Heimat ist siebenbürgenlastig

Eine Konferenz zu einem schönen, schwierigen und komplizierten Thema

Die Schriftsteller Hans Bergel (l.) und Joachim Wittstock (r.) lasen in der Moderation von Georg Aescht. /
Foto: Hannelore Baier

Heimat? Heimat! In Worten, Bildern und Musik. Pathetisch, rational, empathisch, distant, lyrisch, wissenschaftlich, ironisch, emotional vorgetragen. Aus der Sicht von drei Schriftstellern, je eines Historikers, Geografen und Soziologen, zweier Philosophen, eines Komponisten, einer Sprach-wissenschaftlerin, je eines Grafikers und Filmemachers, zweier Germanisten und eines Organisten. Zwei volle Tage lang.

Es seien mehr Fragen offen geblieben, als gelöst wurden, meinte am Schluss Dr. Andreas H. Apelt, der Bevollmächtigte des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft e.V. Diese hatte die Tagung „Heimat“ in Zusammenarbeit mit der Babeş-Bolyai-Universität in Klausenburg/Cluj vom 10. bis 12. Oktober im Institut für Deutschsprachige Lehre und Forschung (IDLF) veranstaltet. Eine facetten-, erkenntnis- und lehrreiche Konferenz. Die den Eindruck hinterließ, Heimat ist siebenbürgenlastig.

Die Idee zu dieser Tagung war jedoch in Siebenbürgen geboren worden im Gespräch zwischen Dr. Apelt mit Vizerektor Dr. Rudolf Gräf und dem Germanisten Dr. András F. Balogh. Das Konzept der Konferenz entwickelt hat jene, in deren Geburtsstadt – Klausenburg – das Vorhaben lanciert und stattgefunden hat: Dr. Ingeborg Szöllösi, die Medien- und Öffentlichkeitsreferentin der Deutschen Gesellschaft.

Sie lud Referentinnen und Referenten aus Rumänien und Deutschland ein, wobei nur ein einziger, der Wirtschaftsphilosoph Dr. Wolf Dieter Enkelmann, mit Siebenbürgen nicht verbandelt war. Er referierte als Letzter und entführte die Teilnehmer nach Europa, in die Geschichte unseres „absolut verrückten Kontinets“ (Enkelmann), dessen Anfänge in der griechischen Mythologie liegen. Anhand dieser Mythologie veranschaulichte er das Werden des Europäers. „Heimat“ sei ein deutscher Begriff, dessen Unübersetzbarkeit eine Unübertragbarkeit bedeutet, sagte Enkelmann und plädierte dafür, Heimat im Großen, von Europa abwärts zu denken, und sich vom Heimat-Fetischismus nicht verleiten zu lassen.

Heimat ist ein schwieriges Thema auch im Jahrhundert, das jenem der Vertreibungen, Flucht und des Heimatverlusts von Millionen Menschen folgt, sagte Vizerektor Dr. Gräf in seiner Begrüßung. Daran, dass der Begriff bis zum 19. Jahrhundert unproblematischer war, erinnerte Konsul Judith Urban vom Deutschen Generalkonsulat in Hermannstadt/Sibiu.

Auf Flucht, Umsiedlungen, Deportationen und Aussiedlung der Rumäniendeutschen ging der Historiker Dr. Konrad Gündisch am ersten Konferenznachmittag ein. Eine reelle Vertreibung hat es im Fall der Siebenbürger Sachsen nicht gegeben, aber eine Vertreibung aus den Traditionen und dem kulturellen Erbe, sie wurden im Land festgehalten und verkauft.

Die politisch engagierte Dichterin Ana Blandiana hatte die Tagung mit einem emotionalen Plädoyer für den Verbleib in der Heimat trotz Verfolgung und Eingesperrtsein eröffnet. Sie schilderte eine Begegnung mit Emil Cioran in den 1970er Jahren in Paris und seine „gewalttätige Äußerung der Nostalgie“ für Hermannstadt. Blandiana sprach vom gegenseitigen Mitleid, das sie und ihre im Exil lebenden Freunde füreinander empfanden: Sie wurde bemitleidet, weil sie ins Land zurückfuhr, sie bemitleidete die Freunde, weil sie in der Ferne blieben. Wäre sie Weggeblieben, hätte sie den Alleinvertretungsanspruch Ceauşescus legitimiert, war einer der drei genannten Gründe für das Hierbleiben.

Mit Zitaten von Hermann Hesse begann der Geograf Dr. Wilfried Schreiber seinen Vortrag im Bemühen, Heimat zu verorten. Er stellte fest, dass die Kulturlandschaft wichtiger ist als der geografische Raum und es der erlebte Raum sei, der das Meschendörfer’sche „Anders“ ausmacht. Auf die Problematik des Raumes – in dem sich das Gemeinschaftsleben abspielt – ging auch der Soziologe Dr. Rudolf Poledna in seinem Vortrag ein und zitierte als Definition für Heimat „Ort tieferen Vertrauens, der Sicherheit und Verlässlichkeit“.

Heimat in der Literatur

In der Literatur habe das Nachdenken über Heimat im 18. Jahrhundert begonnen, und zwar geschah das im Zusammenhang mit der Bedeutungszunahme der deutschen Sprache als Ausdrucksmittel, berichtete der Germanist Dr. András F. Balogh. In seinem literaturhistorischen Exkurs stellte er den deutschsprachigen Raum Ungarns und Siebenbürgens der Zwischenkriegszeit und sodann die nach dem Zweiten Weltkrieg in diesen Regionen geschaffene deutschsprachige Literatur vor.

Zwei „Meister der siebenbürgisch-deutschen Literatur“, die sich dem Thema Heimat auf jeweils eigene Art nähern, so Georg Aescht in deren Vorstellung, lasen im Saal des Deutschen Forums: Hans Bergel aus dem Roman, an dem er arbeitet, Joachim Wittstock aus zum Teil eigens für die Konferenz verfassten Überlegungen. Weil der Begriff „Heimat“ ideologisch belastet ist, schlug Wittstock statt dessen „Heimwelt“ vor. Interessant waren die in der Diskussion von den beiden Schriftstellern abgegebenen Statements zur Heimat: Ohne Freiheit, keine Heimat, sagte Bergel.

Die siebenbürgische Heimat ist in jedem Fall mit Einbußen verbunden, meinte Wittstock. Er trage die Prägung der vielnationalen und vielsprachigen Heimat in sich und fühle sich deswegen weniger fremd in der Welt, sagte Bergel. Wie Siebenbürgen in die Lyrik von Franz Hodjak und Werner Söllner vor und nach ihrer Ausreise nach Deutschland eingeflossen ist, schilderte der Germanist Michael Markel. Mit 29 „Klagegesängen auf Siebenbürgen“, zwei Drittel davon in Rumänien, der Rest nach der Ausreise in Deutschland verfasst, sei Hodjak der wichtigste Gegenwartslyriker der Thematik, stellte Markel fest.

Die lyrischen Töne zweier Volkslieder baute der Komponist Dr. Hans Peter Türk in Kompositionen ein und plauderte Werkstattgeheimnisse aus, ließ die Musikstücke aber auch erklingen. Siebenbürgen in seiner musikalischen Vielfalt vermittelte Dr. Erich Türk an der Hahn-Orgel in der Michaelskirche, dessen Programm Kompositionen aus dem Codex Caioni, von Sigismund Toduţă, Rudolf Lassel und die „Elegie“ von Hans Peter Türk nach Adolf Meschendörfer umfasste. Wie die biografischen Schnittpunkte sein Werk beeinflusst haben, war vom Künstler Gert Fabritius zu erfahren, der einen Einblick in seine Werkstatt bot. 

Weil die Schriftstellerin und Literaturhistorikerin Marta Petreu an der Tagung nicht selbst teilnehmen konnte, stellte Dr. Ingeborg Szöllösi Petreus neuesten Roman „Acasă, pe Câmpia Armaghedonului“ vor. Er handelt von der Hölle, welche familiäre Beziehungen in einem Dorf ausmachen können. Heimat kann also auch zur Hölle werden. Die zahlreichen Schattenseiten wurden auch in den Diskussionen zu den Vorträgen erwähnt mit Bezugnahme auf vielerlei Zwang oder Begegnungen mit der Securitate. Auf das „rumänische Heimatgefühl“ des bessarabischen Dichters Grigore Vieru ging die Sprachwissenschaftlerin Dr. Daniela-Elena Vladu ein – und erweiterte den Heimatraum über Siebenbürgen hinaus. 

Wir werden dem Thema nicht beikommen können, warnte Georg Aescht mehrfach, der die Konferenz in Abwechslung mit Beatrice Ungar moderierte. Hätte man das gesollt? Zu hören waren kontrastierende Stimmen und dennoch waren die meisten einander sehr ähnlich.