Gratwanderung Volksbefragung

Als Präsident Johannis die Volksbefragung zur Vergewaltigung der Justiz zeitgleich zur Europawahl ansetzte, war klar, dass dies auch ein Instrument war, das zum Urnengang animieren sollte. Allzu oft hat in diesem Land die Waage der Wahlen falsch ausgeschlagen, bloß weil die Wahlbeteiligung gering war und das „willige Wahlvolk“ oder die „manipulierte Masse“ die Mehrzahl der Wähler stellte. Im Beraterstab von Johannis scheint es ein paar Meinungsmacher zu geben, die überzeugt sind, dass ein gutes Ergebnis der Johannis-nahen PNL oder auch der konkurrierenden Allianz 2020 der Start für die Entmachtung der allmächtigen PSD wäre. Damit verbunden wurde in den öffentlichen Raum das Bild eines Sisyphos projiziert, der seinen bislang immer vergeblich den Berg hochgerollten Fels zertrümmert, das Geröll in handliche Taschen und in einen Rucksack packt, den Berggipfel erklimmt und triumphierend umherblickt.

Die Risiken der Befragung eines Volks, das die Justiz nur als Feind, nie als Quell der Gerechtigkeit sah, werden von Sisyphos ignoriert. Viele der nüchternen Kommentatoren fragten sich umgehend, was denn geschähe, wenn das präsidiale Referendum scheitert. Z. B. aus Mangel an Beteiligung. Obwohl die Teilnahmeschwelle auf 30 Prozent abgesenkt wurde. Europawahlen sind (nicht nur in Rumänien) keine politischen Interessensbrennpunkte. So sehr uns die Angriffe auf die Justiz auf den Nägeln brennen – wer kann uns sagen, wie viele wir sind, die wir uns um den Rechtsstaat in Rumänien Sorgen machen? Leider: Der üblichen Wählermasse Rumäniens ist die Justiz ziemlich wurscht! Solange sie es nicht hautnah mit der Justiz zu tun bekommt. Komplizenhaftes Handeln der Wählermasse am Tag der Europawahl, auf welches die Strategen von Präsident Johannis anscheinend setzen – es muss erst mal bewiesen werden, dass es überhaupt funktioniert... Man erinnere sich an das rechtsextrem angehauchte Referendum vom vergangenen Herbst bezüglich der „christlichen Familie”. Da wurde die Politik- und Manipulationsverdrossenheit der Wahlbürger übersehen. Die Volksbefragung wurde durch Boykott obsolet. Dieses Risiko besteht immer noch. Justizverdrossenheit ist Generationen alt.

Andrerseits könnte die Volksbefragung den Riss in der Gesellschaft noch weiter vertiefen, der seit der Wende immer weiter klafft, jenen Riss, der schon in der Zwischenkriegszeit von nüchtern denkenden rumänischen Philosophen klug theoretisiert wurde: Zwischen der orthodox-östlichen Christenheit und der daraus resultierenden Obrikeitsgläubigkeit („Sehnsucht nach dem Übervater”), der eine Aufklärung unbekannt ist, und zwischen der abendländisch-demokratischen Glaubensflexibilität, die letztendlich auch die Grundlage jeder Demokratie, implizite des Rechtsstaats, ist.

Allerdings: Regiert wird hierzulande nicht per Volksbefragung (das Vorbild Schweizerische Eidgenossenschaft dürfte hier nie erreicht werden – umsonst wurde es einige Male zur Diskussion gestellt...). Ein weiteres Risiko der Volksbefragung vom kommenden Mai dürfte Folgenlosigkeit sein (wie jene von B˛sescu vor zehn Jahren, als er die Zahl der höchsten Volksvertreter auf übersichtliche rund 344 beschränken wollte – was zwar bejaht, aber bis heute nicht umgesetzt wurde).

Nicht zuletzt: Wer wird sich mit den Meriten einer erfolgreichen Volksbefragung schmücken? Präsident Johannis, als Vorschuss einer neuerlichen Präsidentschaft der Hinauszögerungen? Die PNL, dieser Vexierspiegel der korrupten PSD, als Vorschuss auf den Sturz letzterer? Die Allianz 2020, als Lohn für ihre Kampagne „Keine Korrupten mehr in öffentlichen Ämtern“? Als Vorschuss für was?
Die Volksbefragung dürfte im rechten Spektrum für mehr Verwirrung als Lösungen sorgen. Wer wird der wahre Profiteur?