundsätzlich kann es jeder singen, der bereit ist, wirklich mit seiner Seele Musik zu machen. Der bereit ist, sich von der Musik berühren zu lassen und der keine Barriere zwischen sich und die Musik stellt. Gospel mit halbem Herzen geht nicht.

Welche anderen Leidenschaften hast du außer Musik?

Die verschiedenen Leidenschaften, die ich habe, bereichern sich gegenseitig. Wenn ich nur auf Musik konzentriert wäre, dann wäre ich wahrscheinlich kein so guter Dirigent. Ich lese sehr viel und ich bin süchtig nach dem gesellschaftlichen Geschehen. Wie gehen wir mit dem Klimawandel oder mit Armut um: Das sind Fragen, die ich sehr spannend finde und mit denen ich mich in meinem Beruf beschäftige. Ich muss auch sagen, dass ich ein unglaublich fauler Mensch bin, auch wenn mir das niemand glaubt (lacht). Ich mag es sehr, ein Wochenende zu haben, wo ich einfach nichts mache, lang schlafe, ausgiebig frühstücke und Zeitung lese und mich dann wieder hinlege und so weiter.

Wie viel Prozent bist du inzwischen schon Rumäne?

Ich muss sagen, dass ich mittlerweile fast gleichberechtigt auf Deutsch, Englisch und Rumänisch denke und träume. Alles, was mit TGP zu tun hat, mit meinen Freunden und Kontakten in Rumänien, all das denke ich schon auf Rumänisch und das ist ein ziemlich deutliches Zeichen dafür, dass ich rumänisch bin. Ich fühle schon, dass ich dazugehöre, aber ich habe auch eine Sonderstellung dadurch, dass ich nicht hier aufgewachsen bin. Ich habe auch noch weiterhin meine andere Identität und in Deutschland bin ich weiterhin Deutscher und werde nicht als Rumäne wahrgenommen. Von daher würde ich sagen, 25 Prozent bin ich inzwischen schon Rumäne. Aber vor allen Dingen bin ich Europäer!